Ein totes Tier als Kunstwerk

Von Louise Brown |
Tierpräparation ist wieder gefragt in der britischen Hauptstadt. Der Trend ist vor allem Polly Morgan zu verdanken. Ihre ausgestopften Tiere sind deshalb so beliebt, weil sie sie nicht auf traditionelle Weise wie Jagd-Trophäen präsentiert.
"”Der Körper muss wirklich frisch sein, so frisch, als ob man das Fleisch essen wollte…""

Ein Besuch bei Polly Morgan ist nichts für Ängstliche. Wie ein kleiner, pelziger Haufen liegt ein toter Spatz auf Morgans Schreibtisch; in ihrem Gefrierschrank stapeln sich Füchse und Ratten. Polly Morgan ist Tierpräparatorin – oder besser gesagt: Tierpräparationskünstlerin. Bei ihr geht es nicht darum, Tiere in traditionell stolzer Positur darzustellen...

"”Ich war von Anfang an eher an gewöhnlicheren Tieren interessiert: Tiere wie Tauben und Ratten und Füchse, die wir als Ungeziefer betrachten. Ich wollte, dass man sich die anders ansieht, dass man sich bewusst wurde, was für wunderschöne Tiere sie sind. Das wiederum kann man nur erreichen, wenn man sie aus ihrer gewöhnlichen Umgebung nimmt...""Anatomie der Ratte” steht auf einem Buch im Regal von Morgans Studio, einem heute leerstehenden, einst prunkvollen, viktorianischen Bau aus roten Klinkern. Hier lebt und arbeitet die 24-Jährige mit ihrem Künstlerfreund Paul Fryer. Im Atelier unter dem Dach sitzt Morgan unter den strengen Blicken einer ausgestopften Eule und schaut auf die Londoner Skyline. Polly Morgan wuchs auf dem Lande auf; schon als Kind wollte sie alles, was sich bewegte, anfassen und näher anschauen.

"”Ich hatte mir nicht vorgenommen, Künstlerin zu werden; es geschah eher zufällig. Ich interessierte mich schon lange für die Tierpräparation, kaufte ein Buch, merkte aber schnell, dass es ziemlich schwer sein würde, das Handwerk von einem Buch zu lernen..."

Zu der Zeit kellnerte sie noch in einer hippen Londoner Bar. Nachdem sie selbst einmal versuchte, eine Taube auszustopfen, ging sie in die Lehre zum renommierten Tierpräparator Scott Jamieson. Eines ihre ersten Werke, eine kleine Blaumeise, die auf einem Gebetsbuch liegt, wurde gleich von Kate Moss gekauft. Seitdem sind Morgans Objekte ein Muss in Londons Szene-Restaurants und Galerien.

Schon zu viktorianischer Zeit galten dreidimensionale Naturabbildungen als modern an heimischen Kaminen. Dandyism is back: das Feiern des guten Geschmacks, wie damals im 19. Jahrhundert, wird sogar wieder von der Streetart-Szene zelebriert. Auch Morgan tauscht ihren übergroßen Männerpulli abends gerne für ein Tweed-Kostüm mit Hut. Vor kurzem ihre Werke in einer Show des berüchtigten Graffiti-Künstlers Banksy zu sehen.

"Ausgestopfte Tiere erwartet man eher in Häusern von höher Gestellten; im Grunde genommen könnte die Tierpräparation nicht gegensätzlicher zu Graffiti und Street Art sein. Ich glaube aber, dass die Art, wie ich die Tiere präsentiere, ein ganz anderes Publikum erreicht hat: wahrscheinlich finden deswegen so viele Menschen an meinen Arbeiten Gefallen."

Tatsächlich: das auf dem Schachbrett zusammengerollte Eichhörnchen möchte man am liebsten über das braun-grau gefleckte Fell streicheln. Bei einer weißen Ratte, die Morgan in ein Champagner-Glas gelegt hat, huscht einem unwilkürlich ein Lächeln über das Gesicht: zu sehr sieht sie aus, als ob sie zu viel des guten Getränks geschluckt hätte und nun ihren unfreiwilligen Rausch ausschläft. An Verstorbenes oder Vermottetes denkt man nicht, wenn man sich die Werke Morgans anschaut.

"”Es klingt vielleicht etwas merkwürdig, aber ich fühle mich eigentlich sehr priviligiert in dem was ich tue, denn ich habe so viel über Tiere gelernt. Früher nahm ich sie für selbstverständlich. Jetzt sehe ich Tiere mit ganz anderen Augen an.""

Wenn Polly Morgan lacht, glitzert eine schmale Goldkette unter ihrem Overall; ihre Finger sind wie die eines Models. Blut gibt es beim Hautabziehen der Tiere eigentlich wenig, sagt Morgan, deren glatt-weiße Haut in der eiskalten Luft ihres Ateliers wie Marmor schimmert - wenn man sich geschickt anstellt.

Auch Morgan arbeitet nur mit Tieren, die auf natürlichem Wege gestorben sind. Meistens stammen diese von einem befreundeten Tierarzt. Manchmal steht auch ein Paket vor ihrer Haustür, in dem der leblose, gefiederte Freund eines Vogelliebhabers liegt.

"”Oft möchte ich sie genauso erhalten, wie ich sie gefunden habe. Ich glaube, dass der Unterschied zwischen mir und einem Tierpräparator darin liegt, dass er ein totes Tier wieder lebendig ausehen lassen will. Ich aber, sehe die Schönheit in der Position, in der sich die Tiere befinden, wenn sie sterben: Plötzlich werden sie so verletzlich, so still...""