Ein Wertkonservativer und sein Scheitern im Bundestag

Markus Feldenkirchen im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 05.08.2013
Markus Feldenkirchen hat es gereizt, einen erzkonservativen Politiker im heutigen eher liberalen politischen Berlin zu beschreiben. "Da kommt halt dieses Leiden an unserer Zeit und diese Verdruckstheit" - genau das habe er schildern wollen.
Klaus Pokatzky: Keine Experimente - das war der Wahlkampfschlachtruf der CDU im Bundestagswahlkampf 1957, vor 56 Jahren. Die Union bekam am Ende 50,2 Prozent der Wählerstimmen und einmalig eine absolute Mehrheit. "Keine Experimente", das ist der Titel eines Gesellschaftsromans des "Spiegel"-Reporters Markus Feldenkirchen, der uns in ein sauerländisches Dörflein namens Waldhagen führt, vor allem aber in das Innenleben der Berliner Republik. Willkommen im Studio, Markus Feldenkirchen!

Markus Feldenkirchen: Vielen Dank!

Pokatzky: Ich versuche jetzt, eine Inhaltsbeschreibung von 398 Seiten in nicht ganz 20 Sekunden:

Feldenkirchen: Wow!

Pokatzky: Mann mit Frau und zwei Kindern trifft neue Frau, Mann verfällt der neuen Frau und verlässt alte Frau und die zwei Kinder. Mann ist Bundestagsabgeordneter der CDU mit solch altmodischen Familienvorstellungen, dass die Kanzlerin ihn persönlich zurück ins Glied staucht. Aber am Ende winkt für alle ein Happy End. Korrekt?

Feldenkirchen: Das Ende soll zwar offen bleiben, aber Sie haben das ausgezeichnet zusammengefasst.

Pokatzky: Ich bin beglückt. Und damit kommen wir zu Frederik Kallenberg. So heißt der Abgeordnete aus dem Sauerland - der Mann kämpft allein auf weiter Front für ein Müttergeld, damit die nicht arbeiten müssen. Und Frederik Kallenberg wirkt, als wäre er in das Jahr 2013 aus dem Jahr 1957 gefallen.

Feldenkirchen: Ja, er ist schon ein sehr, sehr spezieller Charakter, ein Sonderling. Und das war für mich die große Herausforderung, einen wirklich Wertkonservativen mit zu porträtieren, zu schildern, und ihn in unsere heutige durchliberalisierte Zeit zu versetzen und ihn dort loslaufen zu lassen - im politischen Milieu, aber auch durch das Privatleben -, und schauen, was einem solchen wirklich wie aus der Zeit gefallen wirkenden Protagonisten in unserer Gegenwart geschieht.

Pokatzky: Wenn wir ihn erleben, könnten wir denken, unverheiratete Frauen heißen noch Fräulein, und verheiratete Frauen dürfen kein Bankkonto eröffnen und keinen Arbeitsvertrag abschließen ohne Zustimmung ihres Mannes. Ist das nicht doch ein bisschen dick aufgetragen?

Feldenkirchen: Ich glaube nicht, dass er - Frederik Kallenberg - solche Ansichten noch offensiv vertritt, auch ...

Pokatzky: Nicht offensiv.

Feldenkirchen: Nicht offensiv - nein, aber das ist doch das Interessante, hin und wieder begegnet man ja solchen Exemplaren, auch in unserer heutigen Zeit, bei denen man so den Eindruck hat, hm, der würde sich in den 50er-Jahren wohler fühlen als bei uns im Jahre 2013, und bei diesen Exemplaren merken Sie dann auch immer dieses Verdruckste gegen alle modernen gesellschaftlichen Phänomene. Man merkt, sie fühlen sich nicht wohl damit, dass jetzt die Schwulen auch noch heiraten dürfen, also ...

Pokatzky: Oder Schützenkönig werden - im Sauerland!

Feldenkirchen: ... oder sogar Schützenkönig werden.

Pokatzky: Noch schlimmer.

Feldenkirchen: Genau, das ist also aus dieser Sicht der absolute Kulturbruch, aber sie wissen natürlich auch, was sich in der heutigen Zeit gehört und was man nicht mehr klar aussprechen darf. Und da kommt halt dieses Leiden an unserer Zeit und diese Verdruckstheit - und diese zu schildern, darum ging es mir unter anderem.

