"Ein Turm für Albert Einstein"
Heute wird in Potsdam die Ausstellung "Ein Turm für Albert Einstein" eröffnet. Die Ausstellung präsentiert den Turm als Denkmal der modernen Architektur und der modernen Wissenschaft. Dass Einstein zur identitätsstiftenden Figur im Nachkriegsdeutschland wurde, führt der Ausstellungsmacher Prof. Dr. Hans Wilderotter auf Einsteins Bedeutung als antiautoritärer Nonkonformist und als wissenschaftlicher Generalisten zurück.
König: Es gab mal eine Zeit, da lebten Deutsche und Juden wie selbstverständlich in engster Nachbarschaft, eine deutsch-jüdische Symbiose, aus der Genies hervorgegangen sind wie zum Beispiel Albert Einstein. Für ihn und seine Forschung wurde Anfang der 20er in Potsdam ein Turm gebaut. Der Einsteinturm steht heute wie ein Symbol für das Ende dieser deutsch-jüdische Symbiose vor uns. Einstein kehrte nie wieder nach Deutschland zurück und wurde dennoch zur identitätsstiftende Figur für Nachkriegsdeutschland. Warum er das werden konnte, kann uns vielleicht der Ausstellungsmacher Hans Wilderotter erklären. Er hat das das Konzept für die Ausstellung "Ein Turm für Einstein" erdacht und verwirklicht. Heute Abend wird die Ausstellung eröffnet. Der Einsteinturm wurde erbaut für den absoluten Wissenschaftsstar. Aber als er die Relativitätstheorie entwickelte, war er das ja noch nicht. Wie wurde er ein Star?
Wilderotter: Er wurde ein Star im November 1919, man kann das ziemlich genau sagen, und zwar hat er im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie, die er übrigens vor allem in Berlin entwickelt hat, vorausgesagt, dass Licht durch Schwerkraft angezogen wird und man sollte das überprüfen können, indem man das Licht von Sternen untersucht, das in der Nähe der Sonne vorbeigeht, dass der Lichtstrahl dann leicht gekrümmt werden müsste. Das ist einer englischen Expedition im Sommer 1919 bei einer totalen Sonnenfinsternis gelungen nachzuweisen und im November, als das weltweit bekannt wurde, war Einstein in aller Munde. Man hatte das Gefühl, die alte Welt existiert nicht mehr, selbst das, was früher mal gerade war, ist krumm. In der New York Times stand am 10. November, das Licht am Himmel ist schief und krumm, das war so ein bisschen auch das Gefühl, das was jetzt gerade passiert war, dieser Krieg mit all den Zerstörungen, das war ja das Ende der alten Welt und jetzt kommt einer und erzählt, dass er sowieso eine neue Theorie für eine neue Welt hat, das heißt, man hat eine Erklärung für das, was gerade passiert war.
König: Und das ausgerechnet jemand aus dem großen Kriegsverlierer Deutschland.
Wilderotter: Das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt und vor allem, dass jemand auch anscheinend eine Theorie hat, die sagt, wie es weitergeht. Das hat zwar mit der Relativitätstheorie gar nichts zu tun, aber man weiß, wie das ist mit plötzlichen Berühmtheiten. Es ist ja wichtiger, was die Leute glauben, was sich abspielt, als das, was sich tatsächlich abspielt.
König: Sie haben die Expedition der Briten erwähnt, das heißt, ein Teil der Relativitätstheorie war damit bewiesen. Wozu nun der Einsteinturm?
Wilderotter: Der war zu einer anderen Voraussage gebaut worden oder zum empirischen Nachweis einer anderen Voraussage, auch etwas exotisch klingend: das Licht der Sonne, wenn das spektral zerlegt wird, durch ein Prisma geleitet, dann würde, so war die Behauptung, es im Vergleich zu irdischen Lichtquellen leicht in den Rotbereich verschoben werden. Das klingt unglaublich exotisch, ist es im Grunde auch, das heißt, um es mal ganz einfach zu sagen, dass die Sonne Licht aussendet, das Frequenzen hat, die zum Teil niedriger sind als die irdischer Lichtquellen und diese niedrigen Frequenzen ergeben sich daraus, dass die Atome langsamer schwingen im Gravitationsfeld der Sonne.
