"Ein ziemlich gläsernes Wählerprofil" in den USA

Julius van de Laar im Gespräch mit Susanne Führer · 22.03.2012
Der Präsident hat 25 Millionen "Freunde" bei Facebook: Die Kanäle der sozialen Netzwerke werden 2012 ein entscheidendes Schlachtfeld im US-Wahlkampf. Die Analysten kennen die Profile der Wähler sehr genau, sagt Kampagnenberater Julius van de Laar.
Susanne Führer: Noch ist Vorwahlkampf in den USA, denn die Republikaner suchen noch ihren Kandidaten, den Herausforderer Barack Obamas. Aber schon jetzt werden in beiden Lagern die Vorbereitungen für den eigentlichen Wahlkampf getroffen, und dazu gehört der Wahlkampf im Internet, wie Obama 2008 ja allen vorgeführt hat. Mit dabei in Obamas Team war damals Julius van de Laar, inzwischen zurück in Deutschland, er arbeitet als Kampagnen- und Politikberater und verfolgt die Ereignisse in den USA natürlich weiterhin ganz genau. Guten Tag, Herr van de Laar!

Julius van de Laar: Guten Tag!

Führer: Wie sehen die Vorbereitungen für den Wahlkampf im Netz aus, was passiert da jetzt gerade?

van de Laar: Obama startet natürlich in diesen Wahlkampf 2012 mit einem enormen Vorsprung. Wir wissen alle, wir können uns alle an den Wahlkampf 2008 erinnern, der so revolutionär im Internet geführt wurde. Viele Datensätze davon – und wir reden insbesondere im Wahlkampf im Netz, über den Datenwahlkampf insbesondere dieses Jahr 2012. Obama hat einen gigantischen Vorsprung, er hat im Moment 25 Millionen E-Mail-Adressen, 25 Millionen Freunde auf Facebook, die ihm folgen, 10 Millionen Leute auf Twitter, die er per Nachricht erreichen kann. Er hat da einfach einen gigantischen Vorsprung gegenüber den anderen Kandidaten, die im Moment noch auf der republikanischen Seite den Kampf um die Nominierung austragen. Insofern, da ist schon unheimlich viel da. Was jetzt interessant ist, ist, was passiert …

Führer: Also Daten werden erst mal gesammelt.

van de Laar: Ja, ganz richtig, das ist ein ganz wichtiges Thema. Es geht natürlich darum, so viele Menschen, so viele Wähler wie möglich zu erreichen, aber noch viel wichtiger, die richtigen Wähler zu erreichen. Und da helfen uns natürlich Daten, genau vorzusortieren: Wer ist ein potentieller Wähler, wer ist jemand, der sowieso schon für Obama wählt, wo wir keine Ressourcen mehr verschwenden müssen, diesen Wähler anzusprechen. Wir wollen den transparenten Wähler haben, den gläsernen Wähler, wo wir ziemlich genau wissen: Was sind dessen Vorlieben, wie viel verdient er, ist er verheiratet, welche politischen Themen interessieren den, wollen dann sehr, sehr genau zugeschneiderte Botschaften genau an diesen Wähler kommunizieren.

Führer: Und wie passiert das, wie finden die das raus?

van de Laar: Das ist eine Kombination aus verschiedenen Schritten. In erster Linie muss man verstehen, dass es in den USA eine gigantische Datenbank gibt, die offen zugänglich ist für alle Kandidaten. Das ist die Voter File, also die große Datenbank aller Wähler, die einfach dadurch entsteht, dass sich Wähler in den USA registrieren müssen. Das heißt, ich habe da schon mal den Vornamen, den Nachnamen, die Anschrift in den meisten Fällen, vielleicht sogar eine Telefonnummer. Das sind so die Grunddaten, die ich habe. Das hilft mir aber noch nicht so wirklich wahnsinnig viel.

