Ein wenig zeitgemäßes Stück

Von Bernhard Doppler · 30.07.2008
Wie bei allen seinen Werken für das Musiktheater hat der Autor Karl Krenek auch für seine Operette "Kehraus um St. Stephan" das Libretto verfasst. Der Ausgangspunkt des Stücks ist bestenfalls schwarze Komik: Der Selbstmordversuch eines k. u. k. Rittmeisters nach Ende des Krieges.
"Operette im Kornmarkttheater" heißt seit fünf Jahren ein fester Programmpunkt der Bregenzer Festspiele; Intendant David Poutney ist es dabei Jahr für Jahr gelungen, anspruchsvolle Raritäten auszugraben und mit dem Schwerpunktthema des jeweiligen Jahres zu verbinden. Nach Kurt Weill und Benjamin Britten nun auch eine Operette von Ernst Krenek, um den sich die Festspiele 2008 drehen. Operette "Kehraus um St. Stephan" von der Bezeichnung strenggenommen nicht, Krenek hat sein erst 1990, knapp vor seinem Tod in Wien uraufgeführtes, aber 60 Jahre zuvor, 1930, komponiertes Werk "Satire mit Musik" genannt.

Der Ausgangspunkt ist auch gar nicht komisch, bestenfalls schwarze Komik: Der Selbstmordversuch eines k. u. k. Rittmeisters nach Ende des Krieges. Man ist dem Töten des Kriegs entronnen, aber will im Frieden nicht mehr weiterleben. Doch der schon an einem Baum baumelnde Körper des Rittmeisters kann wiederbelebt werden. Die Polizei sieht den Fall anders, geht vom Tod des Rittmeisters aus und ist auf der Suche nach seiner Leiche. Als der Rittmeister später persönlich in der Polizeistation vorsprechen muss, wird zunächst von ihm sein eigener Totenschein verlangt, und schließlich unterwiesen, wenn er das nächste Mal sterben wolle, besser auf seine Leiche zu achten.

"Kehraus um St. Stephan" ist nicht leicht einzuordnen. Wie bei allen seinen Werken für das Musiktheater hat Krenek selbst das Libretto verfasst, und zwar mit großem Ehrgeiz. Er wird wohl an eine jener mit Lokalkolorit versehenen kritischen Volksstücke gedacht haben, wie sie um 1930 beliebt waren, man kann an Carl Zuckmayers "Fröhlichen Weinberg" oder Ödön von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" denken. Es gibt Winzer, Geschäftemacher, Presseskandale, Arbeiterführer, Prostituierte und Frauen, die sich unmittelbar nach dem Krieg mit einer Boutique selbständig machen - und einen unangenehmen deutschen Industriellen. Mit "Kehraus um St. Stephan" beginnt eine Reihe von Werken, mit denen Krenek seine patriotische Österreich-Verbundenheit demonstriert und sie gegen die Deutschen ausspielt. Aber war der austrofaschistische Ständestaat wirklich eine Möglichkeit des Widerstands gegen die nationalsozialistische Gefahr?

Die Inszenierung und Ausstattung von Michael und Nora Scheidl gehen behutsam mit "Kehraus in St. Stephan" um, ohne aufwendiges Bühnenbild, ein Heiligenbild am Wegrand, eine allegorische Figur wie der Sensenmann. Sie setzten zum Glück nicht auf plumpe aktualisierende kabarettistische Anspielungen, auch wenn manche Österreich-Skandale, die Krenek beschreibt, ihre Aktualität durchschimmern lassen. Sehr spielfreudig das Ensemble – meist von der Wiener Volksoper, die wie auch das Theater Luzern koproduziert hat. Von den vielen Rollen besonders gefordert. Roman Sadnik als ehemaliger Rittmeister.

Trotz aller Unterschiede zur herkömmlichen Operette, ist es aber dennoch sinnvoll, sie in diesen Zusammenhang zu erproben. Kreneks Musik ist sicherlich - im Gegensatz zu Kompositionen von Benatzky und Lehar ganz auf der Höhe einer anspruchsvollen Moderne, in Bregenz durch den Dirigenten John Axelrod dynamisch mit dem Vorarlberger Sinfonieorchester zur Geltung gebracht. Die Atonalität von "Karl V." – ein Jahr später komponiert – ist allerdings bestenfalls angedacht, in der Regel ist die Musik an "Jonny spielt auf" orientiert, dazu ein Schrammelquartett mit Ziehharmonika.

Und der Neuanfang, der 1930 im Finale beschworen wird, ist Nostalgie: das Kriegsende zwölf Jahre zuvor. Auch sonst gibt es streckenweise operettenhafte (?) Rührseligkeit, vor allem im zweiten Teil, Gebete der Winzertochter, Lebensweisheiten des Winzers, und eben viel Österreichpatriotismus. Vermutlich passt deshalb – trotz allem musikalischen Witzes und trotz satirischer Schärfe - "Kehraus um St. Stephan" heute wie 1930 nicht ganz in die Zeit.