König: Ich habe nichts von alledem verstanden, das ist aber sehr wichtig, wie ich Ihnen gerne glauben möchte.
Wilderotter: Man wollte eben diesen Effekt nachweisen, dazu brauchte man ein großes Teleskop, dieses wurde verbunden mit einem Gerät, das man Spektrographen nennt, mit dem man das Licht der Sonne in ein Spektrum zerlegt und dann fotografisch aufgezeichnet. Wenn man jetzt diese fotografisch aufgezeichneten Spektren minutiös vergleicht mit Spektren von Licht, die man von irdischen Lichtquellen gewonnen hat, kann man eventuell diese Verschiebung feststellen. Es sind ganz minimale Abweichungen, die in Bereichen liegen, die man sich überhaupt nicht vorstellen kann und mit normalen Augen nicht zu sehen sind.
König: Und hat der Turm das geleistet?
Wilderotter: Nein, nicht wirklich, das konnte er auch gar nicht, weil sich auf der Sonne sehr viele Aktivitäten abspielen und diese führen ihrerseits zu Spektralverschiebungen ganz anderer Art und nun überlagern die sich gegenseitig, so dass man zwar Verschiebungen feststellen konnte, aber nicht genau wusste, welcher Anteil welcher Ursache geschuldet ist. Im Grunde kann man sagen, langfristig war er erfolgreich, man hat sich nämlich dann zunächst einmal auf die Erforschung dieser ganzen Aktivitäten konzentriert und das macht man dort übrigens bis heute mit großem Erfolg.
König: Können Sie und diesen Turm zunächst beschreiben? Er ist weltbekannt, eine Mischung aus Jugendstil und Expressionismus. Wie sieht er aus?
Wilderotter: Mein erster Eindruck, als ich ihn zum ersten mal live sah, war, dass er ein bisschen aussieht, wie ein U-Boot, das man in einen Rennwagen umgebaut hat und mit dem Rudolf Carraciola über den Nürburgring fährt. Er hat ein bisschen was zooamorphes, man hat manchmal den Eindruck, es handelt sich um ein Urtier, was dort zur Ruhe gekommen ist und so ganz langsam ist das Fleisch von den Knochen gefallen und die bleichen jetzt weiß in der Sonne.
König: Es ist ein Bau von Erich Mendelssohn, es heißt, dass Architekten in dieser Zeit sich von der Relativitätstheorie haben inspirieren lassen. War das bei Mendelssohn der Fall?
Wilderotter: Es kann sein, dass es Architekten gab, die geglaubt haben, dass sie sich von der Relativitätstheorie haben inspirieren lassen, aber ich bin ziemlich sicher, dass sie keine Ahnung hatten, was die Relativitätstheorie eigentlich ist. Das soll nicht bedeuten, dass das etwas sehr Kompliziertes ist, das ist gar nicht so kompliziert, nur selbst wenn sie es verstanden hätten, hätten sie aufgehört, mit dem Gedanken zu spielen, das in Architektur zu übersetzen. Mendelssohn war schon ein wenig über das informiert, was die Relativitätstheorie bedeutete, aber ich glaube kaum, dass er dann ganz bewusst gesagt hat "so, daraus will ich jetzt Architektur machen".
König: Ich habe vorhin diese Nazi-Karikatur von 1933 erwähnt, auf der zu sehen ist, wie Einstein von seinem Turm gefegt wird und habe gesagt, dieser Turm sei auch wie das Symbol für das Ende dieser deutsch-jüdischen Symbiose. Würden Sie dem zustimmen oder ist das zu groß formuliert?
Wilderotter: Das würde ich etwas zu weitgehend nennen. Es ist natürlich überraschend, dass es zwei jüdische Deutsche waren, nämlich Einstein und Mendelssohn, die beteiligt waren, der Dritte, unbekannte, zu Unrecht vergessene, nämlich der Astronom Erwin Freundlich, war der Sohn eines zum Protestantismus konvertierten jüdischen Vaters und einer Engländerin, der ist auch emigriert, allerdings wurde man den nicht so leicht los, man musste schon ein paar Tricks einsetzen, um ihn wirklich abschieben zu können, aber das ist im Herbst 1933 auch gelungen.
König: Was ist später aus dem Turm geworden?
