Ein verbaler Hochseilakt

In der Öffentlichkeit kommen Liebeserklärungen höchst selten vor, im Kino dagegen ständig. Doch wie sind sie inszeniert? Wie setzt das Kino eine Situation um, die weitaus älter ist als das Medium Film? Diesen und vielen anderen Fragen geht ein Buch nach, das den Titel "Konventionen eines Sternmoments - Die Liebeserklärung im Spielfilm" trägt.
Das Werk von Philipp Brunner zeigt, warum die Liebeserklärung ein verbaler Hochseilakt ist, an welchen Schauplätzen sie bevorzugt geschieht und welchen Stellenwert dabei die Gesichter der Liebenden haben.

Harry and Sally: "”Also ich habe über uns nachgedacht. Und die Sache ist die: Ich liebe dich! Was? Ich liebe dich? Was erwartest du jetzt von mir? Wie wäre es damit, dass du mich auch liebst? Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen. Ich liebe es, dass du bei 30 Grad mit einer Jacke rum läufst. Ich liebe es, dass du anderthalb Stunden brauchst um ein Sandwich zu bestellen, ich liebe dein …""

Die Liebeserklärung aus "Harry und Sally" ist wohl eine der berühmtesten der Filmgeschichte. Und natürlich geht der Buchautor Philip Brunner auch auf sie ein. Aber zunächst stellt er die These auf, dass die filmische Liebeserklärung zwar unendlich variantenreich erscheint, man jedoch bei genauem Hinsehen ziemlich feste Muster erkennt. Um es gleich vorwegzunehmen: Brunner hat Recht! Und seinen Argumentationen zu folgen macht Spaß. Weil er für einen Wissenschaftler nicht übermäßig viel zitiert, sondern seine eigenen Beobachtungen in den Vordergrund stellt. Zudem nimmt er uns mit auf eine Fahrt durch die Filmgeschichte, die recht unterhaltsam ist, zum Beispiel, wenn Ernst Lubitsch in "Serenade zu dritt" seinen Protagonisten fragen lässt, ob ihn die Angebetete liebe.

Serenade zu dritt: "Gilda? Ja, Max. Liebst du mich? Oh, Max, man sollte diese Frage nie in der Hochzeitsnacht stellen. Es ist entweder zu spät oder zu früh."

Bei der Filmauswahl konzentriert sich der Autor ausschließlich auf das westliche Kino - leider. Denn gerade die Liebesfilme des indischen Kinos hätten ein großes Feld für Vergleiche geboten. Im Zentrum des Buches steht die These, dass die Liebeserklärung ein filmischer Stereotyp sei, bei dem es um einen Liebesdiskurs gehe, der seinen Ursprung im Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts habe. Das um Haltung bemühte Bürgertum habe dabei eine Liebeserklärung entwickelt, die ehrlich, aber auch einfach sein müsse, um überzeugend zu wirken. Außerdem werden Liebeserklärungen oft in sehr ähnlichen Umgebungen gemacht. Beispielhaft umgesetzt und zugleich persifliert wird dies in "Singing in the rain". Als Gene Kelly im Filmstudio alle Lichter schaltet, um sich Debbie Reynolds zu nähern.

Singing in the rain: "”Aber passen Sie mal auf: Ein prachtvoller Sonnenuntergang … und jetzt Julia auf dem Balkon, von blühenden Rosen umrankt, umflutet von Mondlicht. Nun noch 500.000 Kilowatt Sternenglanz dazu, eine sanfte Sommerbrise, und, oh, er steht Ihnen zauberhaft der Mondschein, Katy. Sie wollten mir etwas sagen! Können Sie es jetzt sagen? Jetzt schon eher.""

Gipfelt die romantische Komödie üblicherweise im Happy End ist eine Liebeserklärung am Anfang ein Vorbote von Unheil. Denn wer interessiert sich schon für glückliche Menschen? Wirklich überraschend sind diese Erkenntnisse nicht. Interessant aber wird es, wenn der Autor tiefer in die visuelle Analyse einsteigt. Was zum Beispiel geschieht, wenn eine Figur bei der Liebeserklärung gar nicht zu sehen ist, wenn George Clooney in "Solaris" gedankenversunken auf dem Bettrand sitzt und nur die Stimme seiner Frau hört?

"Chris, was ist? Ich liebe dich über alles. Liebst du mich nicht mehr?"

Meist kommen gesichtslose Liebeserklärungen in schwierigen Konstellationen vor, nie in echten Glücksmomenten. Erfolgreiche Liebeserklärungen, darauf weist der Autor explizit hin, gibt es nur, wenn die involvierten Charaktere im Bild sind, wenn man ihre Mimik erkennen kann. Expressive Mimik steht den Frauen zu, während männliche Darsteller selbst in solchen Momenten mimisch zurückhaltender agieren, zum Beispiel Moritz Bleibtreu im Film "Im Juli".

"Meine Herzallerliebste, ich Tausende von Meilen gegangen, ich habe Flüsse überquert, Berge versetzt, ich habe gelitten und ich habe Qualen über mich ergehen lassen. Ich bin der Versuchung widerstanden und ich bin der Sonne gefolgt, um dir gegenüberstehen zu können und dir zu sagen: Ich liebe dich."

Fast wirkt es ein bisschen peinlich, wenn uns Philipp Brunner die Konventionsmuster von Liebeserklärungen vorhält, die uns doch immer wieder in ihren Bann ziehen. Allerdings berücksichtigt der Autor kaum die Kreativität der Drehbuchautoren, denen es immer wieder gelingt, originelle Momente zu schaffen. Dennoch ein schönes, auch schön zu lesendes Buch mit vielen Dialogbeispielen, das am Ende einen Bogen zum schwullesbischen Kino schlägt. Auf ein Phänomen, nämlich die Liebeserklärung in der Öffentlichkeit, hätte das Buch aber noch mehr eingehen können. Denn immer öfter steigen Liebende auf die Bühne, bekennen ihre Fehler und bitten die Angebetete um Vergebung und ihre Hand. Und nur selten gelingt es ihnen so überzeugend wie Joaquin Phoenix als Johnny Cash in "Walk the line".

"Walk the line”: "Tut mir leid, Leute, wenn ich hier unterbrechen muss. Aber bevor es weiter geht, muss ich June eine Frage stellen. Worum geht’s John? Willst du mich heiraten?"

Rezensiert von Bernd Sobolla

Philipp Brunner: Konventionen eines Sternmoments
Schüren Verlag, 285 Seiten, 24,90 Euro