Ein zutiefst subjektiver Kunstbetrachter

02.07.2011
Dieser Band versammelt Essays aus den letzten 30 Jahren, in denen sich Milan Kundera mit Autoren und Künstlern wie Dostojewskij, Arnold Schönberg oder Francis Bacon befasst. Was er bei allen sucht, ist das Bedingungslose, die totale Vereinnahmung des Künstlers durch seine Kunst.
Der Band "Eine Begegnung" enthält Essays aus den letzten 30 Jahren. Milan Kundera hat das Buch den Autoren Rabelais und Malaparte, dem Komponisten Janacek und dem Regisseur Fellini gewidmet. Man muss diese Auseinandersetzungen mit den Werken der Kollegen wie verdeckte Selbstbeschreibungen verstehen, als ziemlich brillante Spiegelungen eigener künstlerischer Überzeugungen. Dabei hat Kundera sich nicht die sanften Gemüter ausgesucht, sondern die Rebellen und ästhetischen Revolutionäre wie Dostojewskij, Céline, Garcia Marquez, Arnold Schönberg, oder den britischen Maler Francis Bacon.

Milan Kundera ist ein zutiefst subjektiver Kunstbetrachter. Ihn interessiert nur, was ihn zu einem Zwiegespräch herausfordert und für sein eigenes Schreiben von Bedeutung ist. Auf einen radikalen weiblichen Akt von Francis Bacon antwortet er mit einer eigenen radikalen Erzählung über ein verschüchtertes Mädchen, das der Erzähler 1972 während der Zeit schlimmster Verhöre durch die tschechische Polizei so begehrt, dass er es vergewaltigen will. Der Autor betont: "Vergewaltigen. Ich weiß was ich sage." Kundera antwortet mit dieser Provokation auf Bacons obszönen weiblichen Akt. Der Text ist einer der vielen kleinen literarischen Meisterstücke, die dieser Band enthält.

Wie der Wolf im Märchen die Geißlein verschlingt, so hungrig vereinnahmt und kommentiert Kundera die Arbeiten seiner Kollegen. Er interessiert sich für die biografischen Überschneidungen, für politische Haltungen und emotionale Stärken. Weil für ihn die Einsamkeit der prägende Zustand des Lebens ist, befragt er auch die Werke der anderen Künstler danach. Was er bei allen sucht, ist das Bedingungslose, die totale Vereinnahmung des Künstlers durch seine Kunst. Kundera stellt sich beispielsweise die Frage, weshalb die Protagonisten großer Romane, von Cervantes' Don Quijote bis Fieldings Tom Jones, von Prousts Erzähler bis zu Musils Ulrich aus dem "Mann ohne Eigenschaften" kinderlos sind. Kunderas Kommentar: "Es ist der Geist der Kunst des Romans (oder das Unbewusste dieser Kunst), der die Zeugung verabscheut."

Kundera, dieser enttäuscht vom Kommunismus abgefallene Autor, zeigt in dieser mit viel Wissen und viel Eigensinn verfassten Essaysammlung mehr von sich und von seiner Art zu denken als in einem Interview, das er sich sowieso zu geben weigert.

Die Botschaft dieses komplexen, aufschlussreichen, widerspenstigen, klugen Bandes ist die Einsicht, dass je grausamer eine Geschichte ist, desto schöner erscheint die Welt als Zuflucht. "Zu Hause sein im Exil", so nennt Kundera sein eigenes Schicksal, und das teilt er mit all denjenigen, die er sich bei aller Enttäuschung über die meisten Menschen zu Vorbildern und Freunden ausgesucht hat.

In den 26 "Begegnungen" versammeln sich die großen Künstler des 19. und 20. Jahrhundert. In diesem leicht, aber anspruchsvoll verfassten Buch präsentiert sich Milan Kundera, der oberflächlich als "erotischer Schriftsteller" bekannt ist, als ein umfassend gebildeter, stark durch seine politische Biografie geprägter und durch die Kunst lebender und schreibender Autor.

Besprochen von Verena Auffermann

Milan Kundera: Eine Begegnung
Aus dem Französischen von Uli Aumüller
Carl Hanser Verlag, München 2011
204 Seiten, 18.90 Euro