Ein Vorbild für die Niederlande

Von Hans Olink |
Die meisten Niederländer wollten bisher wenig von Deutschland wissen. Doch in der Finanzkrise wird deutlich, dass der Nachbar im Osten ein starker Partner ist - und seine Kanzlerin eine vertrauenswürdige Führungskraft.
Vor kurzem las ich die Ergebnisse einer Umfrage des Deutschland-Instituts in Amsterdam, eines Instituts, das die Aufgabe hat, die Holländer über deutsche Kultur und Politik zu informieren. Das Institut war in den 90er-Jahren gestiftet worden, weil damals das sogenannte Clingendael-Institut, das die internationalen Beziehungen untersucht, herausfand, dass niederländische Jugendliche ein negatives Bild von Deutschland und den Deutschen hatten. Dieser Blick hat sich mittlerweile positiv verändert.

Trotzdem – so die aktuelle Umfrage – finden mehr als 60 Prozent der niederländischen Schüler, Deutsch sei keine schöne Sprache und mehr als 70 Prozent sind überhaupt nicht interessiert an Deutschland. Das steht im schrillen Kontrast zur Tatsache, dass Deutschland mit 90 Milliarden Euro der wichtigste Handelspartner für die Niederlande ist. Wir exportieren mehr nach Deutschland als nach Frankreich, England und die Vereinigten Staaten zusammen. Und diese Zahl könnte noch höher sein, wenn nicht wegen mangelhafter Kenntnisse der deutschen Sprache der niederländischen Wirtschaft jährlich ungefähr acht Milliarden Euro verloren gingen.

Die Bedeutung Deutschlands für die Niederlande ist so groß, dass wir es uns nicht leisten können, keine guten Kenntnisse in der deutschen Sprache und Kultur zu haben. Wenn den Holländern bewusst ist, wie viel Geld wir mit dieser Haltung verlieren, dann wird hoffentlich bei meinen Landsleuten eine Bewusstseinsänderung eintreten. Eine Bemerkung zum besseren Verständnis des negativen Deutschlandbildes muss ich noch machen: Die Holländer, die im Westen unseres Landes wohnen – und das ist die große Mehrheit – sind kulturell meist auf England und die Vereinigten Staaten orientiert und sehen sich auch gern die TV-Programme aus diesen Ländern an. Die Leute im Osten Hollands jedoch sehen am liebsten deutsche Programme. Wie auch ich in meiner Jugend. So erinnere ich mich, dass ich vor einem halben Jahrhundert am Samstagnachmittag die deutsche Bundesliga sah, am Samstagabend den Quizmaster Hans Joachim Kuhlenkampf und am Sonntag den Internationalen Frühschoppen.

Seitdem hat sich wenig geändert: Die Leute im Osten sind weiterhin mehr auf Deutschland orientiert als die im Westen. Das wird verstärkt von der holländischen Presse und dem Fernsehen, die zum überwiegenden Teil im Westen der Niederlande gemacht werden und kaum einen Blick haben für deutsche Kultur und Politik. Monatelang verfolgen sie täglich die amerikanischen Präsidentschaftswahlen, und wenn in Deutschland gewählt wird, fängt man erst einige Tage vorher an, darüber zu berichten. Politisch und kulturell stehen die Holländer meistens mit dem Rücken zu Deutschland, die Augen Richtung Westen. Und das, meine ich, können wir uns nicht mehr leisten.

Diese Politik beginnt sich zu ändern, weil sich die Bedingungen für die Außenpolitik geändert haben. Im Kalten Krieg war die transatlantische Hinwendung für die Niederlande eine Existenzbedingung. Aber jetzt neigen die Holländer dazu, sich politisch mehr an Deutschland orientieren. Und umgekehrt sind die Niederlande für die deutsche Regierung jetzt auch interessanter. Beide Länder haben gemeinsame Interessen, wie sich in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise herausstellt. Sie brauchen einander, um gemeinsam mit den wirtschaftlich stabilen Ländern Nordeuropas einen Gegenpol zu den finanziell angeschlagenen südeuropäischen Staaten zu bilden. Und in einem sind sich inzwischen die Ost- und West-Niederländer auch einig: Deutschland ist Vorbild geworden und Bundeskanzlerin Merkel die vertrauenswürdigste europäische Führungskraft. Sie ahnen, dass ihre Interessen von Deutschland mehr geachtet werden als von den Vereinigten Staaten.

Hans Olink, Jahrgang 1949, ist holländischer Kultursoziologe und Publizist, Direktor einer Theaterorganisation und Theaterkritiker. Schreibt für führende niederländische Zeitungen wie "NRC Handelsblad" und "de Volkskrant". Er ist spezialisiert auf geschichtliche Erzählungen, entwickelte ein Rundfunkprogramm über historische Themen und ist noch immer Redakteur dieses Programms. Hans Olink publizierte zahlreiche Bücher, sowohl Biografien als auch Bücher über historische Themen, vor allem mit Bezug zur russischen Geschichte.
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