Pokatzky: Der katholische Abgeordnete Frederik Kallenberg trifft bei einer Diskussion in der Freien Universität Berlin auf die zeitgenössisch-feministisch-grün-alternativ-lebenslustige Studentin Liane und verfällt ihr. Und damit steht er jetzt vor zwei fraulichen Fronten gegen sein Familienbild. Da ist einmal die neue Geliebte, und da ist die alte Kanzlerin. Wer ist gefährlicher für Frederik Kallenberg?

Feldenkirchen: Machtpolitisch natürlich die Kanzlerin, aber da es vor allem um die Frage geht, was sind geeignete Lebensmodelle letztlich zum Glücklich Sein, ist natürlich eine Frau, die ein völlig anderes Konzept vertritt, als er, der ganz früh versucht hat, sein Leben wasserfest zu machen, in feste Bahnen zu lenken und sich möglichst viele Regeln zu geben, damit nichts schiefgehen kann, also keine Experimente als Konzept. Ein solcher Typ ist natürlich besonders gefährdet, wenn dort eine sehr ungebunden lebende Frau, die auch der Überzeugung ist, dass lebenslange Liebe ein Konstrukt von Hollywoodregisseuren ist, aber eben praktisch nicht mehr zu leben ist, und diese beiden Figuren - unterschiedlicher könnten sie kaum sein - treffen dort aufeinander. Und wenn man dann weiterliest, ist wahrscheinlich diese Liane Berg, so heißt sie im Roman, noch gefährlicher als die nicht genannte Kanzlerin.

Pokatzky: Nicht genannte Kanzlerin, aber wir alle wissen, wer die Kanzlerin ist, die nun auch noch ganz besonders gefährlich ist. Sie zitiert den Frederik Kallenberg, sie flößt ihm Eierlikör ein - oder sie lässt ihn freiwillig trinken, ich weiß -, und dann gibt es die Belehrung, dass es zwei Arten von Konservativen gibt für ihn: die Unglücklichen, die nur an ihrer Sehnsucht nach dem Vergangenen leiden, und die Schlauen, die einfach zu klug sind, um dem Vergangenen dauernd hinterher zu trauern. Ist das ihr - Markus Feldenkirchen - Abgesang auf das Konservative?

Feldenkirchen: Es soll kein Abgesang sein, sondern wiederspiegeln diesen Suchprozess, in dem sich Konservative immer schon befunden haben. Und auch jetzt die ganzen Konflikte der Kanzlerschaft Angela Merkels zum Beispiel, die es dort gab mit ihrer eigenen Partei, das ist ein Ringen darum, wie viel von Positionen, die wir mal für richtig befunden haben, können wir uns in der heutigen Zeit noch leisten, welche sind angemessen, und da gibt es halt diejenigen, die sagen, alles, was früher war, war gut so, und deshalb möchten wir da auch keine Abstriche machen, und dann gibt es halt Leute, wie die Kanzlerin in diesem Roman - eine Neigung, zu der ich auch neige -, klug, aufgeklärt, immer wieder überprüfen, welchen Wert lohnt es sich zu bewahren und welcher Wert hat sich überholt.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Markus Feldenkirchen, Berliner "Spiegel"-Reporter, über seinen Gesellschaftsroman "Keine Experimente". Welche journalistischen Erfahrungen, Kollege Feldenkirchen, sind von Ihnen in dieses Buch eingeflossen? Gibt es in einem solchen Roman überhaupt noch Grenzen, wenn es darum geht, den Politikbetrieb darzustellen? Oder können Sie da machen, was Sie wollen?

Feldenkirchen: Ich gebe zu, dass Milieu eines kleinen, verlassenen Dorfes im Sauerland anschaulich zu schildern, hat mir mehr Mühe bereitet, weil ich dort extra zwei Wochen hingefahren bin und mir alles angeschaut habe. Das politische Berlin ist mir natürlich vertrauter, ich arbeite seit vielen Jahren als Parlamentsreporter, und der Versuch war es hier, anders als das im Journalismus manchmal möglich ist, die ganzen Nöte und Zweifel eines Abgeordneten darzustellen, der ja, wie fast alle Abgeordneten, erst mal mit einem richtig guten, positiven Impuls nach Berlin kommt. Er denkt, jetzt bin ich endlich da, wo ich etwas bewegen kann, wo ich die Weichen so stellen kann, wie ich glaube, dass es für die Gesellschaft besser ist, und der dann immer wieder vor sichtbare oder unsichtbare Schranken rennt. Und diese Erfahrung der Ernüchterung zu schildern, das war mir ein Anliegen, und ich habe sie halt in vielen Hintergrundgesprächen mit realen Abgeordneten auch immer wieder gespürt, die sich so natürlich nicht zitieren lassen.