Führer: Ach, und diese Daten, die können dann einfach von den Demokraten oder den Republikanern… die nehmen die sich einfach?

van de Laar: Richtig, die werden erhoben von den Behörden und werden sozusagen zur Verfügung gestellt für Kampagnen, müssen natürlich auch gekauft werden, aber die werden zur Verfügung gestellt. Wie gesagt, die Daten sind schon mal ein guter Grundstock, helfen aber noch nicht wirklich viel mit dem Targeting, also den wirklich zugeschnittenen Botschaften versenden. Was wir uns jetzt vorstellen müssen, und wir kennen alle in Deutschland die Payback-Karten, also diese Punktekarten, wo Leute mit einkaufen gehen und ihre Daten gesammelt werden, wir kennen die Miles-and-more-Karten, unsere Flug-Freakin‘-Flyer-Karten, die wir nutzen, wenn wir fliegen. Diese ganzen Datensätze von den verschiedensten Anbietern werden von den Kampagnen aufgekauft.

Das heißt, da weiß ich auf einmal, was eine Person so im Supermarkt einkauft, wohin sie fliegt, dazu kommen natürlich noch sämtliche andere Datensätze, zum Beispiel, wenn ich mir eine Zeitung abonniere und ich vielleicht noch angebe, was ich im Jahr verdiene, diese ganzen Daten kommen dazu und werden mehr oder weniger direkt obendrauf gelegt. Also diese Daten von der Datenbank aller registrierten Wähler und diesen ganzen Lifestyle-Daten, wie wir sie nennen, werden zusammengeführt. Das heißt, ich bekomme da schon ein ganz gutes Gefühl dafür, wie so ein Wähler tickt, was er sich kauft, was für Vorlieben er hat, in was für einer Familiensituation er ist, diese ganzen Daten werden zusammengeführt. Und jetzt, 2012, kommt noch der X-Factor dazu, und das ist Social Media und das Internet, in dem wir so wahnsinnig viele Daten von uns preisgeben. Stellen Sie sich vor, die ganzen Likes, die jeder einzelne von uns auf Facebook hat – Obama hat 25 Millionen Facebook-Freunde, Leute, die ihn gut finden. Und auf Facebook sagen wir allen ganz …

Führer: Der wird nie einsam sein, der Mann!

van de Laar: … und wie viel Daten wir alle über uns preisgeben, indem wir einfach sagen, uns gefällt dies und uns gefällt jenes und so etwas, daraus kann man wahnsinnig viele Rückschlüsse führen. Diese Daten werden noch mal oben drauf gelegt. Und da kommt schon ein ziemlich gläsernes Wählerprofil zusammen.

Führer: Okay, aber was machen die denn damit, ich meine, sie werden ja nicht für jeden Einzelnen einen eigenen Wahlwerbe-Videoclip drehen, oder? Also für die verschiedenen – da gibt es die alleinerziehende Mutter, 30, hier gibt es den Rentner, 65, also …

van de Laar: Genau, das Ganze wird noch mal runter segmentiert, und da kommt jetzt wirklich das wirklich Spannende dabei in diese Datenanalyse. Da gibt es Analysten, die nichts anderes machen den ganzen Tag, als verschiedene Scores, wie wir es nennen, Punkte für unterschiedliche Kriterien, hinzuzufügen. Das heißt, Sie müssen sich vorstellen, wir haben diesen kompletten Datensatz, diese Daten, und dann wird dort in die Datenbank reingegeben und es werden Umfragen in diese Datenbank eingegeben, also mit den Leuten, die sich dort dahinter befinden.

Das heißt, wir machen eine Umfrage und sagen, wie wählen denn Leute, die etwa 35 sind, verheiratet sind, Kinder haben und ein Durchschnittseinkommen von – ich weiß nicht – 60.000 Dollar im Jahr haben, wie wählen die, und das selbe wird für die meisten Wählergruppen rausgefunden. Dann kann man eben darauf Rückschlüsse bieten, das heißt, diese Milliarden von Daten werden noch mal zusammengefügt, verdichtet, und dann in unterschiedliche Segmente verteilt, dass ich vielleicht am Schluss 15, 20, 35 verschiedene Segmente habe, die dann wiederum sehr, sehr spezielle Botschaften bekommen.

