Ein Wurstkleid für die Diva

Von Natascha Pflaumbaum |
Leoš Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos" erzählt die verzwickte Geschichte eines langwierigen Erbschaftprozesses. Der britische Regisseur Richard Jones hat sie an Frankfurt inszeniert, doch die Geschichte wird durch einen einzigen Missgriff unfreiwillig ausgebremst.
Zu Beginn sieht es so aus, als habe der britische Regisseur Richard Jones einen kleinen Ostergruß ans Publikum versandt. Noch bevor die Ouvertüre zu "Die Sache Makropulos" beginnt, tummelt sich eine Horde Legehennen – echte Legehennen – grotesk murmelnd auf der Bühne der Oper Frankfurt. Ein junges Mädchen kommt, um die Hühner zu füttern, Eier einzusammeln, wird dann von einigen Männern in dunklen Samtkleidern und weiß gestärkten Rundkragen gezwungen, einen Trank herunterzuschlucken. Krachend, wie der Kommentar auf ein unheilvolles Geschehen, bricht daraufhin die Ouvertüre zu Leoš Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos" herein.

Dieser feine Humor (auch eine Anspielung von Janáčeks Liebe zu Tieren), dazu die verknappte Szene und diese mit großer Geste aufbrechende Musik: das war schon ein sehr beeindruckender und mitreißender Beginn dieser Frankfurter Inszenierung von "Die Sache Makropulos". Da wurden Tempo und ein Geist vorgegeben, der Gutes verhieß, die Musik stob unter dem Dirigat von Friedemann Layer kraftvoll voran, fein ausformuliert bis in die kleinsten Anspielungen, die musikalischen Gesten, immer voller Atmosphäre – Strauss, Weill, Folklore: alles da –, so dass man schon zu Beginn geneigt war, mehr hören zu wollen als sehen zu müssen. Das blieb auch bis zum Ende so. Friedemann Layer lässt das Werk wie ein symphonisches Orchesterstück spielen, gut und gerne drängt er die Sänger in den Hintergrund, die, wenn sie eher kleinere Stimmen haben, wie Paul Groves, der den Albert Gregor singt, anfangs wirklich Mühe haben, über den Orchesterklang zu kommen, geschweige denn, sich mit ihm zu mischen.

Szenisch wird die Geschichte nach dem kleinen fulminanten Vorspiel leider unfreiwillig ausgebremst, und zwar durch ein einziges Kostüm. Ein regelrechter Missgriff. Die, die nämlich die unheilvolle Geschichte dieser Oper von dem verschwundenem Testament und der damit verbundenen Formel für den Ewigkeitstrank, in Gang bringen muss, also die Diva E.M., diese wunderschöne, alle bezaubernde Diva E.M., hat der Kostümbildner Anthony McDonald in ein so enges, braunes Wurstkleid gesteckt, dass sich Susan Bullock, die E.M. singt und spielt, gut zwei Akte lang nur beschwerlich und statuenhaft bewegen kann. Grotesk wirkt ihr konkonähnliches Kostüm, es ist, als winde sie sich kleinschrittig drehend über die Bühne. Als sie sich einmal zu einem Flirt auf einen Schreibtisch setzen muss, schiebt sie sich so bar jeder Erotik auf die Kante, dass man sich ihren Liebreiz wirklich massiv hinzufantasieren muss.

Wer Bullocks Bühnenpräsenz im Frankfurter "Ring" erlebt hat, wer weiß, wie ihre Stimme aus ihrem Spiel erwächst, erkennt die Frau hier nicht wieder. Vielleicht ist ihre Stimme darum auch anfangs so klein und brüchig und mädchenhaft hell, wie abgeschnürt mitunter. Zum Glück ändert sich das in den letzten 20 Minuten dieser Inszenierung. Da trägt sie auch ein anderes Kostüm und kann barfuß "derwischen".

Anthony McDonald hat die Kostüme entworfen und auch die Bühne eingerichtet: alles im Stil der 20er-, 30er-Jahre. Das schwarze Bakelit-Telefon mit Wählscheibe verweist symbolhaft auf die Zeit. Die vier Akte spielen in einem großen kargen Raum mit Durchsicht auf einen Flur, in dem Anwaltsgehilfen ihre Schreibarbeiten erledigen: ein Büro, vielleicht aber auch das Foyer einer Nervenheilanstalt, dann wieder die Garderobe der E.M. Schreibtisch, Schrank und Kamin reichen als Möbel. Der Raum wechselt seine Anmutung durch deutliche künstliche Farb-Lichtsymbolik (Licht: Mimi Jordan Sherin). Etwas kafkaesk soll das anmuten, wie auch die ambitionierte These, die Richard Jones mit seiner Inszenierung von "Die Sache Makropulos" formuliert: ewige Jugend, gegenwärtig ja das Glücksverheißungsklischee schlechthin, macht den Menschen schlecht.

So entpuppt sich die Diva E.M. allmählich als Sadistin, die nicht lieben kann, Menschen verletzt, verhöhnt, beleidigt. In Frankfurt ist sie eine einsame Zynikerin, die ihre unzähligen Verehrer dauerrauchend hinwegpafft. Jones scheint es evident zu finden, dass Menschen, die zu ewigem Leben verdammt sind, die Werte des Lebens nicht schätzen und darum pausenlos unterwandern, anstatt ihre "Ewigkeit" zu genießen. Warum das so ist oder sein muss: darauf gibt er keine Antwort. Und das ist das Problem dieser Inszenierung.

Richard Jones legt zwar diesen singulären, individuellen Fall eines ewigen Lebenswunsches akribisch dar, weil er aber das Ende der Inszenierung offen lässt und so keine Stellung bezieht, und weil er nicht den Versuch unternimmt, E.M.s Zynismus psychologisch zu hinterfragen, nimmt man aus dieser Fallstudie nur wenig mit. Diese Inszenierung ist eben nicht mehr als nur die Erzählung einer gescheiterten Geschichte vom Ewigkeitswunsch. Eine vertane Chance in einer Zeit, in der das Thema "ewiges Leben" in Form von Verjüngung verheißender plastischer Chirurgie das Gesicht einer ganzen Gesellschaft verändert.