"Ein wenig visionslos"

Sven Giegold im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der Forderung von EU-Kommissar Rehn nach schneller Absenkung der Haushaltsdefizite widerspricht der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Er bemängelt, dass Brüssel nichts gegen den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten tue.
Jörg Degenhardt: Portugal zapft den Kapitalmarkt an, auch Spanien ist im Visier der Finanzmärkte, Griechenland und Irland sowieso. Wer folgt als nächstes? Am Telefon begrüße ich den finanzpolitischen Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold. Guten Tag, Herr Giegold!

Sven Giegold: Guten Tag, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Auch die restlichen EU-Staaten werden im jährlichen EU-Wachstumsbericht, der heute in Brüssel von Währungskommissar Olli Rehn vorgestellt wird, dazu angehalten, noch härter zu sparen. Nur so könnten sie überhaupt wieder in die Nähe der erlaubten Schuldengrenze gelangen. Haben die Regierungen ihre Hausaufgaben nicht gemacht oder brauchen sie nach der Finanzkrise einfach mehr Zeit?

Giegold: Also die Verschuldung ist ja in der Europäischen Union bis vor der Krise gesunken, wenn wir mal von Griechenland absehen, was ein besonderer Fall ist. Die Finanzkrise hat dann überall die bestehenden Ungleichheiten zwischen den eher gut laufenden, reicheren Staaten und den aufholenden Staaten weiter verschärft, und in dieser Situation haben wir jetzt überall exorbitante Staatsverschuldung, und jetzt zu fordern, dass überall sehr schnell gespart wird, ist alleine, sage ich mal, ein wenig visionslos. Fraglos, die hohen Defizite sind nicht durchhaltbar, die gehen auf Kosten der zukünftigen Generationen, aber eine jetzt noch schärfere Sparpolitik ohne Rücksichtnahme auf die sozialen Folgen zu fordern, kann leicht in wirtschaftlich noch größeren Problemen enden.

Degenhardt: Ist der momentane Zustand in der Eurozone auch ein Indiz dafür, dass das Instrument der Haushaltskontrolle stärker forciert werden muss?

Giegold: Das passiert ja jetzt, und das ist auch richtig so. Also Europa hat jetzt ja ein neues Instrument eingeführt, das beginnt heute, das europäische Semester, das bedeutet, dass die nationalen Haushaltspläne praktisch im Vorlauf zu der nach wie vor bestehenden Souveränität der jeweiligen Länderparlamente, bei uns also des Bundestages, dass die vorher in Europa abgestimmt werden, damit endlich die Ziele, die europäisch vereinbart wurden – Bildung, Beschäftigung, Ökologie und so weiter –, auch angemessen eingeplant werden. Und heute ist praktisch der Start dieses Prozesses. Das ist also … Das Instrument der Haushaltskontrolle wird damit praktisch noch stärker europäisiert, als es ohnehin schon ist. Was bedauerlich ist: Dass in den aktuellen Vorschlägen praktisch keinerlei soziale oder ökologische Ambition zu erkennen ist.

Degenhardt: Rehn Was braucht es noch für Mittel und Wege? Muss die EU-Kommission vielleicht noch stärkere Finanzregeln beschließen, um den Euroraum zu stabilisieren?

Giegold: Ja, das zentrale Problem aus meiner Sicht ist: Die Ziele sind ja da, die Länder müssen ihre Verschuldung senken. Jetzt fordert die EU, sie müssen sie noch schneller senken, sie müssen die Defizite herunterführen. Was leider völlig außen vor ist, ist, dass wir uns in Europa nach wie vor einen intensiven Steuerwettbewerb leisten, und Haushalte kann man ja auf der Einnahmeseite und auf der Ausgabeseite sanieren. Die Kommission fordert jetzt noch striktere Reduktion der Sozialausgaben, der Löhne in den schwächeren Staaten, und umgekehrt tut sie aber nichts, um dafür zu sorgen, dass dieser exzessive Steuerwettbewerb, dass große Unternehmen, Kapitaleinkommen in der EU immer weniger besteuert werden, dass der endlich gestoppt wird. Und das ist bedauerlich, dass solche Vorschläge von der Kommission nach wie vor nicht in die Debatte gebracht werden.

Degenhardt: Brauchen wir denn auf der anderen Seite auch mehr Geld für den Schutzschirm, wie Olli Rehn, der Währungskommissar, das heute vorgeschlagen hat?

Giegold: Also ich denke letztlich, ob wir das Geld brauchen oder nicht, wissen wir nicht, aber eins ist sicher: Die Länder, die derzeit Finanzierungsprobleme an den Märkten haben – und wir haben ja gehört, 6,7 Prozent für Portugal für zehnjährige Staatsanleihen … Ein schwaches Land kann so hohe Zinsen nicht bezahlen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Mitgliedsländer günstiger finanzieren können, und das können wir nicht den Finanzmärkten alleine überlassen. Das Beste wäre natürlich, wenn man eine gemeinsame europäische Anleihe auflegen würde, das würde dafür sorgen, dass unsere Darlehen, die wir ja nach Portugal und nach Irland, nach Spanien und so weiter vergeben haben, dass die sicherer wären, weil wir könnten nämlich dann hoffen, dass die Staaten auch in der Lage sind, sie zurückzuzahlen. Bei diesen hohen Zinsen, wie wir sie jetzt haben, werden wir unser Geld vermutlich nicht vollständig wiedersehen.

Degenhardt: Herr Giegold, wagen Sie doch mal eine Prognose für 2011: Könnte dieses Jahr das entscheidende Jahr für den Euro werden?

Giegold: Also ich bin völlig sicher: Dieses Jahr ist das Schicksalsjahr für den Euro. Entweder, die europäischen Staaten rücken jetzt zusammen und überwinden ihre wirtschaftspolitischen Egoismen im Sinne der starken Zusammenarbeit und des starken Zusammenhalts des Euros oder der Euro wird so nicht zu halten sein. Aber diese Wirtschaftsunion ist möglich, wenn die entsprechenden Staatschefs jetzt den Mut haben, wirklich zusammenzurücken.

Degenhardt: Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament im Deutschlandradio Kultur. Ich bedanke mich für das Gespräch!
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