Ein wahrer Kunstkrimi

Von Thomas Migge |
Seitdem das Bild "Geburt Christi" von Caravaggio 1969 gestohlen wurde, ist es verschwunden. Ermittler gehen davon aus, dass es sich im "Privatbesitz" eines Mafia-Bosses befindet. Doch nun könnte das Kunstwerk für den Besitzer zu heiß werden. Von inhaftierten Angehörigen der Cosa Nostra hat die Polizei neue Hinweise bekommen.
Das Bild "Geburt Christi" von Caravaggio wurde 1969 gestohlen. Seitdem ist es verschwunden. Ermittler gehen davon aus, dass das Meisterwerk von der Mafia entwendet wurde und sich im "Privatbesitz" eines Mafia-Bosses befindet. Doch nun könnte das Kunstwerk für den Besitzer zu heiß werden. Von inhaftierten Angehörigen der Cosa Nostra hat die Polizei 36 Jahre nach dem Raub neue Hinweise bekommen.

"Sizilien ist für mich immer das gelobte Land. Vor allem wenn es um Stoff für meine Krimis geht. Deshalb interessierte ich mich auch für dieses gestohlene Bild. Doch ohne nennenswerte Anhaltspunkte fand ich die Story bisher nicht griffig genug für einen Roman. Sollte sich das jedenfalls ändern, dann mache ich mich an dieses Thema. Ich halte mich auf dem Laufenden, denn ich fahre oft nach Sizilien."

Der italienische Bestsellerautor Andrea Camilleri ist fasziniert von der Geschichte um ein Bild, das 1969 gestohlen wurde. Es handelt sich um eines der Meisterwerke der italienischen Renaissance, um eines der Hauptwerke von Caravaggio. Es zeigt die Geburt Christi: eine besonders intim gehaltene Darstellung der Heiligen Familie in einer einfachen Hüte. Ein eindringliches Bild, das bis zu seiner Entfernung in einem Oratorium an der Piazza San Francesco in Palermo an der Wand hing. Bis zu jenem Tag, an dem es spurlos verschwand. Bis auf einige wenige Indizien gelang es der Staatsanwaltschaft nicht, eindeutige Spuren zu den Entführern des Gemäldes zu finden, erklärt Ottaviano Del Turco, ehemaliges Mitglied der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission. Allen Indizien zufolge, so Del Turco, wurde das Kunstwerk von Mitarbeitern der Mafia gestohlen:

"Alles deutet darauf hin, dass nur jene Organisation, die die totale Schweigepflicht kennt, so einen Diebstahl durchführen konnte und dass bis heute nichts Näheres bekannt wurde. Es gibt drei Hypothesen: Entweder stahlen Mafiosi den Caravaggio im Auftrag eines reichen Sammlers oder aber ein Boss mit Kunstverstand ließ das Bild für sich selbst klauen und es hängt jetzt bei ihm im Wohnzimmer oder aber es wurde zerstört. Wir müssen uns das wie in einem Krimi oder in einem TV-Film vorstellen."

Es war der Mangel an Indizien, der die Staatsanwaltschaft von Palermo zu der Hypothese führte, dass die sizilianische Mafia, die Cosa Nostra, mit dem Diebstahl zu Schaffen haben könnte. Eine Hypothese, die jetzt Bestätigung zu finden scheint und ein wenig Licht in das mysteriöse Dunkel um das verschwundene Meisterwerk Caravaggios bringt.

In einem US-amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis sitzt Francesco Marino Mannoia ein. Der ehemalige Superboss der Cosa Nostra ist wegen zahlreicher Morde zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Seit einiger Zeit ist er ein "pentito", das heißt, er arbeitet mit der Justiz zusammen. Durch seine Informationen gelingt es der Polizei, die organisierte Kriminalität wirksamer als bisher zu bekämpfen, mit Informationen aus dem Innern der Mafia. Francesco Marino Mannoia berichtete vor einigen Jahren einem Staatsanwalt aus Palermo von wichtigen Hintergründen, die die "Geburt Christi" betreffen. Mannoia behauptete, dass das Gemälde während des Diebstahls zusammengerollt wurde - und zwar so unsachgemäß, dass es beim Aufrollen förmlich zu Staub zerfiel.

Ottaviano Del Turco: "Die Mafia ist eine praktische kriminelle Organisation. Da geschieht nichts unüberlegt. Aufgrund neuer Indizien, von einem weitaus glaubhafteren Justizmitarbeiter, sind wir jetzt davon überzeugt, dass das Gemälde noch auf Sizilien ist. Und zwar tatsächlich im Wohnzimmer eines Bosses, der das Bild entweder aufgrund seiner künstlerischen Qualität verehrt oder aber weil er aus religiösen Gründen an der frommen Darstellung hängt. Man kann ausschließen, dass sich das Bild woanders auf der Welt befindet."

Siziliens Anti-Mafia-Staatsanwälte scheinen auf dem besten Weg zu sein, einem der geheimnisvollsten Kunstdiebstähle des letzten Jahrhunderts auf die Spur zu kommen. So fand erst kürzlich der palermitaner Staatsanwalt Fernando Musella dank der Aussagen reuiger und glaubhafter Mafiabosse heraus, dass das Gemälde, von dem der Ex-Boss Mannoia sprach, wesentlich größer war als das Bild von Caravaggio. Damit konnte der Mafioso eindeutig widerlegt werden. Er hatte zwei Kunstwerke verwechselt. Das Ölbild, das durch das Zusammenrollen der Leinwand schwer zu Schaden kam, war, wie man jetzt weiß, ein Werk von Vincenzo da Pavia. Er war ebenfalls 1969 gestohlen worden, aus der palermitaner Chiesa dei Santissimi Quaranta Martiri.

Die römische Kunsthistorikerin und Caravaggio-Expertin Daniela Squarzina Danesi weist darauf hin, dass das weltweit bekannte und selbst von Interpol gesuchte Gemälde theoretisch unverkäuflich ist:

"Es gibt zahlreiche neue Indizien, die darauf hindeuten, dass versucht wurde, einen Caravaggio auf Sizilien zu verkaufen. Da Caravaggios auf dem internationalen Kunstwerk nicht zu finden sind, seit Jahren nicht, muss es sich um "Die Geburt Christi" handeln. Ich glaube nicht, dass irgendein Kunsthändler, noch nicht einmal ein krimineller, an so einem Deal interessiert ist, denn das Gemälde ist zu heiß, es ist zu bekannt und niemand will seinen Job und Gefängnis riskieren, auch dann nicht, wenn es um dutzende von Millionen Euro geht. Genaueres ist nur wenig bekannt."

Polizeiermittler Fernando Musella ist sich sicher: das Bild wird bald wieder auftauchen. Wenn Bosse, so seine Erfahrung, erst einmal anfangen auszupacken, langsam aber sicher, dann wird bald auch das Gemälde Caravaggios zur Sprache kommen. Nicht ausgeschlossen wird, dass die Staatsanwaltschaft von Palermo eine Belohnung für denjenigen einsitzenden Boss aussetzt, der den Aufenthaltsort des Caravaggiobildes verrät. Wer die richtige Adresse nennt, so heißt es bereits aus gut informierten Justizkreisen, dem winkt Hafterleichterung.