Ein vergessener Bestseller-Autor

20.03.2008
Der US-amerikanische Journalist Tom Reiss hat das letzte unveröffentlichte Manuskript des 1942 verstorbenen Essad Bey vor einigen Jahren entdeckt und die Lebensgeschichte des Autors rekonstruiert: "Der Orientalist - Auf den Spuren von Essad Bey" heißt die Biografie, die nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.
In der Regel sind Abenteuer, die Schriftsteller erfinden, weitaus aufregender und spannender als die, die sie selbst erleben. Eine Ausnahme von dieser Regel stellt Essad Bey dar, ein Bestsellerautor, der am Ende seines enorm produktiven Lebens weitgehend vergessen war. Dass wir heute wieder etwas über ihn wissen, verdanken wir dem US-amerikanischen Historiker und Journalisten Tom Reiss. Dieser reiste 1998 in die aserbeidschanische Hauptstadt Baku, um über den Ölboom am Kaspischen Meer zu berichten. Durch Zufall stieß Reiss auf einen Roman, der als Nationalepos Aserbeidschans gilt: die 1937 in Wien veröffentlichte Liebesgeschichte "Ali und Nino". Neugierig begann Reiss über den Verfasser der Geschichte zu recherchieren. Zuerst erhielt er verwirrende und widersprüchliche Informationen. Sieben Jahre später, nach zahlreichen Reisen, Interviews, unglaublichen Zufällen und dem Ausschöpfen bislang unbekannter Quellen, legt Tom Reiss eine Schriftstellerbiographie der besonderen Art vor. Sie ist nun auch auf Deutsch erschienen: "Der Orientalist. Auf den Spuren von Essad Bey".

Essad Bey, der auch unter dem Pseudonym Kurban Said publizierte, wurde 1905 in Baku geboren. Seit dem 19. Jahrhundert bescherten die kaspischen Ölvorkommen der Hafenstadt üppigen Wohlstand. Moscheen, Kasinos, Theater und Prachtvillen wurden gebaut, Kosmopolitismus beherrschte das geistige Klima. Bakus Einwohner verstanden sich als kultivierte Europäer und aufgeklärte Muslime.

An dieser Schnittstelle von Orient und Okzident, zwischen russischem und osmanischem Reich, wächst Essad Bey mit deutscher Gouvernante als Sohn eines jüdischen Ölmillionärs und einer russischen Revolutionärin auf. Eigentlich heißt er Lev Nussimbaum, doch im Laufe seines Lebens tut er alles, um seinen Geburtsnamen - und damit seine jüdische Abstammung - zu verwischen. Nicht allein Sehnsucht nach einem idealisierten Orient veranlasst den jüdischen Jungen aus gutem Hause, sich eine moslemische Identität zu geben. Es ist auch ein Überlebenskonzept.

Im Alter von 15 Jahren fliehen Essad Bey und sein Vater vor den Bolschewiken. Mit der Eisenbahn, zu Schiff, auf dem Rücken von Kamelen. Über Turkestan, Persien, Konstantinopel, Italien, Paris, Berlin. Dort tritt Essad Bey offiziell zum Islam über, beendet die Schule, wird "Experte für den Osten" bei der renommierten "Literarischen Welt". Einen Namen macht er sich als Sachbuchautor. Er schreibt Biografien über Stalin und Mohammed, den persischen Schah und den russischen Zaren. Den Nazis ist Essad Beys Antikommunismus so lange willkommen, bis sie entdecken, dass er Jude ist. Wiederum muss er fliehen. Nach Wien, New York, schließlich nach Italien, wo er 1942 völlig mittellos und vereinsamt stirbt.

Tom Reiss schildert mit großem Aufwand vor allem die historischen und kulturgeschichtlichen Hintergründe, vor denen sich Essad Beys abenteuerliches Leben abspielt. Das ist meist informativ, hin und wieder geschwätzig, auch nicht uneitel. Plötzlich stellt der Autor Bezüge zu seiner eigenen Familiengeschichte her, springt in der Chronologie, kurvt mit schmissigen Vergleichen kreuz und quer durch die Weltgeschichte. Reiss vermischt Schilderungen aus Essad Beys Romanen mit Erinnerungen greiser Zeitzeugen und historisch fundierten Darstellungen. Für die Lebendigkeit dieser Biografie ist das kein Nachteil. Vieles Unglaubliche darin ist verbürgt - und was nicht, ist auf jeden Fall gut beschrieben.

Rezensiert von Carsten Hueck

Tom Reiss: Der Orientalist. Auf den Spuren von Essad Bey
Aus dem Amerikanischen von Jutta Bretthauer. Osburg Verlag, Berlin 2008, 504 Seiten, 25,90 Euro