Wilderotter: Er wurde als Forschungsinstrument weiterbenutzt, eigentlich wird er jetzt seit 80 Jahren benutzt., Er hat im Krieg ein paar Beschädigungen abbekommen, allerdings minimaler Art, durch eine in der Nähe explodierende Luftmine ist die Kuppel, die aus Holz ist, zerstört worden, aber man hat dann sehr provisorisch und schnell aus Brackenholz übrigens, das da herumlag, wieder eine Kuppel gebaut und den Forschungsbetrieb schon gleich kurz nach Kriegsende wieder aufgenommen und eigentlich bis heute nicht eingestellt.
König: Wie ist die DDR mit Einstein, mit diesem Erbe umgegangen?
Wilderotter: Man kann sagen, sie hat Einstein mit einem gewissen Stolz behandelt. Zunächst einmal hat man, um ein Beispiel zu nennen, zum 100. Geburtstag von Einstein 1979 eine Briefmarke herausgegeben, was eigentlich nicht ganz im Geiste Einsteins war, der sich ja, Sie sagten es schon, in Deutschland jede Ehrung verbeten hat. Man hat das nicht weiter beachtet, weil das ja auch nicht eigentlich kodifiziert war und dann hat eingeklagt werden können, man konnte jetzt nicht sagen: ihr müsst diese Briefmarke einstampfen. Darauf ist interessanterweise nicht nur Einstein, sondern auch der Einsteinturm, denn das war in gewisser Weise das materielle Substrat Einsteins, das nun mal in der DDR, in Potsdam, lag, so dass man Einstein nicht ohne den Einsteinturm darstellen wollte. Es gab eine große Festveranstaltung, man war also schon stolz auf diesen Einstein und hat mit ihm in gewisser Weise auch ein bisschen Marketing betrieben, wie das von Anfang der 20er Jahre aus üblich war.
König: Und im Westen die große identitätsstiftende Figur nach dem Krieg wiederum, wie eigentlich schon nach dem ersten Weltkrieg, lebte ja noch, er starb 1955.
Wilderotter: Nicht in dem Umfang. Mir wurde von einem Philateliehistoriker gesagt, man habe 1979 auch in der Bundesrepublik eine solche Briefmarke geplant, sogar einen Wettbewerb für die Gestaltung durchgeführt, aber dann doch aus dem genannten Grund darauf verzichtet, eine solche Briefmarke herauszubringen. Er hat nicht die große Rolle gespielt, wie man es im Nachhinein vermuten sollte.
König: Und der Einstein mit der herausgestreckten Zungen auf all den T-Shirts in den 60er- und 70er Jahren als Inbegriff oppositionellen Geistes?
Wilderotter: Das war aber ein anderer Einstein, nicht der staatlich nutzbare, sondern der antiautoritäre Nonkonformist, der die Zunge herausstreckt. Sie haben es je gesagt: junge Leute. Man hatte in jeder Wohngemeinschaft dieses berühmte Poster hängen, man hatte es auf Tassen und T-Shirts - das war eher so die Idee einer Allianz zwischen den jungen Protesteierenden und dem Großvater, der auch noch mal auf die Straße geht und gegen alle Autoritäten auftritt, was übrigens Einstein selbst immer wieder hervorgehoben hat. Er hat mal gesagt "ich bin eigentlich antiautoritär und bin inzwischen zur Autorität geworden", was ja eine paradoxe Situation war.
König: Habe ich Sie richtig verstanden, das offizielle Nachkriegsdeutschland, sozusagen der Staat, mochte sich nicht so richtig heranwagen an einen Menschen, der sich die Ehrung ja verbeten hatte?
Wilderotter: Das ist wahrscheinlich der Grund für eine gewisse Zurückhaltung gewesen. Natürlich gab es 1979 auch Festveranstaltungen und Ehrenreden, das ist keine Frage, aber man hat ihn nicht systematisch in irgendwelchen Werbekampagnen eingesetzt. Man hat natürlich Volkshochschulen und vergleichbare Einrichtungen nach ihm benannt, auch das ist natürlich nicht ganz korrekt gewesen. Eine interessante Geschichte gibt es in Berlin, da gibt es ein Albert Einstein-Gymnasium, die Schüler dieses Gymnasiums haben wohl 1950 Albert Einstein einen Brief geschrieben und ihn gefragt, ob er einverstanden sei, dass sie ihr Gymnasium nach ihm benennen. Er war ganz gerührt - mit Kindern konnte er gut - hat einen Brief zurückgeschrieben, der dort in der Schule aufbewahrt und natürlich stolz gezeigt wird, er sei einverstanden und er hat ihnen gleich noch eine Büste zum Geschenk gemacht, eine Porträtbüste von sich und zwar den Abguss einer Büste, die seit 1929 im Vorraum des Einstein-Turms bis heute auch steht, so dass man im Albert Einstein-Gymnasium in Berlin-Britz einen Originalbrief von Einstein hat und eben diese Büste, die er deshalb zu diesem Anlass dem Gymnasium gestiftet hat.
