"Ein wenig Ernüchterung"

Moderation: Frank Capellan · 06.07.2006
Der geschäftsführende Vorstand des Bundesverbandes deutscher Banken, Manfred Weber, hat die Reformpolitik der großen Koalition kritisiert. Die Menschen reagierten mit Ernüchterung auf die Beschlüsse von Schwarz-Rot, sagte Weber am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur wenige Stunden vor der Präsentation einer Meinungsumfrage seiner Organisation zum Wirtschaftsstandort Deutschland in Berlin. Obwohl 35 Prozent der Befragten die wirtschaftliche Lage verbessert sähen, sei ihr Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politiker "äußerst gering", betonte er.
Frank Capellan: Herr Weber, ich vermute mal, ich weiß es nicht genau, die Weltmeisterschaft spielte bei der jüngsten Untersuchung noch keine große Rolle. Bedauern Sie als Finanzexperte eigentlich, dass Deutschland nicht mehr Weltmeister werden kann, oder halten Sie sowieso nichts von diesem Zusammenhang, der da immer aufgestellt wird, zwischen guter Stimmung im Land und Wachstumsimpulsen?

Manfred Weber: Nun, diesen Zusammenhang sollte man gewiss nicht überstrapazieren, aber zunächst mal freut man sich als Anhänger der deutschen Mannschaft, dass die alles in allem so gut gespielt hat und so weit gekommen ist. Ich glaube, die Weltmeisterschaft hat unserem Land insgesamt gut getan. Wir haben eine gute Visitenkarte abgegeben, die Stimmung im Lande hat sich aufgehellt, aber das auch unabhängig von der Weltmeisterschaft, und das ist natürlich wichtig, denn am Sonntag ist das Endspiel, dann ist die Weltmeisterschaft vorbei, die nächste kommt erst in vier Jahren. Die wirtschaftliche Situation und der wirtschaftliche Reformbedarf, das bleibt uns aber erhalten.

Capellan: Und da macht sich in der Tat Ernüchterung breit. Haben Sie das feststellen können bei Ihrer Befragung?

Weber: Nein, ich würde gar nicht Ernüchterung sagen, sondern wir stellen eher fest, dass die Bürgerinnen und Bürger die Situation alles in allem sehr realistisch einschätzen. So gehen beispielsweise inzwischen mehr Menschen davon aus, dass die wirtschaftliche Lage in Deutschland sich meinetwegen im Vergleich zu vor zwei Jahren deutlich verbessert hat. Man sieht, dass es mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht, das sagen durchaus 35 Prozent inzwischen, vor zwei Jahren waren es nur 18 Prozent. Andererseits sieht man aber auch - und das muss einem zu denken geben -, dass das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik nach wie vor äußerst gering ist. Das bezieht sich auf die generellen Aussagen, man sieht es aber auch bei speziellen Themen, beispielsweise der Konsolidierung des öffentlichen Haushaltes, dem Abbau der Arbeitslosigkeit und einer Reform des Gesundheitssystems.

Capellan: Also diese enormen Erwartungen, die ja viele gehegt haben an die große Koalition, die wurden enttäuscht?

Weber: Ja, und da trifft das Wort, das Sie eben verwendet haben, von der Ernüchterung durchaus zu. Die große Koalition ist ja mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet. Sie hat, wenn ich das Bild aus dem Fußball auch zeichnen darf, ihre Auswärtsspiele am Anfang auch souverän gewonnen, und das eigentlich bis heute. Aber es gibt eben auch Heimspiele, das ist die wirtschaftliche Lage, das ist die Reformpolitik, die hier konsequent fortgesetzt werden müsste, und hier sieht man ein wenig Ernüchterung. Dabei sind die Voraussetzungen an und für sich gut. Wir haben in diesem und im nächsten Jahr eine gute wirtschaftliche Entwicklung, die Menschen schauen wieder optimistischer in die Zukunft, nun muss aber auch politisch gehandelt werden.

Capellan: Die Impulse der Politik, die fehlen Ihnen?

Weber: So ist es. Das, was hier wirtschaftlich vorgelegt wird, nehmen Sie nur die aktuelle Diskussion um die Gesundheitsreform, kann nicht überzeugen. Das ist Stückwerk, das ist ein bisschen so die Maxime, heute gibt der diesem nach und morgen der andere jenem. Daraus wird alles Mögliche, aber gewiss keine konsistente Wirtschaftspolitik. Das spüren auch die Menschen.

Capellan: Aber ist das nicht zumindest ein Anfang, zum Beispiel ein Einstieg in die teilweise Steuerfinanzierung des Gesundheitsbereiches?

Weber: Wir sollten uns die Situation nicht schön reden. In erster Linie ist es das Erschließen neuer Einnahmequellen. Und diese Maßnahmen haben wir schon viel zu oft gehabt, es bringt uns nicht wirklich voran, ich sehe in der Gesundheitsreform keinen echten Strukturwandel, wir tun kaum etwas auf der Anbieterseite, wir sorgen kaum für mehr Transparenz und Wettbewerb, sondern noch einmal, es geht darum, etwas mehr Geld in die Kassen hineinzuspülen. Wir verhindern auch nicht, dass die Beitragssätze steigen, auch das wird einem zusätzlichen Aufbau von Arbeitsplätzen im Lande nicht gut tun.

Capellan: Also es liegt weiterhin einiges im Magen mit der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, haben Sie das feststellen können bei Ihrer Befragung?

Weber: Ja, wir müssen hier nach wie vor sehen, dass die Menschen in der realistischen Einschätzung der Unternehmen zwar schauen, dass die Wirtschaft auch durchaus wettbewerbsfähig ist. Die entscheidende Frage für uns mit Blick auf die Politik ist aber, was heißt das für das Land, was heißt das für Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland? Anders ausgedrückt, es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen, die ist aufgrund der Anstrengungen der letzten Jahre gut, das sehen wir daran, dass wir eben ja auch bekannterweise Exportweltmeister sind. Aber der Standort ist eben noch nicht wettbewerbsfähig. Hier brauchen wir die bekannten Strukturreformen, über die wir seit langem reden, die aber noch nicht richtig vorangekommen sind.

Capellan: Wie steht es denn generell um die Bereitschaft der Bürger, Reformen mitzutragen, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, beispielsweise eben im Gesundheitsbereich?

Weber: Hier zeigt sich das übliche Bild: Neun von zehn Bürgern gehen davon aus, dass die bisher eingeleiteten Reformen nicht ausreichen, um unsere wirtschaftlichen Probleme wirklich zu lösen. Schwierig wird es immer dann, wenn es konkret wird, das ist ja auch schon seit längerem bekannt. Hier muss man aber in Rechnung stellen, dass die Bürger schon so oft enttäuscht worden sind. Nehmen Sie wieder als Beispiel die Gesundheitsreform: Noch vor wenigen Jahren unter der rot-grünen Regierung wurde den Bürgern etwas präsentiert unter dem Stichwort Jahrhundertreform. Jetzt sind wir bei der nächsten Reform, und ich muss kein Prophet sein, um zu prophezeien, dass wir das, was wir heute hier machen werden, in wenigen Jahren wieder neu anpacken würden, weil es letztlich die Probleme nicht löst. Das merken auch die Bürger, und von daher steigt die Zustimmung zu Einzelmaßnahmen. Man sieht nicht mehr das Gesamtkonzept und damit auch nicht Licht am Ende eines Tunnels.

Capellan: Manfred Weber vom Bundesverband deutscher Banken. Herr Weber, haben Sie vielen Dank.