Ein vorsichtiger Optimist
Von Mirko Schwanitz · 15.03.2012
Wer Weißrussisch spricht, muss sich als Tölpel oder Dummkopf beschimpfen lassen. Autoren haben in Weißrussland einen schweren Stand, denn hier dominiert das Russische. Wie lebt, wie schreibt man in diesem Land? Hoffentlich in Zukunft selbstbewusster, sagt der Schriftsteller und Dichter Andrej Chadanowitsch.
Laut ist es im Foyer der Minsker Universität. Und es scheint, als hätten viele Studenten nur auf den Mann mit der schmalen Brille gewartet, der gerade die Treppe herunterkommt. Sie umringen ihn, reden auf ihn ein.
Wer ist dieser Mann, der sich wenig später in einer mit Wasserpfeifendunst gefüllten Studentenkneipe in weiche Kissen lehnt. Wer ist dieser Adam Kahamovich?
"Als erstes bin ich ein Mensch, ein Homo Sapiens. Ein Europäer, ein Mann, der mit 39 noch keine Midlife-Crisis verspürt. Ich bin heterosexuell, verheiratet und habe eine kleine Tochter. Na ja, und nebenbei bin ich ein weißrussischer Dichter. Übersetzer u.a. aus dem Französischen und Dozent für Literatur in Minsk. Vor allem aber bin ich ein vorsichtiger Optimist."
Vielleicht gönnt er darum in einem seiner Poeme den Abendstern eine Ruhepause über der Schnapsbrennerei und träumt in Lukaschenkos weißem Russland vom Prager Frühling. Seit sechs Jahren ist Chadanowitsch Präsident des P.E.N.-Zentrums in einem Land, dessen Präsident Dichter schon mal einsperren lässt, falls sie Verse und Politik vermischen. Aber das ist nicht Chadanowitsch Hauptproblem:
"Mein erstes Problem ist nicht das Regime, ist nicht Lukaschenko. Die stehen erst am Ende meiner Liste. Mein Problem ist, dass die Weißrussen zu wenig Selbstachtung und zu viel Komplexe haben. Dass sie glauben, dass sie kein vollwertiges Volk sind."
Chadanowitsch schaut sich um, fixiert, während er redet, die Studenten mit ihren Wasserpfeifen. Spricht davon, dass jeder zweite von ihnen am liebsten auswandern würde, weil sie glauben, im Reich Lukaschenkos nichts ändern, nichts bewegen zu können. Das macht ihn verrückt.
"Dieser weißrussische Pessimismus, dieser fehlende Glaube an unsere eigenen Kraft, dieser Mangel an Hoffnung. Das ist etwas, was mit gar nicht gefällt. Am meisten aber ärgert mich die Müdigkeit, die ich bei der weißrussischen Intelligenz beobachte. Eine Müdigkeit, die daher rührt, dass sie die Hoffnung aufgegeben hat, dass ihr Wirken keine Veränderungen bringt."
Tri Capatschki - "Drei Schildkröten", so der Titel dieses Liedes, das Andrej Chadanowitsch besonders gern hört. weil Sänger Ljavon Volski die Weißrussen darin auffordert, endlich etwas gegen ihre Resignation zu tun. Vor allem aber fordert das Lied uns auf zu kämpfen, sagt Chadanowitsch. Auch für unsere eigene Sprache – das Weiß- oder Belarussische, das eher nach Polnisch und Litauisch als nach Russisch klingt.
"Ich benutze gern die Metapher des Töpferns, wenn ich über meine Sprache spreche. Wie ein weiches formbares Material nimmt sie alle möglichen Einflüsse auf. Dann wird sie fest. So ist das mit dem Russischen, der Sprache Dostojewskis oder mit dem Englischen, der Sprache Shakespeares. Mit diesen Sprachen kann heute nichts Entscheidendes mehr passieren. Die weißrussische Literatur aber ist immer noch ein weiches Material. Und welcher Dichter kann noch von sich sagen, dass er die eigene Muttersprache noch mitformen kann. Also mit meiner Sprache kann noch alles passieren."