König: Was ist Ihnen der Einstein, was gibt er Ihnen?
Wilderotter: Mir hat im Laufe der Beschäftigung in den letzten Monaten Einstein den Eindruck verstärkt, dass im Bereich dessen, was wir ganz großräumig als Wissenschaft bezeichnen, die Phantasie viel wichtiger ist, als alles andere. Da kommt es weniger auf Didaktik und Curricula an, sondern darauf, sich im Denken selbständig zu machen und dabei auch die eingetretenen Bahnen zu verlassen. Das hat er gemacht, das hat er gekonnt, er hat den Mut dazu gehabt, das zu tun und ich denke, das ist eine ganz wichtige Erkenntnis. Das habe ich noch mal bestätigt bekommen, das war immer schon mein Verdacht.
König: Ist das so eine Art Tagesbegleiter im Denken, der Sie jetzt so intensiv mit Einstein zu tun hatten?
Wilderotter: Nein, auf gar keinen Fall.
König: Kein Mann für alle Fälle?
Wilderotter: Nein. Das ist er zwar geworden im Laufe dieser 80 Jahre Einstein-Kult, der um ihn betrieben worden ist und zur Zeit auch betrieben wird, aber er war zunächst einmal ein Spezialist in Physik, wobei er da wiederum Generalist war, das war sein großer Vorteil gegenüber allen Spezialisten, die einfach auf die Lösungen, die Einstein gefunden hat, nicht gekommen sind, weil ihr Blickfeld eingeengt war. Das ist vielleicht das Entscheidende. Zum anderen hat er sich - und das finde ich auch sehr beeindruckend - mit Furchtlosigkeit in vielen Bereichen engagiert. Dahinter stand manchmal auch eine gewisse Naivität, aber die kann ja nur nützlich sein, wenn man furchtlos sein will, denn sobald man nicht mehr naiv ist, kriegt man vielleicht Angst und hört auf, diesen Mut aufzubringen, den er aufgebracht hat.
"Ein Turm für Albert Einstein"
Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
Kutschstall - Am Neuen Markt
14467 Potsdam
Öffnungszeiten:
19.03. bis 26.06.2005
Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Mittwoch 11 bis 20 Uhr
Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
Wilderotter: Er wurde ein Star im November 1919, man kann das ziemlich genau sagen, und zwar hat er im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie, die er übrigens vor allem in Berlin entwickelt hat, vorausgesagt, dass Licht durch Schwerkraft angezogen wird und man sollte das überprüfen können, indem man das Licht von Sternen untersucht, das in der Nähe der Sonne vorbeigeht, dass der Lichtstrahl dann leicht gekrümmt werden müsste. Das ist einer englischen Expedition im Sommer 1919 bei einer totalen Sonnenfinsternis gelungen nachzuweisen und im November, als das weltweit bekannt wurde, war Einstein in aller Munde. Man hatte das Gefühl, die alte Welt existiert nicht mehr, selbst das, was früher mal gerade war, ist krumm. In der New York Times stand am 10. November, das Licht am Himmel ist schief und krumm, das war so ein bisschen auch das Gefühl, das was jetzt gerade passiert war, dieser Krieg mit all den Zerstörungen, das war ja das Ende der alten Welt und jetzt kommt einer und erzählt, dass er sowieso eine neue Theorie für eine neue Welt hat, das heißt, man hat eine Erklärung für das, was gerade passiert war.
König: Und das ausgerechnet jemand aus dem großen Kriegsverlierer Deutschland.
Wilderotter: Das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt und vor allem, dass jemand auch anscheinend eine Theorie hat, die sagt, wie es weitergeht. Das hat zwar mit der Relativitätstheorie gar nichts zu tun, aber man weiß, wie das ist mit plötzlichen Berühmtheiten. Es ist ja wichtiger, was die Leute glauben, was sich abspielt, als das, was sich tatsächlich abspielt.
