„Ein Todesurteil unterzeichnet“

Von Stephan Detjen |
Sonntag, 16. Oktober 1977 in Karlsruhe. Als der Morgen zu dämmern beginnt, legt Ernst Benda im Bundesverfassungsgericht seine rote Robe an und macht sich auf den Weg in den Verhandlungssaal.
Um 5 Uhr 50 verkündet der Präsident des höchsten deutschen Gerichts eine Entscheidung, von der die wenigen Anwesenden wissen, dass sie ein Todesurteil bedeutet. Für einen Augenblick scheint Ernst Benda die Stimme zu stocken, als er die Urteilsformel verliest:

„Im Namen des Volkes: Die Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen.“

Mit diesem Satz scheiterte der letzte Versuch der Familie Hanns Martin Schleyers, das Leben des seit fünf Wochen entführten Arbeitgeberpräsidenten zu retten. Im Namen seines Vaters hatte der Sohn, Hanns Eberhard Schleyer, sich an das Bundesverfassungsgericht gewandt. Mit einer einstweiligen Anordnung wollte er die Bundesregierung dazu zu zwingen, den Forderungen der Terroristen nachzugeben und dadurch seinen Vater zu befreien.

Am 35. Tag der Geiselnahme gab Hanns Eberhard Schleyer einem Kollegen in seiner Stuttgarter Anwaltskanzlei die Anweisung, die längst fertiggestellte Beschwerdeschrift in Karlsruhe einzureichen. Noch am frühen Samstag abend trat das Gericht zu einer eilig einberufenen Verhandlung zusammen. Für eine Nacht lang lag das Leben Hanns Martin Schleyers in den Händen von sechs Karlsruher Richtern. Einer von ihnen war Helmut Simon:

„Es war sehr bedrückend. Es war klar, wenn wir abweisen und damit die Regierung darin bekräftigen, sie muss nicht, und dann die Terroristen auf der Linie bleiben, musste man damit rechnen, dass sie ernst machen würden.“

Zwei Tage nach der Verkündung des Karlsruher Urteils wurde Hanns-Martin Schleyer von seinen Entführern erschossen.