Pokatzky: Ihre Artikel über Politiker sin nicht unbedingt immer sehr liebevoll, um das so zu nennen. Sie pflegen eine spitze Feder und das scharfe Wort, unterschwellige Ironie, ganz egal gegen welche parteipolitische Richtung. Wollten Sie jetzt endlich mal einen richtig sympathischen Politiker beschreiben, der Ihnen von der Realität immer so verwehrt wird?

Feldenkirchen: Das Bemühen, Leuten gerecht zu werden, ist, glaube ich, immer vorhanden, egal ob man journalistische Artikel schreibt oder einen Roman, aber diese 400 Seiten bieten natürlich die Gelegenheit, noch differenzierter auf einen Betrieb beziehungsweise auf einen einzelnen Abgeordneten zu schauen, wie das in der allein von der länge begrenzten Form des Journalismus manchmal nicht möglich ist. Wenn Sie das so empfunden haben, dass ich diesen Abgeordneten Kallenberg sympathisch beschrieben habe, dann freut mich das, weil ehrlich gesagt, das war schon eine ziemliche Herausforderung, einen, der Positionen hat, wo, glaube ich, 90 Prozent der Leute heutzutage sagen würden, das geht ja gar nicht, und was ist das für ein Reaktionär, dass man trotzdem zumindest ein Grundverständnis für ihn und seine Ansichten hat und zumindest weiß, warum ist dieser Kerl so geworden, das kann ich nachvollziehen. Das war halt eine Herausforderung, aber das war mir auch wichtig.

Pokatzky: Aber er bleibt ja nicht der Reaktionär, beide Frauenfronten hält er nicht aus. Seinen einsamen Müttergeldantrag zieht er am Ende ja zurück. Bemitleiden Sie ihn nun, halten Sie ihn für naiv, ist er ein tragischer Held?

Feldenkirchen: Ein tragischer Held ist er für mich. Er hat auch naive Elemente, aber vor allem ist er für mich ein großer Idealist. Das Wort Idealismus in der Politik fällt ja, oder benutzen wir viel öfter bei linken Strömungen, Leute, die die Welt beglücken wollen mit dem Sozialismus, mit der absoluten Gerechtigkeit. Mein Protagonist ist ein konservativer Idealist, der wirklich tief davon überzeugt ist, wenn wir uns wieder auf ein paar Grundwerte besinnen, dass dann alle glücklicher werden, und dass zum Beispiel der Feminismus - so sagt er, so sage nicht ich es, aber dass der Feminismus letztlich ein Unglück über die Menschen gebracht hat.

Pokatzky: Je nachdem, welchen Feminismus - er schildert zwei wesentlich verschiedene: Sie beschreiben ja Alice Schwarzer, auch wenn die einen anderen Namen hat, genau so wie Sie die Kanzlerin beschreiben, ohne dass sie einen Namen hat - egal. Sie haben fast 500 Artikel geschrieben oder mitgeschrieben in den letzten 15 Jahren: erst in der "Süddeutschen", dann im "Tagesspiegel", jetzt im "Spiegel", und dann hatten Sie noch Zeit für zwei Romane. Den ersten haben Sie vor drei Jahren geschrieben, eine Liebesgeschichte, "Was zusammengehört". Wie schaffen Sie das? Haben Sie eigentlich noch ein Privatleben?

Feldenkirchen: Ich bemühe mich drum, aber Sie haben natürlich einen wunden Punkt berührt. Die Leidenschaft zum Schreiben ist so groß, dass ich auch Teile meiner Freizeit dafür widme. Ich sage immer, Kollegen gehen gerne Golf spielen oder machen anderes, ich schreibe in dieser Zeit, aber Sie brauchen keine Sorge haben, also ein Privatleben findet schon noch statt.

Pokatzky: "Keine Experimente", der Roman von Markus Feldenkirchen ist erschienen im Verlag Kein und Aber mit 398 Seiten und kostet 22,90 Euro. Danke, Markus Feldenkirchen!

Feldenkirchen: Danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.