König: Sie haben die Expedition der Briten erwähnt, das heißt, ein Teil der Relativitätstheorie war damit bewiesen. Wozu nun der Einsteinturm?
Wilderotter: Der war zu einer anderen Voraussage gebaut worden oder zum empirischen Nachweis einer anderen Voraussage, auch etwas exotisch klingend: das Licht der Sonne, wenn das spektral zerlegt wird, durch ein Prisma geleitet, dann würde, so war die Behauptung, es im Vergleich zu irdischen Lichtquellen leicht in den Rotbereich verschoben werden. Das klingt unglaublich exotisch, ist es im Grunde auch, das heißt, um es mal ganz einfach zu sagen, dass die Sonne Licht aussendet, das Frequenzen hat, die zum Teil niedriger sind als die irdischer Lichtquellen und diese niedrigen Frequenzen ergeben sich daraus, dass die Atome langsamer schwingen im Gravitationsfeld der Sonne.
König: Ich habe nichts von alledem verstanden, das ist aber sehr wichtig, wie ich Ihnen gerne glauben möchte.
Wilderotter: Man wollte eben diesen Effekt nachweisen, dazu brauchte man ein großes Teleskop, dieses wurde verbunden mit einem Gerät, das man Spektrographen nennt, mit dem man das Licht der Sonne in ein Spektrum zerlegt und dann fotografisch aufgezeichnet. Wenn man jetzt diese fotografisch aufgezeichneten Spektren minutiös vergleicht mit Spektren von Licht, die man von irdischen Lichtquellen gewonnen hat, kann man eventuell diese Verschiebung feststellen. Es sind ganz minimale Abweichungen, die in Bereichen liegen, die man sich überhaupt nicht vorstellen kann und mit normalen Augen nicht zu sehen sind.
König: Und hat der Turm das geleistet?
Wilderotter: Nein, nicht wirklich, das konnte er auch gar nicht, weil sich auf der Sonne sehr viele Aktivitäten abspielen und diese führen ihrerseits zu Spektralverschiebungen ganz anderer Art und nun überlagern die sich gegenseitig, so dass man zwar Verschiebungen feststellen konnte, aber nicht genau wusste, welcher Anteil welcher Ursache geschuldet ist. Im Grunde kann man sagen, langfristig war er erfolgreich, man hat sich nämlich dann zunächst einmal auf die Erforschung dieser ganzen Aktivitäten konzentriert und das macht man dort übrigens bis heute mit großem Erfolg.
König: Können Sie und diesen Turm zunächst beschreiben? Er ist weltbekannt, eine Mischung aus Jugendstil und Expressionismus. Wie sieht er aus?
Wilderotter: Mein erster Eindruck, als ich ihn zum ersten mal live sah, war, dass er ein bisschen aussieht, wie ein U-Boot, das man in einen Rennwagen umgebaut hat und mit dem Rudolf Carraciola über den Nürburgring fährt. Er hat ein bisschen was zooamorphes, man hat manchmal den Eindruck, es handelt sich um ein Urtier, was dort zur Ruhe gekommen ist und so ganz langsam ist das Fleisch von den Knochen gefallen und die bleichen jetzt weiß in der Sonne.
König: Es ist ein Bau von Erich Mendelssohn, es heißt, dass Architekten in dieser Zeit sich von der Relativitätstheorie haben inspirieren lassen. War das bei Mendelssohn der Fall?
Wilderotter: Es kann sein, dass es Architekten gab, die geglaubt haben, dass sie sich von der Relativitätstheorie haben inspirieren lassen, aber ich bin ziemlich sicher, dass sie keine Ahnung hatten, was die Relativitätstheorie eigentlich ist. Das soll nicht bedeuten, dass das etwas sehr Kompliziertes ist, das ist gar nicht so kompliziert, nur selbst wenn sie es verstanden hätten, hätten sie aufgehört, mit dem Gedanken zu spielen, das in Architektur zu übersetzen. Mendelssohn war schon ein wenig über das informiert, was die Relativitätstheorie bedeutete, aber ich glaube kaum, dass er dann ganz bewusst gesagt hat "so, daraus will ich jetzt Architektur machen".
