Ein Weltumsegler grüßt aus der Ferne
Sowohl Genuss als auch Qual war für Joachim Sartorius sein Schaffen als Dichter. Dieser Zwiespalt konnte in der ironischen Bemerkung gipfeln: "Das Gedicht versteht mich nicht." Sein Band "Hôtel des Étrangers" ist für den Leser keine einfache Kost, doch manchmal erhält er sogar einen kleinen Einblick in des Künstlers Leben.
Joachim Sartorius, eine singuläre Erscheinung im deutschen Kulturbetrieb, ist ein Kosmopolit mit vielen Talenten. Geboren wurde er 1946 in Fürth, zur Schule ging er in Tunesien, Kongo, Kamerun. Das Abitur machte er in Bordeaux, dann hat er in drei Ländern Jura studiert. Zwölf Jahre lang, bis 1986, war Sartorius als Diplomat unterwegs - in New York, Ankara, Nikosia. Später leitete er das Münchner Goethe-Institut, seit 2001 ist er nun Intendant der Berliner Festspiele.
Auch als Herausgeber und Übersetzer machte der Feingeist von sich reden, vor allem aber als Lyriker. Eben erschien der sechste Band Poesie. Das Werk ist ein "typischer Sartorius" - die Verse geprägt von der Welt- und Weitsicht des Reisenden. Nach Kapiteln sind die Gedichte geordnet. Am Anfang - "Am Arbeitsplatz" - spricht der Autor von Genuss und Qual seiner Profession:
"Auf dem Schreibtisch Hefte, Gebetsketten,
Bücher, eine glasierte Kachel aus Samarkand,
ein Notebook, viele kleine dunkle Spiegel.
Die Spiegel, das sind die Worte, zum Spiegeln,
zum Preisen, zum Verletzen, zum Schädelöffnen."
Bisweilen aber wird aus dem Schöpfungsakt Frust: "Das Gedicht versteht mich nicht".
Doch scheinbar mühelos überwindet der Dichter Grenzen - zwischen der Einsamkeit der nächtlichen Schreibklause und der Weite draußen, zwischen Kulturen, Zeiten, Kontinenten. Das Kapitel "Städte des Ostens" zeigt uns den inneren Atlas des Künstlers, zeigt Landkarten und Ortspläne, die zu poetischen Spielflächen werden, zu Reservoirs an Bildern, Metaphern. "Tunis 1957":
"Da ist in dem Plastikalbum 'Sommer'
ein verblassendes Foto und darauf
bin ich im Leeren, schräg
zwischen Himmel und Meer..."
Oder "Sansibar":
"In Steinstadt
über den rostigen Wellblechdächern
verrostete Satellitenschüsseln,
in denen die Sonne, weich geschleudert, grau verdampft."
Sartorius skizziert seine Reiseziele als Gebilde aus Ziegel und Traum; manch Name klingt wie ein Zauberwort: Sfax, Paphos und Lapithos, Karnak und Kerkennah.
Ein Ort, den der polyglotte Dichter wohl besonders schätzt, gab dem Buch seinen Namen: "Hôtel des Étrangers". Ein Hotel auf einer Insel, eine Fährstunde südöstlich von Istanbul im Marmarameer. Zuflucht für Gestrandete. Trotzki verlebte hier vier Exiljahre.
"Wir nahmen das Schiff nach Prinkipo, der größten
Prinzeninsel",
schreibt Sartorius.
"Wir fühlten uns durchaus wohl.
Auf der Insel waren Griechen (assimiliert),
Armenier (assimiliert) und wir, andere Fremde."
In "Einige Bildgedichte" schaut der Autor mit dem Blick des Weitgereisten auf Gemälde, die er irgendwann kennengelernt, zum Teil auch erfunden hat. Schade, dass die Bilder nicht beigefügt wurden. Sehr eindrücklich: ein Poem über ein Stilleben des Elsässers Sebastian Stoskopff (entstanden 1644) - ein Korb mit Gläsern.
"Nah am Tischrand Scherben.
So funkelnd hat der Trunkenbold
diese Scherben gemalt, schöner
als die heilen Gläser im Korb.
Zu deutlich ist das."
Ein "Kleiner Totentanz" beschließt den Band. In einem Gedicht quält sich das poetische Ich mit der Vorstellung, Fotos toter Frauen zu sehen. Diese Frauen:
"Am Strand, auf Bäumen,
im Bett. Zerknittert, von Lichtflecken ramponiert.
Schaut nicht so tot. Lächelt nicht so erfroren."
In einem anderen Gedicht heißt es bitter:
"Das Leben beugt sich zurück im Tod,
Grimasse. Leder. Haare. Hintüber.
Grimassierer du. Blitz kracht
aus blauestem Himmel
ins Herz..."
Nein, Joachim Sartorius schreibt nicht für die rasche Lektüre zwischendurch. Manche Verse bleiben uns Lesern verschlossen, unzugänglich wirken sie, metaphorisch verbarrikadiert. Plötzlich aber sehen wir deutlich den Menschen hinter den Zeilen, ein Weltumsegler grüßt aus weiter Ferne. Und ein Dichter gewährt einen Spalt breit Einblick in seine Klause.