Einen Moment ist er still, hebt den Zeigefinger, lauscht ins Stimmengewirr. Bei einer Umfrage, sagt er, hätten 50 Prozent angegeben weißrussisch zu sprechen. Aber selbst hier, in dieser Kneipe hört man vor allem Russisch - nicht die nach polnisch. litauisch und Russisch klingende Nationalsprache. Lange Jahre hat Andrej Chadanowitsch selbst ausschließlich Russisch gesprochen, die beiden ersten seiner sechs Romane auf Russisch geschrieben. Dass er jetzt so für das Weißrussische kämpft, hat mit der Politik in seinem Land zu tun. Mit einem Präsidenten und dessen Behörden, die behaupten, man könne in weißrussisch keinen einzigen ernsthaften Gedanken äußern – Lukaschenko selbst spricht übrigens nur russisch.
"So etwas können nur Menschen sagen, die in keiner einzigen Sprache in der Lage sind, ernsthafte Gedanken zu äußern."
Chadanowitsch will nicht mehr in Cafés sitzen, in dem Studenten ihre Muttersprache verleugnen, will nicht in einem Land leben, in dem Menschen, die ihre Muttersprache sprechen, gezielt benachteiligt werden. Und er tut etwas dagegen.
"Einmal haben vier Freunde von mir auf der Straße randaliert. Sie waren betrunken. Die beiden, die Russisch sprachen, bekamen dafür zehn Tage, die anderen beiden, die weißrussisch sprachen, 15 Tage Haft. In diesem Land gibt es einen Bonus für die, die Russisch sprechen."
Aus Protest schreibt Andrej Chadanowitsch seitdem nur noch Weißrussisch, organisiert weißrussische Poetry-Slams oder schreibt Kinderbücher – natürlich auch auf Weißrussisch.
"Ich musste erst eine Tochter bekommen, um zu begreifen, dass auch hier etwas getan werden muss. Als ich ihr Gedichte vorlas, haben die mir ganz und gar nicht gefallen. Sie waren mir zu pädagogisch. Geschrieben um gehorsame Kinder zu erziehen. Ich aber will Gedichte und Geschichten für ungehorsame Kinder machen."
Wer ist dieser Mann, der sich wenig später in einer mit Wasserpfeifendunst gefüllten Studentenkneipe in weiche Kissen lehnt. Wer ist dieser Adam Kahamovich?
"Als erstes bin ich ein Mensch, ein Homo Sapiens. Ein Europäer, ein Mann, der mit 39 noch keine Midlife-Crisis verspürt. Ich bin heterosexuell, verheiratet und habe eine kleine Tochter. Na ja, und nebenbei bin ich ein weißrussischer Dichter. Übersetzer u.a. aus dem Französischen und Dozent für Literatur in Minsk. Vor allem aber bin ich ein vorsichtiger Optimist."
Vielleicht gönnt er darum in einem seiner Poeme den Abendstern eine Ruhepause über der Schnapsbrennerei und träumt in Lukaschenkos weißem Russland vom Prager Frühling. Seit sechs Jahren ist Chadanowitsch Präsident des P.E.N.-Zentrums in einem Land, dessen Präsident Dichter schon mal einsperren lässt, falls sie Verse und Politik vermischen. Aber das ist nicht Chadanowitsch Hauptproblem:
"Mein erstes Problem ist nicht das Regime, ist nicht Lukaschenko. Die stehen erst am Ende meiner Liste. Mein Problem ist, dass die Weißrussen zu wenig Selbstachtung und zu viel Komplexe haben. Dass sie glauben, dass sie kein vollwertiges Volk sind."
Chadanowitsch schaut sich um, fixiert, während er redet, die Studenten mit ihren Wasserpfeifen. Spricht davon, dass jeder zweite von ihnen am liebsten auswandern würde, weil sie glauben, im Reich Lukaschenkos nichts ändern, nichts bewegen zu können. Das macht ihn verrückt.