König: Ich habe vorhin diese Nazi-Karikatur von 1933 erwähnt, auf der zu sehen ist, wie Einstein von seinem Turm gefegt wird und habe gesagt, dieser Turm sei auch wie das Symbol für das Ende dieser deutsch-jüdischen Symbiose. Würden Sie dem zustimmen oder ist das zu groß formuliert?
Wilderotter: Das würde ich etwas zu weitgehend nennen. Es ist natürlich überraschend, dass es zwei jüdische Deutsche waren, nämlich Einstein und Mendelssohn, die beteiligt waren, der Dritte, unbekannte, zu Unrecht vergessene, nämlich der Astronom Erwin Freundlich, war der Sohn eines zum Protestantismus konvertierten jüdischen Vaters und einer Engländerin, der ist auch emigriert, allerdings wurde man den nicht so leicht los, man musste schon ein paar Tricks einsetzen, um ihn wirklich abschieben zu können, aber das ist im Herbst 1933 auch gelungen.
König: Was ist später aus dem Turm geworden?
Wilderotter: Er wurde als Forschungsinstrument weiterbenutzt, eigentlich wird er jetzt seit 80 Jahren benutzt., Er hat im Krieg ein paar Beschädigungen abbekommen, allerdings minimaler Art, durch eine in der Nähe explodierende Luftmine ist die Kuppel, die aus Holz ist, zerstört worden, aber man hat dann sehr provisorisch und schnell aus Brackenholz übrigens, das da herumlag, wieder eine Kuppel gebaut und den Forschungsbetrieb schon gleich kurz nach Kriegsende wieder aufgenommen und eigentlich bis heute nicht eingestellt.
König: Wie ist die DDR mit Einstein, mit diesem Erbe umgegangen?
Wilderotter: Man kann sagen, sie hat Einstein mit einem gewissen Stolz behandelt. Zunächst einmal hat man, um ein Beispiel zu nennen, zum 100. Geburtstag von Einstein 1979 eine Briefmarke herausgegeben, was eigentlich nicht ganz im Geiste Einsteins war, der sich ja, Sie sagten es schon, in Deutschland jede Ehrung verbeten hat. Man hat das nicht weiter beachtet, weil das ja auch nicht eigentlich kodifiziert war und dann hat eingeklagt werden können, man konnte jetzt nicht sagen: ihr müsst diese Briefmarke einstampfen. Darauf ist interessanterweise nicht nur Einstein, sondern auch der Einsteinturm, denn das war in gewisser Weise das materielle Substrat Einsteins, das nun mal in der DDR, in Potsdam, lag, so dass man Einstein nicht ohne den Einsteinturm darstellen wollte. Es gab eine große Festveranstaltung, man war also schon stolz auf diesen Einstein und hat mit ihm in gewisser Weise auch ein bisschen Marketing betrieben, wie das von Anfang der 20er Jahre aus üblich war.
König: Und im Westen die große identitätsstiftende Figur nach dem Krieg wiederum, wie eigentlich schon nach dem ersten Weltkrieg, lebte ja noch, er starb 1955.
Wilderotter: Nicht in dem Umfang. Mir wurde von einem Philateliehistoriker gesagt, man habe 1979 auch in der Bundesrepublik eine solche Briefmarke geplant, sogar einen Wettbewerb für die Gestaltung durchgeführt, aber dann doch aus dem genannten Grund darauf verzichtet, eine solche Briefmarke herauszubringen. Er hat nicht die große Rolle gespielt, wie man es im Nachhinein vermuten sollte.
König: Und der Einstein mit der herausgestreckten Zungen auf all den T-Shirts in den 60er- und 70er Jahren als Inbegriff oppositionellen Geistes?
Wilderotter: Das war aber ein anderer Einstein, nicht der staatlich nutzbare, sondern der antiautoritäre Nonkonformist, der die Zunge herausstreckt. Sie haben es je gesagt: junge Leute. Man hatte in jeder Wohngemeinschaft dieses berühmte Poster hängen, man hatte es auf Tassen und T-Shirts - das war eher so die Idee einer Allianz zwischen den jungen Protesteierenden und dem Großvater, der auch noch mal auf die Straße geht und gegen alle Autoritäten auftritt, was übrigens Einstein selbst immer wieder hervorgehoben hat. Er hat mal gesagt "ich bin eigentlich antiautoritär und bin inzwischen zur Autorität geworden", was ja eine paradoxe Situation war.
