"Ein Teil der Schattenfamilie"
"Im Kielwasser" - der neue Roman des norwegischen Autors Per Petterson - erzählt die Geschichte von Arvid, einem Schriftsteller, der bei einem Unglück einen Teil seiner Familie verliert. Der Roman trage zwar autobiografische Züge, sagte Petterson, doch er benutzte wahre Begebenheiten nur als "Sprungbrett für Fiktion".
Holger Hettinger: "Im Kielwasser" heißt das neue Buch von Per Petterson, das nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. In diesem Roman erzählt der norwegische Bestseller-Autor die Geschichte von Arvid, einem Schriftsteller, der von Krise zu Krise zu taumeln scheint. Bei einem Fährunglück verliert er seine Eltern und seine beiden jüngeren Brüder, Jahre später wird er von Frau und Kindern verlassen. Wütend, rastlos und trunken taumelt Arvid durch sein Leben, ein Leben, das schwer auszuhalten ist. Doch es gibt auch Momente der Hoffnung: So gerafft erzählt, klingt das überwiegend tragisch, aber das Buch liest sich ganz anders. Es sind zarte Episoden, ganz beiläufig erzählt, Per Petterson breitet keine grausigen Details und dramatischen Begegnungen aus, sondern deutet vieles nur flüchtig an – die Dramatik entsteht im Kopf des Lesers.
Über das Schreiben in der Abgeschiedenheit und über den Versuch, längst Verlorenes wieder zu finden – darüber spreche ich nun mit dem Schriftsteller Per Petterson. Herr Petterson, etliche Motive Ihres Romans "Im Kielwasser" findet man als reale Bestandteile Ihrer Biografie: Ihre Eltern und zwei Ihrer Geschwister sind beim Brand der Fähre "Scandinavian Star" ums Leben gekommen. Was ist realer Hintergrund, was ist fiktionale Zutat Ihres Romans?
Per Petterson: Meine Bücher nehmen alle ihren Ausgangspunkt in biografischen Begebenheiten. Und dann schreibe ich etwas Neues. Das heißt, die biografische Begebenheit dient sozusagen als Sprungbrett für Fiktion. Man darf meine Bücher nie als 1:1-Entsprechung zu meinem Leben lesen.
Hettinger: Wie viel von Ihnen ist Arvid oder andersherum gefragt, was ist Arvid, was Sie nicht sind.
Petterson: Nichts ist Arvid und ganz viel von Arvid stimmt mit mir überein. Ich würde sagen, Arvid ist eher ein unwirkliches Geschwisterkind, das ich habe. Ein Teil der Schattenfamilie. Arvid hat von mir die Wohnung bekommen und auch einen Teil meiner Biografie, aber nicht meine Bewegungen.
Hettinger: Die wahre Begebenheit, die Tatsache als Grundlage einer Entwicklung, die sich im Fiktionalen weiter spannt. Da kann man natürlich ganz profan sagen: Ist Fiktion nicht ohnehin die höhere Wahrheit?
Petterson: Fiktion ist eigentlich immer eine höhere Form von Wahrheit, wenn sie gut ist. Sie ist dann sozusagen verdichtetes Leben und bringt die Dinge zusammen und auf den Punkt. Aber dafür muss man schon ziemlich gut sein, um das auch hinzukriegen. Sonst ist das eigentlich nur pathetisch.
Hettinger: Welche Form von Erfahrungen lassen Sie Arvid zuteil werden, die Sie in dieser Form nicht erlebt haben?
Petterson: Die Schiffskatastrophe hat Arvid natürlich von mir bekommen. Und er lebt sie aus. Aber meine persönliche Reaktion auf dieses Unglück hat ungefähr zwei Jahre gedauert, während Arvid diese ganze Phase innerhalb von drei Wochen durchleben musste, so dass seine ganzen Auftritte sehr verdichtet sind und nicht ganz mit meinen Erlebnissen übereinstimmen.
Das gesamte Gespräch mit Per Petterson können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.
Über das Schreiben in der Abgeschiedenheit und über den Versuch, längst Verlorenes wieder zu finden – darüber spreche ich nun mit dem Schriftsteller Per Petterson. Herr Petterson, etliche Motive Ihres Romans "Im Kielwasser" findet man als reale Bestandteile Ihrer Biografie: Ihre Eltern und zwei Ihrer Geschwister sind beim Brand der Fähre "Scandinavian Star" ums Leben gekommen. Was ist realer Hintergrund, was ist fiktionale Zutat Ihres Romans?
Per Petterson: Meine Bücher nehmen alle ihren Ausgangspunkt in biografischen Begebenheiten. Und dann schreibe ich etwas Neues. Das heißt, die biografische Begebenheit dient sozusagen als Sprungbrett für Fiktion. Man darf meine Bücher nie als 1:1-Entsprechung zu meinem Leben lesen.
Hettinger: Wie viel von Ihnen ist Arvid oder andersherum gefragt, was ist Arvid, was Sie nicht sind.
Petterson: Nichts ist Arvid und ganz viel von Arvid stimmt mit mir überein. Ich würde sagen, Arvid ist eher ein unwirkliches Geschwisterkind, das ich habe. Ein Teil der Schattenfamilie. Arvid hat von mir die Wohnung bekommen und auch einen Teil meiner Biografie, aber nicht meine Bewegungen.
Hettinger: Die wahre Begebenheit, die Tatsache als Grundlage einer Entwicklung, die sich im Fiktionalen weiter spannt. Da kann man natürlich ganz profan sagen: Ist Fiktion nicht ohnehin die höhere Wahrheit?
Petterson: Fiktion ist eigentlich immer eine höhere Form von Wahrheit, wenn sie gut ist. Sie ist dann sozusagen verdichtetes Leben und bringt die Dinge zusammen und auf den Punkt. Aber dafür muss man schon ziemlich gut sein, um das auch hinzukriegen. Sonst ist das eigentlich nur pathetisch.
Hettinger: Welche Form von Erfahrungen lassen Sie Arvid zuteil werden, die Sie in dieser Form nicht erlebt haben?
Petterson: Die Schiffskatastrophe hat Arvid natürlich von mir bekommen. Und er lebt sie aus. Aber meine persönliche Reaktion auf dieses Unglück hat ungefähr zwei Jahre gedauert, während Arvid diese ganze Phase innerhalb von drei Wochen durchleben musste, so dass seine ganzen Auftritte sehr verdichtet sind und nicht ganz mit meinen Erlebnissen übereinstimmen.
Das gesamte Gespräch mit Per Petterson können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.