„Ein ziemlich poppiges Festival“

Thomas Wördehoff im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
„Aus der Fremde“ ist das Motto des heute beginnenden Festivals der Ruhrtriennale. Dabei gehe es nicht allein um das Thema Emigration, sondern um die Bedrohungen, die sich innerhalb des eigenen Körpers abzeichnen könnten, erklärt Chefdramaturg Thomas Wördehoff.
Stephan Karkowsky: Was glauben Sie, welches das populärste Kulturereignis des Ruhrgebiets ist? Ich bin sicher, Sie kommen nicht drauf. Es ist die Loveparade. Die kennt laut einer aktuellen Umfrage fast jeder. Immerhin, jeder Zweite weiß schon etwas anzufangen mit der Ruhrtriennale, deren Bekanntheitsgrad sich in diesem Jahr noch enorm steigern könnte. Das Festival-Programm setzt nämlich auf Publikumsmagneten und Großereignisse, und von denen soll uns der Chefdramaturg Thomas Wördehoff berichten. Guten Tag.

Thomas Wördehoff: Ich grüße Sie.

Karkowsky: Wie viel Pop steckt denn dieses Jahr in Ihrem Festival? Reicht es, um die Ruhrtriennale so bekannt zu machen wie den Techno-Umzug?

Wördehoff: Na ja, ich habe vor einigen Jahren den wunderbaren Regisseur Luc Bondy, der im Übrigen auch in diesem Jahr bei uns zu Gast sein wird, gefragt: „Was ist für dich Entertainment?“ Und dann hat er gesagt: „Ach, Entertainment ist alles, was mich neugierig macht.“ Und in diesem Sinne, in diesem Sinne, nicht im Sinne einer Event-Kultur, aber im Sinne der Neugierde ist, glaube ich, die Ruhrtriennale ein ziemlich poppiges Festival.

Karkowsky: Sie haben große Projekte, bekannte Namen, ungewöhnliche Orte vor allem, die Industriedenkmäler des Ruhrgebiets als Kulturspielstätten, unter anderem, das fand ich spannend, mit Schorsch Kamerun. Er ist Betreiber des „Golden Pudel Club“ in Hamburg, er macht Hörspiele, er singt bei einer der dienstältesten deutschen Punk-Bands, den „Goldenen Zitronen“. Und Musiktheater kann er auch, das will er beweisen. „Westwärts“, so heißt sein Projekt für die Ruhrtriennale. Was steckt denn da dahinter?

Wördehoff: Hinter „Westwärts“ steckt ein junger Dichter, der leider Gottes schon seit über 30 Jahren tot ist, nämlich der Dichter und Lyriker Rolf Dieter Brinkmann. Rolf Dieter Brinkmann hatte unter anderem ein Werk geschrieben, „Westwärts“, eine Sammlung von Gedichten und Gedanken sehr subjektiver Natur, in denen er sich sozusagen mit dem eigenen Individualismus oder der eigenen Abgeschlossenheit in einer Gesellschaft, die sich zunehmend politisierte und auch in Klischees verfranste, auseinandergesetzt hat.

Und Schorsch Kamerun, der ja nun auch ein eminent politischer Sänger, Songwriter und Regisseur ist, wollte seit Jahren schon ein Projekt mit Texten von Rolf Dieter Brinkmann machen und ist jetzt dazu gekommen. Und er nennt das Ganze im Untertitel „einen begehbaren Ausnahmezustand“. Man muss sich das vorstellen, es findet in der ehemaligen Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck statt, eines der schönsten Orte des Ruhrgebiets überhaupt. Es erinnert so ein bisschen an ein altes Schloss. Und dort setzt er sozusagen Normalbürger verschiedenen Situationen aus, die musikalisch und lyrisch begleitet werden von der herrlichen Schauspielerin Sandra Hüller und einem Musikensemble. Sandra Hüller wird manchen von Ihnen bekannt sein aus dem Film „Requiem“.

Karkowsky: Und natürlich Christoph Schlingensief, der produziert vermutlich die meisten Schlagzeilen zur Ruhrtriennale nach langer Krankheit sein erstes Großprojekt. Wie geht es ihm denn?

Wördehoff: Also, ich habe einen erstaunlich fitten Eindruck von ihm gewonnen. Natürlich muss er sehr mit seinen Kräften haushalten, aber er ist natürlich sozusagen von seiner Idee getragen. Wie Sie wissen, ist unser Motto in diesem Jahr „Aus der Fremde“. Und man könnte „Aus der Fremde“ in diesen klischeebeladenen Zeiten natürlich missverstehen als eine Auseinandersetzung mit Emigranten, mit multikultureller Gesellschaft ausschließlich.

Aber darauf wollen wir uns nicht begrenzen, sondern mit Christoph Schlingensief geht es in dem Projekt „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ um die Bedrohungen, die sich innerhalb des eigenen Körpers abzeichnen können. Ob das eine Krankheit ist, ob das ein Gefühl ist, ob das eine Angst, wie gesagt, ist. Wie gesagt, Probleme und Körperschaften, hätte ich beinahe gesagt, im eigenen Leib, die einen wegdrängen, die einen aus dem eigenen Ich-Bereich wegdrängen. Und damit beschäftigt er sich.