"Dieser weißrussische Pessimismus, dieser fehlende Glaube an unsere eigenen Kraft, dieser Mangel an Hoffnung. Das ist etwas, was mit gar nicht gefällt. Am meisten aber ärgert mich die Müdigkeit, die ich bei der weißrussischen Intelligenz beobachte. Eine Müdigkeit, die daher rührt, dass sie die Hoffnung aufgegeben hat, dass ihr Wirken keine Veränderungen bringt."
Tri Capatschki - "Drei Schildkröten", so der Titel dieses Liedes, das Andrej Chadanowitsch besonders gern hört. weil Sänger Ljavon Volski die Weißrussen darin auffordert, endlich etwas gegen ihre Resignation zu tun. Vor allem aber fordert das Lied uns auf zu kämpfen, sagt Chadanowitsch. Auch für unsere eigene Sprache – das Weiß- oder Belarussische, das eher nach Polnisch und Litauisch als nach Russisch klingt.
"Ich benutze gern die Metapher des Töpferns, wenn ich über meine Sprache spreche. Wie ein weiches formbares Material nimmt sie alle möglichen Einflüsse auf. Dann wird sie fest. So ist das mit dem Russischen, der Sprache Dostojewskis oder mit dem Englischen, der Sprache Shakespeares. Mit diesen Sprachen kann heute nichts Entscheidendes mehr passieren. Die weißrussische Literatur aber ist immer noch ein weiches Material. Und welcher Dichter kann noch von sich sagen, dass er die eigene Muttersprache noch mitformen kann. Also mit meiner Sprache kann noch alles passieren."
Einen Moment ist er still, hebt den Zeigefinger, lauscht ins Stimmengewirr. Bei einer Umfrage, sagt er, hätten 50 Prozent angegeben weißrussisch zu sprechen. Aber selbst hier, in dieser Kneipe hört man vor allem Russisch - nicht die nach polnisch. litauisch und Russisch klingende Nationalsprache. Lange Jahre hat Andrej Chadanowitsch selbst ausschließlich Russisch gesprochen, die beiden ersten seiner sechs Romane auf Russisch geschrieben. Dass er jetzt so für das Weißrussische kämpft, hat mit der Politik in seinem Land zu tun. Mit einem Präsidenten und dessen Behörden, die behaupten, man könne in weißrussisch keinen einzigen ernsthaften Gedanken äußern – Lukaschenko selbst spricht übrigens nur russisch.
"So etwas können nur Menschen sagen, die in keiner einzigen Sprache in der Lage sind, ernsthafte Gedanken zu äußern."
Chadanowitsch will nicht mehr in Cafés sitzen, in dem Studenten ihre Muttersprache verleugnen, will nicht in einem Land leben, in dem Menschen, die ihre Muttersprache sprechen, gezielt benachteiligt werden. Und er tut etwas dagegen.
"Einmal haben vier Freunde von mir auf der Straße randaliert. Sie waren betrunken. Die beiden, die Russisch sprachen, bekamen dafür zehn Tage, die anderen beiden, die weißrussisch sprachen, 15 Tage Haft. In diesem Land gibt es einen Bonus für die, die Russisch sprechen."
Aus Protest schreibt Andrej Chadanowitsch seitdem nur noch Weißrussisch, organisiert weißrussische Poetry-Slams oder schreibt Kinderbücher – natürlich auch auf Weißrussisch.
"Ich musste erst eine Tochter bekommen, um zu begreifen, dass auch hier etwas getan werden muss. Als ich ihr Gedichte vorlas, haben die mir ganz und gar nicht gefallen. Sie waren mir zu pädagogisch. Geschrieben um gehorsame Kinder zu erziehen. Ich aber will Gedichte und Geschichten für ungehorsame Kinder machen."
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