Ein Zeichen setzen

Von Ralf Bei der Kellen |
Mitte 2007 wurde ein Kloster des Franziskanerordens in der Nähe des ehemaligen Konzentratrionslagers Esterwegen gegründet. Das war neuartig, da die meisten Klöster in der Nähe von Konzentrationslagern bislang von anderen Ordensgemeinschaften betrieben wurden. Dabei sollen die vier Schwestern, die eine kleine Kapelle und die Gedenkstätte betreiben, ein versöhnendes Gegengewicht zu dem grausamen Ort bilden.
„Wohin auch das Auge blicket
Moor und Heide nur ringsum
Vogelsang uns nicht erquicket
Eichen stehen kahl und stumm.“


Wenn man sich von Süden dem Landkreis Emsland nähert, begreift man ziemlich schnell, was die Texter dieses Liedes mit der ersten Zeile gemeint haben. Die Landschaft ist karg, fast trostlos. Während der Nazizeit befanden sich in dieser Region die sogenannten Emslandlager. In einem von ihnen entstand bereits 1933 dieses berühmteste aller Lagerlieder.

„Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten.“


„Ganz dominant ist die lange Straße, West-Ost, fast einen halben Kilometer lang, die die Straße durch das gesamte Lager Esterwegen war, sowohl durch den Wachmannschaftsbereich, in dem wir jetzt hier stehen, als auch durch den Häftlingsbereich. Das war der Weg, den sie nehmen mussten, um zu ihren Unterkünften zu kommen und wieder zurück, um im Moor arbeiten zu gehen. Also: Ein Leidensweg, denn auf der Straße wurden sie sehr malträtiert.“

Dr. Andrea Kaltofen ist beim Landkreis Emsland zuständig für die Gedenkstätte im Aufbau auf dem Gelände des ehemaligen KZs Esterwegen. Vor kurzem hat sie vier ungewöhnliche Nachbarn bekommen.

„Als wir das erste Mal nach hier kamen, um überhaupt zu sehen mit dem Generalvikar: Wo kommen wir hin? Und es war neblig, kalt, es war Februar, da war es uns nicht, innerlich nicht gut zumute so. Und das war das Gute, dass unsere Provinzoberin immer gesagt hat: Ihr könnt noch überlegen, auch mit diesem Gefühl. Wollt ihr wirklich an diesem einsamen Ort? Und auch mit dieser Geschichte.“

Schwester Jacintha ist 68 Jahre alt und stammt aus den Niederlanden. Zusammen mit drei anderen Franziskanerinnen lebt sie seit Pfingsten 2007 in einem zum Kloster umfunktionierten Verwaltungsgebäude auf dem stillgelegten Bundeswehrdepot neben der Gedenkstätte. Neben der Gemeindearbeit wollen sie eine Anlaufstelle für Besucher der Gedenkstätte sein. Initiator des Projektes war der Generalvikar des Bistums Osnabrück, Theo Paul.

„Ich bin damit aufgewachsen, dass meine Eltern immer sehr konkret auch aus der Nazizeit erzählten. Das hing ganz stark damit zusammen, dass ein Onkel, der auch Priester war, angezeigt worden ist und dann weggekommen und umgekommen in Russland. Und die ganzen Geschichten und die Not auch meiner Eltern auch damit umzugehen, das hat mich sehr stark geprägt, sodass das ein Teil meiner Lebensgeschichte ist.“

Wie Theo Paul haben auch die Schwestern einen persönlichen Bezug. Die 69-jährige Schwester Veronika stammt gebürtig aus dem Oldenburger Land. Sie kann sich noch gut an die Bedeutung des Namens Esterwegen erinnern.

„Ich weiß, dass ich Kind war und meine Mutter zum Vater sagte: Oh, da kommt wieder ein ganzer Transport hin. Und dann hab ich plötzlich vier Ohren bekommen, wollte wissen, wohin. Aber die Eltern wollten es uns ja nicht sagen. Vater gab dann eine Rückantwort zu Mutter: Oh, wer da einmal hinkommt, kommt nicht zurück. Und das hat mich sehr bewegt über Jahre. Aber mehr wusste ich nicht von Esterwegen.“

Die Menschen, die von 1933 bis 1936 hier gelitten haben, stammten vorwiegend aus einem kommunistischen und daher nicht-christlichen Umfeld. In den öffentlichen Teilen des Klosters findet sich daher auch keine christliche Symbolik, da man die Opfer nicht postum vereinnahmen wollte. Es sollte eine „absichtslose Präsenz“ entstehen. Die wird bereits gut angenommen – nicht zuletzt von den Bewohnern der Gegend. Den Nonnen gegenüber öffnen sie sich, wie Schwester Jacintha berichtet.

„Also wir haben noch Zeitzeugen, die es gesehen haben. Ich habe ein ganz deutliches Beispiel, der sagte, er war mit Papa ins Moor und er war elf Jahre und er hat es immer noch vor sich und wo auch ein Häftling so festgebunden, abgemagert in der Sonne stand und hat er auch gesagt: ’Papa, wir müssen ihm losmachen.’ Und da hat er auch gesagt: ’Junge, wir können’s nicht.’ Und dann ist er doch hingegangen und sofort stand da einer mit einem Gewehr. Also, das sind Menschen, auch ältere Menschen, die auf einmal über ihre Geschichte erzählen können.“

„Das ist ganz, ganz wertvolles Wissen, gerade auch der kleinen Leute, die nicht so vorne in den Geschichtsbüchern stehen.“

Die neue Aufgabe ist eine große Herausforderung für die Schwestern. Ihr angestammtes Betätigungsfeld war in der Vergangenheit vor allem die Krankenpflege. Ihren heilenden Dienst sehen sie heute weiter gefasst.

Wir betreten den Gedenkraum. Hier steht der Text des Moorsoldaten-Liedes in großen Buchstaben an der Wand.

„Da holen wir unsere Häftlinge schon mit herein und geben sie wieder ein Gesicht, wo sie kein Gesicht mehr hatten.“

Dahinter liegt der „Raum der Sprachlosigkeit“. An den Wänden befinden sich Gitter, in der Mitte steht auf alten Schienen eine Lore – die gelegentlich auch als Altar dient. Hier können die Besucher über das Erlebte nachdenken.

Der Raum mit der kleinen Kapelle für die Schwestern ist ähnlich karg. Auffallend ist lediglich das große asymmetrische Holzkreuz, das von einem Bildhauer gestaltet wurde. Dort, wo sich üblicherweise die Herzmitte der Jesusfigur befindet, ist eine seltsame Verfärbung zu sehen.

„Wenn in Eiche, frische Eiche, ein Metallstück hereingeschlagen wird, dann ist das Blausäure, dann blutet das Holz. Hier hat er ein Stück Holz gefunden, einen Baum in der Eifel. In der Eifel hat Deutschland mit Amerika bis zum Kriegsende noch sehr gefochten. Und da sind sehr viel Bäume noch mit Granatsplitter.“

Trotz seiner Verwundung lebte der Baum weiter. Auch die Schwestern leben an einem verwundeten Ort – und wirken heilend. Mit ihrer Präsenz setzen sie ein Zeichen. Und das wird verstanden, wie man aus den vielen Einträgen in das Gästebuch lesen kann.

„Hier: ’Die Art und Weise der Gestaltung dieses Ortes ist geeignet, Schande zu tilgen und Würde wiederherzustellen.’ Also, es macht was mit den Menschen. Man liest es ja.“