Karkowsky: Und er will da ja in der Gebläsehalle in Duisburg tatsächlich einen Sakralbau errichten für „eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“. Nun könnte man denken, das ist eine aktuelle Beschäftigung mit den Problemen, die in den letzten Jahren hatte. Aber es gab das ja schon einmal zu sehen in einer ersten Form auf der Biennale in Venedig 2003. Wissen Sie mehr darüber?

Wördehoff: Also hier in Duisburg, wie eigentlich die meisten Projekte der Ruhrtriennale, beschäftigen wir uns mit dem Problem oder mit der Tatsache der Erinnerung. Und Christoph Schlingensief lässt in der Gebläsehalle in Duisburg im Landschaftspark die Kirche seiner Jugend aus Oberhausen nachbauen und wird mit seinen Ideen, mit seinen Ritualen, mit seinen Bildern und seinen Musikern diese Kirche sozusagen überfallen und mit wunderbaren Schauspielern wie etwa Margit Carstensen dort zelebrieren eine Messe, die sich eben mit seinen Ängsten, aber auch seinen Hoffnungen und Visionen und seinem Gottesglauben auseinandersetzt.

Karkowsky: Sie hören im Deutschlandradio Kultur Thomas Wördehoff. Er ist seit ihrer Gründung der Chefdramaturg der Ruhrtriennale. Herr Wördehoff, Jürgen Flimm war eigentlich schon gegangen, seine Nachfolgerin als Intendantin sollte Marie Zimmermann werden, die nahm sich voriges Jahr das Leben. Nun ist Professor Willy Decker der Neue, ein Opernregisseur. Wie viel von Marie Zimmermann steckt denn noch in der aktuellen Triennale?

Wördehoff: Da steckt eigentlich sehr viel drin. Also nicht zuletzt das Thema, was sich so ein bisschen zusammengesetzt hat aus den Projekten, die Marie Zimmermann bereits vorbereitet hatte vor einem Jahr. Es ging ihr damals sehr um die Frage des Exils, und zwar in den ganz verschiedenen Schattierungen, die das Thema aufwerfen könnte. Und wir haben das ein bisschen ergänzt sozusagen, um die weiteren Spielarten des Begriffs „Fremdheit“.

Eines ihrer Lieblingsprojekte war die Uraufführung des Tiroler Dichters Händl, Klaus, „Furcht und Zittern“. Darin geht es um das letzte Tabu sozusagen, der Kindesmissbrauch, und wie der sozusagen einen Menschen zum Fremden in der Gesellschaft machen kann. Das hat er zusammen mit dem Musiker Lars Wittershagen und dem Regisseur Sebastian Nübling zu einem Musikspiel unternommen. Und ausgehend von Projekten wie dieses und dem von „Salt“ zum Beispiel, ein Projekt, was Marie Zimmermann mit Sue Buckmaster, einer englischen Theatermalerin für Kinder, gemacht hat, wo das Salz, das Element Salz als Fremdkörper vorgestellt wird, haben wir uns sozusagen einen Spielplan zusammengebaut, zusammen mit ihrem Dramaturgen David Tushingham, der sich zu dem Thema „Aus der Fremde“ sozusagen zusammengefasst hat.

Karkowsky: Nun ist ja die Ruhrtriennale gegründet worden, auch um den Menschen im Ruhrgebiet das Fremdeln mit der Kultur und mit ihren ehemaligen Arbeitsplätzen zu nehmen, deshalb ja diese Spielorte, die Industriedenkmäler. Ist das denn gelungen, ist das Konzept aufgegangen?

Wördehoff: Ich muss Ihnen sagen, ich habe hier eine große Überraschung erlebt. Die Ruhrgebietler sind keineswegs, wie man das so denken könnte, ein Volk, das hinter dem Mond lebt, sondern das Ruhrgebiet ist seit über 100 Jahren mit Emigranten und Immigranten befasst. Also es sind immer wieder Einflüsse, das lässt sich auch an den Namen ablesen, im Ruhrgebiet aus anderen Ländern. Zuerst waren es die Polen, dann die Italiener, dann die Türken usw.

Es gibt eine starke orientalische Gemeinde hier auch. Und das spürt man, diese Weltoffenheit spürten wir von Anbeginn 2002 bei der Ruhrtriennale beim Publikum. Es ist auch eine wahnsinnige Geschichte: Keines der Projekte, die wir in diesem Jahr präsentieren, ist irge“ oder „Aida“ laufen, trotzdem sind unsere Karten schon zu Dreiviertel ausverkauft.

Karkowsky: Heute beginnt es, das Festival der diesjährigen Ruhrtriennale. Ich bedanke mich beim Chefdramaturgen Thomas Wördehoff. Herr Wördehoff, vielen Dank.

Wördehoff: Nichts zu danken. Kommen Sie zahlreich.

Karkowsky: Das tun wir.