Einblicke in den Denkapparat

Noch sind wir mitten drin im "Jahrzehnt des Gehirns" - und allenthalben geht es um Bewusstseinsforschung, Intelligenz, neuronale Netze oder Hirnerkrankungen. Da kann ein bisschen Nachhilfeunterricht in Sachen Gehirnforschung nicht schaden. "Welcome to Your Brain" heißt ein Buch, das den Versuch unternimmt, unterhaltsam in die komplexe Thematik der Hirnforschung einzuführen.
"Sandra Aamodt, Samuel Wang: Welcome to Your Brain. Ein respektloser Führer durch die Welt unseres Gehirns. Können Sie Ihrem Gehirn vertrauen? Ihr Gehirn lügt Sie unablässig an. Das ist leider eine schlechte Nachricht, aber es ist die Wahrheit. Selbst wenn das Gehirn lebenswichtige und komplizierte Aufgaben erledigt, sind wir uns nur eines kleinen Teils dessen bewusst, was sich gerade in ihm abspielt."

Haben Sie die Stimme erkannt? Es ist Oliver Rohrbeck, Kult-Sprecher in Jugendhörspielen wie "Die Drei Fragezeichen" und "Fünf Freunde". Nun präsentiert der Experte für Spannung und leichte Kost vier Audio-CDs randvoll mit Hirnforschung - eine interessante Entscheidung. "Welcome to Your Brain" fächert eine Vielzahl an Themen rund ums Gehirn auf - sie reichen vom Spracherwerb bis zum leidigen Abnehmen, von der biologischen Uhr bis zu jugendlichen Rebellionsbedürfnissen, vom Altwerden bis zu Glücksgefühlen. Was ein Mensch im Alltag bewältigen muss, ist nicht allein kulturell bestimmt, sondern hängt auch mit der Wirkweise des menschlichen Gehirns zusammen. Das weisen die Autoren fachkundig nach - zum Beispiel an unseren Begabungen:

"Sind Sie eine impulsive Person, die rasch auf Ereignisse reagiert - oder verhalten Sie sich ruhig und abgeklärt? Sind Sie ein begabter Skifahrer? Fällt Ihnen die Lösung mechanischer Probleme leicht? All diese Fähigkeiten beruhen darauf, wie die Neuronen miteinander kommunizieren - zum einen auf der Verdrahtung des Gehirns, als Sie noch ein Baby waren, und zum anderen auf den Verbindungen, die sich über einen Lernprozess seither gebildet haben oder wieder aufgelöst wurden."

Neuronale Verbindungen halten sich, so erfahren wir, an die bekannte Weisheit: Übung macht den Meister. Neuronen stärken Synapsen, die sehr aktiv sind, und schwächen solche, die stumm bleiben, wenn andere Synapsen arbeiten. An dieser Stelle bietet sich - in einem Buch, das seine Leser sehr direkt anzusprechen versucht - ein guter Ratschlag an. Für nette Hinweise ist sogar eine Rubrik reserviert:

"Praktischer Tipp: Lohnt es sich, für eine Prüfung zu pauken? Durch intensives Pauken in letzter Minute mag man zwar den Test bestehen, aber man könnte die Lernzeit insgesamt besser nutzen. Warum? Das zeitlich gestreckte Lernen hat den Vorteil, dass es sehr gut und zuverlässig wirkt. Zwei Unterrichtseinheiten mit einer Pause dazwischen haben unter Umständen einen doppelt so hohen Lernerfolg wie eine genau so lange einzige Unterrichtseinheit."

Leider verlieren Autorin und Autor des Buches bisweilen ihren lockeren Ton und muten ihren Lesern doch einiges an Fachsprache zu. Sprecher Oliver Rohrbeck versteht es, auch kompliziertere Abschnitte so zu lesen, dass der Genusseffekt erhalten bleibt. Hier zeigt sich, dass der Jugendhörspiel-Profi mit seiner streckenweise etwas pädagogischen Vortragskunst eine gute Wahl ist: Textpassagen, die man zweimal lesen müsste, um sie als Laie zu begreifen, präsentiert Rohrbeck so akzentuiert, dass der Hörer sich auch durch schwieriges Terrain sicher geleitet fühlt.

"Bei frisch verliebten Menschen ist eine starke Aktivität im ventralen Tegmentum und im Nucleus Caudatus zu beobachten. Diese Erkenntnisse legen die Vermutung nahe, dass an der romantischen Liebe beim Menschen Oxytocin, Arginin-Varopressin und das Belohnungssystem des Gehirns beteiligt sind."

Ein besonderes Anliegen ist es Aamodt und Wang, populäre Mythen über das Gehirn zu widerlegen. So hört man häufig, der Mensch nutze nur zehn Prozent seiner grauen Zellen - ein hundert Jahre altes Märchen, das in den USA aufkam und mittlerweile selbst in Brasilien, wie Umfragen zeigen, von der Hälfte der Bevölkerung für wahr gehalten wird.

"Für Wissenschaftler, die das Gehirn erforschen, ergibt die Vorstellung jedoch überhaupt keinen Sinn. Das Gehirn ist ein sehr effektiv arbeitendes Organ - und allem Anschein nach sind so gut wie alle Teile davon unverzichtbar."
Ein anderer populärer Mythos besagt, blinde Menschen würden besser hören als Sehende. Es stimmt nur zum Teil: In Tests nehmen sie schwache Laute nicht anders wahr als sehende Menschen. Allerdings haben Blinde ein besseres Gedächtnis, weil sie sich ständig Örtlichkeiten und Wege einprägen, um sich im Alltag zu orientieren. Das hat positive Effekte auf ihre sprachlichen Fähigkeiten - so lernen sie Fremdsprachen leichter.

"Auch in anderen sprachrelevanten Aufgaben wie dem Verständnis der Bedeutung von Sätzen sind sie sehenden Menschen überlegen. Blinde Menschen verbessern diese Fähigkeiten anscheinend, indem sie Regionen im Gehirn nutzen, die für den Sehsinn nicht gebraucht werden. Bei blinden Menschen regen sprachliche Gedächtnisaufgaben den primären visuellen Cortex an, der bei sehenden Menschen ausschließlich an der visuellen Wahrnehmung beteiligt ist."

"Welcome to your Brain" bietet auch in der Audioversion, was ein gelungenes Sachbuch braucht: Neues aus der Forschung, Alltagsrelevanz, eine verständliche Sprache und reichlich Aha-Erlebnisse.

Rezensiert von Susanne Billig

Sandra Aamodt / Samuel Wang: Welcome to Your Brain. Ein respektloser Führer durch die Welt unseres Gehirns
Hörbuch
Kein & Aber
19,90 Euro
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