Ein überschäumendes Temperament

Von Martina Nix |
Beim 43. Berliner Theatertreffen werden wieder die zehn besten Inszenierungen des deutschsprachigen Raums gezeigt. Samuel Finzi ist dort in der Hauptrolle des Iwanow im gleichnamigen Tschechow-Stück zu sehen. Privat eher schüchtern zieht der Schauspieler auf der Bühne die Zuschauer in seinen Bann.
Nebel steigt auf, füllt die Bühne, treibt langsam hin und her. Aus der Tiefe des Raumes kommt Iwanow vor - an die Bühnenrampe. Verloren und einsam steht er da.

Samuel Finzi: " Ich habe einen starken Sinn für Formen, ich glaube, dass ich das kann und das ist mir auch wichtig zu sehen bei anderen - wie ein Körper im Raum steht oder in anderen Fällen ist halt welche Freiheit, die ein Schauspieler hat, wie er mit seiner Freiheit spielt, mit seiner eigenen Biografie spielen kann, Selbstironie ist mir sehr wichtig, Spiel mit der Figur ist mir sehr wichtig, ich bin kein Anhänger der Identifikation mit der Figur. "

Iwanow streicht sich mit der rechten Hand leicht über den Bart, denkt, schaut spöttisch, dann genervt, verdreht die Augen. Samuel Finzi spielt den gescheiterten Helden, der angetreten war das Land und die Leute zu reformieren, zurückhaltend, nur andeutungsweise. Zaghaft hebt er das Bein, will es mit der Hand greifen, sich dehnen, bleibt aber im Ansatz stecken. Winkt ab, ihm fehlt auch dazu inzwischen die Kraft.

Eigentlich wollte der in Bulgarien geborene Schauspieler Regisseur werden. In seinem Jahrgang aber wurden gar keine Regiestudenten aufgenommen. Und obwohl er bis heute nicht glaubt, dass man auf Schauspielschulen Schauspielern lernen könne, bewarb er sich 19-jährig an der Staatlichen Theater- und Filmakademie in Sofia. Das sei noch das leichteste gewesen, sagt er schelmisch lachend, und dass er so seinen Wehrdienst um drei Monate verkürzen konnte. Da er als Bester die Aufnahmeprüfung bestand, scheint es als habe er sein Talent vom Vater geerbt, denn der ist in Bulgarien ein erfolgreicher Schauspieler.

Samuel Finzi: " Diese Herkunft dort in Bulgarien, das musste ich auch überwinden, also die Sprüche, ja ja der Sohn von, oder wurde aufgenommen an der Theaterschule weil, ist der Sohn von, na ja also. Hier war ich der Sohn von niemandem, und das war gut so. Deswegen bin ich auch gekommen. Es war total anonym, alles von null. "

Nach der Wende 1989 verließ Samuel Finzi Bulgarien und ging nach Paris, bevor er Berlin für sich entdeckte und am Hebbel-Theater zu spielen begann.

Samuel Finzi: " Es war nicht leicht am Anfang natürlich nicht, ohne dass das jetzt unbescheiden klingt, ich hab ne Gabe, Sprachen zu lernen und zwar schnell zu lernen, weil ich musikalisch bin, das ist das Einzige, nicht weil ich mich besonders bemühe, aber ich kann gut aufnehmen und schnell reproduzieren."

Finzi fasst sich an sein kurzes dunkelblondes Haar, zieht ganz leicht die Augenbraue hoch, schmunzelt. Dann starren seine grünen Augen für einen Moment ins Leere. Er wägt die Worte ab, korrigiert sich, setzt immer noch einmal an - mitten im Satz. Auf der Bühne entwickelt der 1,76 große Schauspieler ein überschäumendes Temperament, weiß die Zuschauer in den Bann zu ziehen. Bei unserem Gespräch im Deutschen Theater, wo er derzeit zwei Hauptrollen spielt, wirkt er eher schüchtern und unscheinbar.

Samuel Finzi: " Ich war 23, als ich das Land verlassen habe, jetzt bin ich 40, wenn Sie mich fragen, bin ich ein bulgarischer oder ein deutscher Schauspieler, wüsste ich nicht, was ich sagen soll, wahrscheinlich bin ich sogar mehr ein deutscher Schauspieler, weil ich habe dort überhaupt nicht im Theater gespielt, hier ist mein Leben, wie der Heiner Müller sagt, die Heimat ist da, wo man seine Rechnungen zahlt, nich, also ich zahle meine Rechnungen in Deutschland sehr brav."

Auch wenn Samuel Finzi seine Rechnungen in Berlin bezahlt – ist er oft in Bulgarien, und das nicht nur, weil seine Eltern noch in Sofia leben, sondern weil ihm dort immer wieder Hauptrollen in Kinofilmen angeboten werden. Diese Filme laufen zwar erfolgreich auf internationalen Festivals, sind aber in Deutschland so gut wie nicht bekannt. Das bedauert Samuel Finzi ein wenig und auch, dass er hier im Kino und Fernsehen bisher fast nur in Nebenrollen besetzt wurde. Vor vier Wochen war er beispielsweise wieder mal in einem "Tatort" zu sehen, in dem er einen Rechtsmediziner spielte.

Samuel Finzi: " Es hat schon ewig gedauert, bis ich aus dem besonderen Fach beim Fernsehen, aus dem Fach der Verbrecher aus dem Ostblock, rausgekommen bin, das hat einige Jahre gedauert bis die Fernsehredakteure gemerkt haben, dass ich auch etwas anderes spielen könnte."

Die Theaterbühnen in Düsseldorf, Zürich, Hamburg, Frankfurt oder Wien dagegen haben ihn schon lange als facettenreichen Schauspieler für sich entdeckt. Allen voran der Regisseur Dimiter Gotscheff, der Finzi immer wieder in Hauptrollen besetzt, sei es als Volpone, Platonow oder eben Iwanow.

Das Theatertreffen findet vom 5. bis 21. Mai 2006 in Berlin statt. Am 10. und 11. Mai 2006 ist Samuel Finzi als Iwanow jeweils um 19.30 Uhr in der Volksbühne in Berlin zu sehen. Er tritt derzeit auch als Volpone und Amphytrion im Deutschen Theater in Berlin auf.