Führer: Ja, okay. Also ich weiß dann jetzt 'ne Menge, aber was nützt mir das jetzt für den Wahlkampf. Sie sagen, die bekommen spezielle Botschaften?

van de Laar: Richtig. Das heißt, ich kann zum Beispiel sagen, wir haben junge Wähler.

Führer: Also ich kriege dann jetzt eine auf mich zugeschneiderte E-Mail von meinem Freund Barack oder wie?

van de Laar: Zum Beispiel, genau. Obama hat die E-Mail-Liste mit 25 Millionen Leuten drin, fast schon sein eigenes Mediennetzwerk, wenn man so will, und das ist nicht immer so, dass nicht jede E-Mail direkt zugeschneidert ist, aber wir wissen, dass junge Wähler andere Interessen haben als ältere Wähler. Zum Beispiel junge Wähler interessieren sich für die Gesundheitsversicherung, ältere Wähler für Social Security. Wie sieht es mit dem Irak-Krieg aus, mit dem Afghanistan-Krieg? Das heißt, da kommen durchaus unterschiedliche Botschaften zusammen. Obama hat letztes Jahr viel für die Schulreform gemacht, und vor allem, wenn es darum ging, wie Stipendien finanziert werden. Das ist natürlich ein Thema, dass junge Leute durchaus mehr mobilisiert als jetzt, sagen wir, 50-plus-Leute. Insofern, da werden die Botschaften schon sehr, sehr genau zusammengeschneidert.

Was wir aber nicht vergessen dürfen, ist vor allem, es geht nicht mehr nur darum, die eigenen Wähler noch mal zu erreichen. Wir wollen ja an die neuen Wähler rankommen, die noch nicht in unserem Netzwerk sind. Und dadurch, dass wir eben diese ganzen Facebook-Daten haben – wenn ich mich auf der … vielleicht wird das jetzt ein bisschen zu komplex, aber ich versuche, es runterzubrechen. Wenn ich mich auf der Obama-Seite einwählen will, kann ich das entweder ganz normal mit meiner E-Mail-Adresse und meinem Passwort machen, oder ich tu es mit dem sogenannten Facebook Connect. Das heißt, ich wähle mich ein durch meinen Facebook-Account. Was das erlaubt, ist der Obama-Kampagne nicht nur auf die Daten zuzugreifen, aber auch auf den Profilen dieser 25 Millionen Leute zu posten. Das heißt, Obama sagt nicht nur, ich will euch als Unterstützer haben, aber ich benutze euch als Multiplikatoren und gebe euch da nicht nur die Inhalte vor, die ihr posten könnt, sondern vielleicht gehe sogar weiter und poste direkt auf eurer Seite, direkt in die Profile von euren Freunden.

Führer: Der us-amerikanische Internetwahlkampf ist unser Thema mit Julius van de Laar im Deutschlandradio Kultur. Herr van de Laar, mir wird ja ein bisschen schwiemelig, muss ich sagen, bei dem, was Sie schildern, in den USA ist das offensichtlich kein Problem. Das hört sich so genau und beängstigend an, dass ich mich frage, ob die bessere Datenbank inzwischen wichtiger ist als der bessere Kandidat.

van de Laar: Ich kann Sie beruhigen, im Endeffekt gilt immer noch der Satz, der auch Clintons Wahlkampf geprägt hat. "It’s the economy, stupid!" Ich glaube, die Themen sind in erster Linie ausschlaggebend. Wir sehen das jetzt gerade, Obama hat wieder einen leichten Bump in seinen Umfragewerten bekommen, er ist – wie gesagt, war über 50 …

Führer: Etwas gefallen.

van de Laar: Ja, er war erst über 50 Prozent, dann kamen die Benzinpreise, die angezogen sind, und schon gehen die Umfragewerte wieder ein bisschen runter. Insofern, für die Kampagnenstrategie und, ja, für die Mobilisierung ist es wichtig, Datensätze zu haben. Insgesamt ist es aber die Botschaft, es ist die Lage der Nation, die ausschlaggebend ist. Gelingt es Obama, die Arbeitslosenzahlen unter 8,3 Prozent zu bekommen, weiterhin wirtschaftliches Wachstum nach vorne zu bringen – das sind diese Themen, die die Wähler interessieren.

