Ein Teddy gerät unter Terrorverdacht

Von Helmut Heimann |
In dem Roman "Winkie" von Clifford Chase spielt ein Teddy die Hauptrolle. Das Plüschtier steht unter Terrorverdacht und wird in einem bizarren Prozess angeklagt. Es ist eine der originellsten literarischen Reaktionen auf den Terrorismus.
Dass Tiere zu Menschen mutieren und zu sprechen anfangen - nun gut, das soll es geben, "fabelhafte" Geschichten à la " Die Bremer Stadtmusikanten" oder TV-Serien wie "Mr. Ed" legen Zeugnis davon ab.

Und auch das Zum-Leben-Erwecken unbeseelten Materials gehört seit "Frankenstein" oder "Der Herr der Ringe" zu den Standards in der phantastischen Literatur. Es ist also so gesehen erst einmal nicht weiter bemerkenswert, wenn ein Teddybär, genervt vom jahrelangen, generationenübergreifenden Hin und Her zwischen kindlicher Zuneigung und darauf folgender Ignorierung, sich entschließt, aus diesem Kreislauf auszubrechen und fortan ein selbstständiges Dasein zu führen.

Da sich dieses Dasein allerdings in den USA der Gegenwart abspielt, sieht unser Teddybär namens Winkie (der früher mal eine Teddybärin war und Mary hieß - aber das ist eine andere Geschichte) sich alsbald in eine unselige – und höchst originelle - Konstellation verstrickt: ein Bomben bastelnder Einsiedler entführt Winkies Kind, Winkies Versuch, das Kleine zu retten, scheitert, und weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war, gerät er in die Klauen der amerikanischen Anti-Terror-Maschinerie. Nach einer spektakulären Verhaftungsaktion, bei der Winkie angeschossen wird, steckt man ihn als "Public Enemy No. 1" in den Knast und macht ihm den Prozess. Ob die Geschichte happy endet oder nicht, soll hier nicht verraten werden.

Clifford Chase ist der Name des in New York lebenden Schriftstellers, der im relativ reifen Alter von fast 50 Jahren mit "Winkie" sein Roman-Debüt vorlegt - und damit eine der originellsten literarischen Reaktionen auf den "Terrorismus", ein Thema, das in den USA seit den Unabomber-Anschlägen der neunziger Jahre und natürlich verstärkt seit dem 11. September 2001 die Öffentlichkeit durchdringt. Ohne die Namen der politisch Verantwortlichen zu nennen oder auch nur deren Rolle zu thematisieren – ein geradezu genialer Schachzug, der impliziert, dass die Betreffenden eine inhaltliche Auseinandersetzung gar nicht mehr wert sind - gelingt es ihm, die kafkaeske Atmosphäre zu erzeugen, der sich breite Teile der amerikanischen Bevölkerung dieser Tage ausgeliefert fühlen - um gleichzeitig ein Gegenmittel zu verschreiben .

Vor allem im großzügig angelegten Prozess-Kapitel entwirft Chase ein Szenarium des absurden Theaters (im wahrsten Sinn des Wortes – die Zeugen der Anklage sind allesamt Schauspieler), das die Vertreter der Staatsgewalt und auch bestimmte Teile der Bevölkerung, etwa die christlichen Fundamentalisten, erbarmungslos auf’s satirische Korn nimmt. Eine wunderbare Farce !

Einen speziellen Dreh erhält die Geschichte durch ein autobiographisches Moment, dass Chase geschickt einflicht. Er war nämlich selbst einmal einer der kleinen Jungen, die Winkie erst ans Herz gedrückt und dann schnöde ins Regal verbannt haben und tritt in dieser Rolle auch (als Entlastungszeuge) im Prozess auf. Dass der Teddy das gleiche Schicksal schon als Schmusetier von Chases Mutter erlitten hatte und somit eine 80-jährige Biographie vorweisen kann, verleiht seiner Existenz zusätzliches Gewicht und eine durchaus sentimentale Note.

"Winkie", eine abgedrehte, originell erzählte Geschichte, die Lust auf mehr von Clifford Chase macht. Die etwas gewollt wirkende multimediale Internet-Inszenierung www.freewinkie.de hätte man sich zwar sparen können, aber solche Spielereien gehören heute ja fast schon dazu und tun dem Lesevergnügen keinen Abbruch.


Clifford Chase: Winkie,
aus dem Englischen von Marcus Ingendaay,
Berlin-Verlag 2006, 254 Seiten, 18,90 Euro.