König: Habe ich Sie richtig verstanden, das offizielle Nachkriegsdeutschland, sozusagen der Staat, mochte sich nicht so richtig heranwagen an einen Menschen, der sich die Ehrung ja verbeten hatte?
Wilderotter: Das ist wahrscheinlich der Grund für eine gewisse Zurückhaltung gewesen. Natürlich gab es 1979 auch Festveranstaltungen und Ehrenreden, das ist keine Frage, aber man hat ihn nicht systematisch in irgendwelchen Werbekampagnen eingesetzt. Man hat natürlich Volkshochschulen und vergleichbare Einrichtungen nach ihm benannt, auch das ist natürlich nicht ganz korrekt gewesen. Eine interessante Geschichte gibt es in Berlin, da gibt es ein Albert Einstein-Gymnasium, die Schüler dieses Gymnasiums haben wohl 1950 Albert Einstein einen Brief geschrieben und ihn gefragt, ob er einverstanden sei, dass sie ihr Gymnasium nach ihm benennen. Er war ganz gerührt - mit Kindern konnte er gut - hat einen Brief zurückgeschrieben, der dort in der Schule aufbewahrt und natürlich stolz gezeigt wird, er sei einverstanden und er hat ihnen gleich noch eine Büste zum Geschenk gemacht, eine Porträtbüste von sich und zwar den Abguss einer Büste, die seit 1929 im Vorraum des Einstein-Turms bis heute auch steht, so dass man im Albert Einstein-Gymnasium in Berlin-Britz einen Originalbrief von Einstein hat und eben diese Büste, die er deshalb zu diesem Anlass dem Gymnasium gestiftet hat.
König: Was ist Ihnen der Einstein, was gibt er Ihnen?
Wilderotter: Mir hat im Laufe der Beschäftigung in den letzten Monaten Einstein den Eindruck verstärkt, dass im Bereich dessen, was wir ganz großräumig als Wissenschaft bezeichnen, die Phantasie viel wichtiger ist, als alles andere. Da kommt es weniger auf Didaktik und Curricula an, sondern darauf, sich im Denken selbständig zu machen und dabei auch die eingetretenen Bahnen zu verlassen. Das hat er gemacht, das hat er gekonnt, er hat den Mut dazu gehabt, das zu tun und ich denke, das ist eine ganz wichtige Erkenntnis. Das habe ich noch mal bestätigt bekommen, das war immer schon mein Verdacht.
König: Ist das so eine Art Tagesbegleiter im Denken, der Sie jetzt so intensiv mit Einstein zu tun hatten?
Wilderotter: Nein, auf gar keinen Fall.
König: Kein Mann für alle Fälle?
Wilderotter: Nein. Das ist er zwar geworden im Laufe dieser 80 Jahre Einstein-Kult, der um ihn betrieben worden ist und zur Zeit auch betrieben wird, aber er war zunächst einmal ein Spezialist in Physik, wobei er da wiederum Generalist war, das war sein großer Vorteil gegenüber allen Spezialisten, die einfach auf die Lösungen, die Einstein gefunden hat, nicht gekommen sind, weil ihr Blickfeld eingeengt war. Das ist vielleicht das Entscheidende. Zum anderen hat er sich - und das finde ich auch sehr beeindruckend - mit Furchtlosigkeit in vielen Bereichen engagiert. Dahinter stand manchmal auch eine gewisse Naivität, aber die kann ja nur nützlich sein, wenn man furchtlos sein will, denn sobald man nicht mehr naiv ist, kriegt man vielleicht Angst und hört auf, diesen Mut aufzubringen, den er aufgebracht hat.
"Ein Turm für Albert Einstein"
Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
Kutschstall - Am Neuen Markt
14467 Potsdam
Öffnungszeiten:
19.03. bis 26.06.2005
Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Mittwoch 11 bis 20 Uhr
Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte

Albert Einstein schreibt am 14. Januar 1931 eine Gleichung für die Dichte der Milchstraße an eine Tafel des Carnegie-Instituts in kalifornischen Pasadena© AP

Das berühmteste Einstein-Foto, aufgenommen am 18.3.1951, dem 72. Geburtstag von Albert Einstein© AFP