Führer: Na gut, und vielleicht auch die Frage, wem man dann sozusagen die Verantwortung dafür zuschieben kann. Ich frage mich gerade, wie wichtig ist denn – wenn wir jetzt noch mal wieder beim Wahlkampf jetzt doch bleiben – wie wichtig ist denn der Wahlkampf im Netz, im Internet überhaupt in den USA, oder ist es nicht so, dass doch weiterhin das Fernsehen die eigentliche, die große Macht ist?

van de Laar: Natürlich ist das Fernsehen – also war es auf jeden Fall auch 2008, auch dieses Jahr spielt Fernsehen eine enorme Rolle. Wenn wir uns anschauen, was die Republikaner insbesondere auch jetzt gerade in Fernsehwerbung ausgeben, es ist gigantisch. Die Republikaner, gerade wenn wir auch mal auf den republikanischen Vorwahlkampf schauen, da ist ja fast jede Woche ein anderer Bundesstaat. Und da habe ich natürlich nur die Möglichkeit reinzugehen in die großen Medienmärkte, und die 30-Sekünder und die Ein-Minuten-Spots zu kaufen zur besten Sendezeit.

Gerade wenn wir uns Mitt Romney anschauen, der wahnsinnig viel Geld investiert – gerade vorgestern wurde in Illinois gewählt, in dem Bundesstaat Illinois, da hat Mitt Romney 12 Dollar pro Wählerstimme ausgegeben in Fernsehwerbung de facto. Das heißt, da spielt Fernsehen weiterhin eine gigantische Rolle. Die Frage ist nur, wie wird dieser Content dann am Schluss geshared [geteilt]. Ich kann dasselbe Fernsehvideo noch mal auf Youtube hochladen, kann das an meine 20-Millionen-E-Mail-Liste schicken, und meine Freunde bitten, das noch mal in den eigenen sozialen Netzwerken zu verbreiten. Insofern, ich habe einfach durch das Internet einen gigantischen Multiplikator, der auch immer relevanter wird.

Führer: Kurz zum Schluss, Herr van de Laar: In Deutschland nutzen die Politiker natürlich inzwischen auch das Netz, und sie twittern rum, und wir haben die wöchentliche Videobotschaft der Kanzlerin – trotzdem ist die Bedeutung, das, glaube ich, kann man einfach so behaupten, sehr gering. Was meinen Sie, warum, und ob es vielleicht ein Nachteil ist? Das ist ja auch noch die Frage.

van de Laar: Ich glaube, das Potential ist durchaus noch nach oben offen in Deutschland, vorsichtig gesagt. Wir dürfen aber nicht vergessen, in Deutschland gibt es einfach eben andere Ressourcen für einen Online-Wahlkampf, aber es ist oft so, dass das noch nebenbei gemacht wird, es ist keine Stabsstelle in den meisten Abgeordneten-Büros oder auch in den unterschiedlichen Parteien. Es gibt einfach deutlich weniger Ressourcen, die dafür ausgegeben werden. Bei uns spielt es nicht eine genau so große Rolle, dennoch glaube ich, dass da wahnsinnig viel mehr gemacht werden kann. Wir schauen uns das mit dem E-Mail-Verteiler an, das ist kein Zauberwerk, dafür müssen wir gar keine Daten sammeln, dafür müssen wir uns gar nicht in Graugebiete des Datenschutz bewegen, sondern E-Mail-Adressen sammeln, unsere politischen Botschaften verbreiten – aber dafür ist natürlich auch erst mal die Grundvoraussetzung, dass wir wirklich zugespitzte politische Botschaften haben, sonst passiert da im Internet auch relativ wenig.

Führer: Vielleicht ist das das Problem.

van de Laar: Vielleicht ist das das Problem.

Führer: Das war der Politikberater Julius van de Laar, danke Ihnen herzlich, Herr van de Laar!

van de Laar: War schön, bei Ihnen zu sein!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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