Ein umstrittener Maler

Von Rudolf Schmitz · 02.07.2013
Um 1900 galt Hans Thoma als einer der beliebtesten Maler Deutschlands, heute werden seine Werke eher belächelt. Nun will das Frankfurter Städel Museum mit der Ausstellung "Lieblingsmaler des deutschen Volkes" zeigen, dass Thoma weit mehr war als nur ein Maler pittoresker Schwarzwald-Landschaften.
Das "Selbstbildnis vor Birkenwald" von 1899 empfängt die Besucher. Da ist Hans Thoma 60 Jahre alt und gerade zum Professor in Karlsruhe berufen. Kein schlechtes Bild, weil ziemlich künstlich. Die Natur ist nur Staffage eines selbstbewussten Mannes, der es geschafft hat.

Neben dem Bild eine Wanduhr aus Majolika: Kunstgewerbe von Hans Thoma. Die Wände im ersten Ausstellungsraum sind lila, auf dem Boden liegt grüner Kunstrasen. Ein schräger Auftakt der Frankfurter Hans Thoma Austellung. Kurator Felix Krämer lässt keinen Zweifel, dass es hier nicht nur um eine liebevolle, sondern auch kritische Annäherung geht:

"...dass die Inszenierung dazu beiträgt, dass man sich fragt, was habe ich da eigentlich vor mir, bedeutet mir das irgendwas heute, was bedeutet es mir, was haben die Menschen um 1900 in dem Künstler gesehen"."

Der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe schmähte Hans Thoma im Jahr 1904, er rühre an "dieses Gefühl aus der Rumpelkammer des lieben Deutschtums". Doch um die Wende zum 20. Jahrhundert war Hans Thoma so populär wie kein anderer Künstler.

Felix Krämer: "”...das sieht man heute noch im Stadtbild, auch in Frankfurt gibt es die Hans-Thoma Straße, Hans Thoma Schule, Hans Thoma Apotheke, Hans Thoma Straßen begegnen in Zwickau, Bremen und quer durch die Republik, und die sind in der Regel nach ihm benannt worden noch zu Lebzeiten. Also woran man wirklich den ungeheuren Ruhm dieses Künstlers ablesen kann."

1868 hatte Hans Thoma während eines kurzen Aufenthalts in Paris Gustave Courbet kennengelernt und sich für dessen dem Alltag zugewandte Malerei begeistert. Ein Bild wie "Knabe mit totem Reh" zeugt vom Einfluss des französischen Realisten.

Uns heute kann Thoma nicht wirklich als Realist erscheinen. Dazu sind seine Sujets - blumenpflückende Knaben, Hühner fütternde Mädchen - dann doch zu lieblich, haben nichts mit dem sozialkritischen Geist von Courbet gemeinsam.

Felix Krämer: "”Das sind Projektionen, und das macht auch seinen Erfolg beim Bürgertum ab 1890 aus, weil das sind Postkartenidyllen, die er malt, also auch wenn wir die bäuerliche Bevölkerung, seine Schwester, seine Mutter, im Schwarzwald vor uns haben, im Prinzip sind die glücklich, die sind wohl genährt, die Frisur sitzt, die Mutter liest die Bibel, sie hat eine Brille auf, daneben steht ein Wasserglas, also die Reinheit der Gedanken, auch die Schwester ist ganz verträumt dabei die Hühner zu füttern, das ist die perfekte Idylle, und da gibt es anders als bei Courbet, der ein Vorbild für ihn war, da gibt’s nichts Drängendes, da gibt’s nichts Umstürzlerisches, da ist nicht das Kratzen am System.""
Die Schönheit der Landschaft, das private Glück, der bäuerliche Alltag, die Porträts seiner Gönner und Frankfurter Künstlerfreunde, Wagner-Illustrationen, dann auch Putti, Meernixen, Reiter, Sensenmänner - Hans Thoma hat eine große Bandbreite, aber das wirkliche Leben, zum Beispiel die Einflüsse der Industrialisierung kommen bei ihm nicht vor.

Die Offenheit seines Werks macht es zur idealen Projektionsfläche, jeder kann sich seinen Hans Thoma zurecht backen. Seine radikale Schlichtheit wird zu seinem größten Triumph.

Felix Krämer: "”Am Anfang verstört das das Publikum und die Akademie, weil sie diese Naivität als Zumutung empfinden, später ist es aber genau diese Naivität, die bewundert wird und als das Deutsche rezipiert wird, als der Deutsche, der ehrlich ist, der direkt ist und nichts hinter der Linie verkünstelt, der auch mal einen verzeichneten Umriss in Kauf nimmt, weil er ja so ehrlich ist.""
Für Adolf Hitler ist er der größte deutsche Künstler überhaupt, ein Großteil des Sammlungsbestandes des Städel Museums wird im Jahr 1939 erworben. Wegen seiner Herkunft aus einer Schwarzwälder Bauernfamilie gilt Hans Thoma als authentisch, seine Motive fügen sich gut in die Blut- und Bodenideologie, das war schon immer ein entscheidendes Verkaufsmerkmal seiner Kunst. Das Einfache und Ursprüngliche – in der Nazizeit wird das zur entscheidenden künstlerischen Botschaft.

Nach 1945 erlischt das Interesse für Hans Thoma und seine bäuerlichen Idyllen. Die Nachkriegsgesellschaft hat andere Sorgen. Die Begegnung mit einer solchen Fülle von Werken, wie sie das Städel zu bieten hat, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.

Da sind einige charmante und leichthändige Bilder zu sehen, doch das meiste wirkt wie Romantik-Camouflage, wie sehnsüchtige Rückwärtsgewandtheit. Schon fast verblüffend, wie konsequent jemand an der Wirklichkeit vorbei malt. Ist Hans Thoma ein großes Lehrstück für die Gegenwart, wie der Kurator behauptet, geht es hier um die Ideologiehaftigkeit von Kunstgeschichte, um Künstleropportunismus, um Idyllensehnsucht des Bürgertums?

So kann man diese Ausstellung durchaus verkaufen. Aber das große Erdbeben zur Erschütterung all unserer Kunsturteile ist das nicht. Trotz Kunstrasen auf dem Boden und Orange und Lila an den Wänden. Denn bei Hans Thoma kracht es nicht, da wird doch eher gesäuselt.