"Die Worte splittern. Der Traum quillt
im papiernen Dickicht hoch, der Schmetterling
ein Gespenst der Raupe. Ich schaue nur zurück,
das Gedicht will nach vorn blicken, will zwei Flügel
haben und verbrennen. Es wartet, daß ich zündele."
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Joachim Sartorius: Hôtel des Étrangers. Gedichte
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008
112 Seiten, 16,95 Euro
Auch als Herausgeber und Übersetzer machte der Feingeist von sich reden, vor allem aber als Lyriker. Eben erschien der sechste Band Poesie. Das Werk ist ein "typischer Sartorius" - die Verse geprägt von der Welt- und Weitsicht des Reisenden. Nach Kapiteln sind die Gedichte geordnet. Am Anfang - "Am Arbeitsplatz" - spricht der Autor von Genuss und Qual seiner Profession:
"Auf dem Schreibtisch Hefte, Gebetsketten,
Bücher, eine glasierte Kachel aus Samarkand,
ein Notebook, viele kleine dunkle Spiegel.
Die Spiegel, das sind die Worte, zum Spiegeln,
zum Preisen, zum Verletzen, zum Schädelöffnen."
Bisweilen aber wird aus dem Schöpfungsakt Frust: "Das Gedicht versteht mich nicht".
Doch scheinbar mühelos überwindet der Dichter Grenzen - zwischen der Einsamkeit der nächtlichen Schreibklause und der Weite draußen, zwischen Kulturen, Zeiten, Kontinenten. Das Kapitel "Städte des Ostens" zeigt uns den inneren Atlas des Künstlers, zeigt Landkarten und Ortspläne, die zu poetischen Spielflächen werden, zu Reservoirs an Bildern, Metaphern. "Tunis 1957":
"Da ist in dem Plastikalbum 'Sommer'
ein verblassendes Foto und darauf
bin ich im Leeren, schräg
zwischen Himmel und Meer..."
Oder "Sansibar":
"In Steinstadt
über den rostigen Wellblechdächern
verrostete Satellitenschüsseln,
in denen die Sonne, weich geschleudert, grau verdampft."
Sartorius skizziert seine Reiseziele als Gebilde aus Ziegel und Traum; manch Name klingt wie ein Zauberwort: Sfax, Paphos und Lapithos, Karnak und Kerkennah.
Ein Ort, den der polyglotte Dichter wohl besonders schätzt, gab dem Buch seinen Namen: "Hôtel des Étrangers". Ein Hotel auf einer Insel, eine Fährstunde südöstlich von Istanbul im Marmarameer. Zuflucht für Gestrandete. Trotzki verlebte hier vier Exiljahre.
"Wir nahmen das Schiff nach Prinkipo, der größten
Prinzeninsel",
schreibt Sartorius.
"Wir fühlten uns durchaus wohl.
Auf der Insel waren Griechen (assimiliert),
Armenier (assimiliert) und wir, andere Fremde."
In "Einige Bildgedichte" schaut der Autor mit dem Blick des Weitgereisten auf Gemälde, die er irgendwann kennengelernt, zum Teil auch erfunden hat. Schade, dass die Bilder nicht beigefügt wurden. Sehr eindrücklich: ein Poem über ein Stilleben des Elsässers Sebastian Stoskopff (entstanden 1644) - ein Korb mit Gläsern.
"Nah am Tischrand Scherben.
So funkelnd hat der Trunkenbold
diese Scherben gemalt, schöner
als die heilen Gläser im Korb.
Zu deutlich ist das."
Ein "Kleiner Totentanz" beschließt den Band. In einem Gedicht quält sich das poetische Ich mit der Vorstellung, Fotos toter Frauen zu sehen. Diese Frauen:
"Am Strand, auf Bäumen,
im Bett. Zerknittert, von Lichtflecken ramponiert.
Schaut nicht so tot. Lächelt nicht so erfroren."
In einem anderen Gedicht heißt es bitter:
"Das Leben beugt sich zurück im Tod,
Grimasse. Leder. Haare. Hintüber.
Grimassierer du. Blitz kracht
aus blauestem Himmel
ins Herz..."
Nein, Joachim Sartorius schreibt nicht für die rasche Lektüre zwischendurch. Manche Verse bleiben uns Lesern verschlossen, unzugänglich wirken sie, metaphorisch verbarrikadiert. Plötzlich aber sehen wir deutlich den Menschen hinter den Zeilen, ein Weltumsegler grüßt aus weiter Ferne. Und ein Dichter gewährt einen Spalt breit Einblick in seine Klause.
"Die Worte splittern. Der Traum quillt
im papiernen Dickicht hoch, der Schmetterling
ein Gespenst der Raupe. Ich schaue nur zurück,
das Gedicht will nach vorn blicken, will zwei Flügel
haben und verbrennen. Es wartet, daß ich zündele."
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Joachim Sartorius: Hôtel des Étrangers. Gedichte
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008
112 Seiten, 16,95 Euro