Ein Stapel Schicksale
In Berlin ist bei Asylangelegenheiten und Duldungen ein Referat der Ausländerbehörde zuständig. Hier, in der größten Ausländerbehörde Deutschlands, arbeiten 317 Mitarbeiter. Sie entscheiden jeden Tag darüber, wie das Leben von Menschen weiter verläuft. 220.000 Menschen haben allein im letzten Jahr vorgesprochen.
"Ausweis, bitte! Dann bekomme ich bitte mal Ihren Pass. Ja, danke. Und ein aktuelles Foto." - "Welches wollen Sie haben?" - "Das ganz große brauche ich nicht. Genau, Dankeschön."
Der Donnerstag ist einer von drei Tagen in der Woche, an denen Michaela Fischer Besuch von ihren "Kunden" bekommt. "Kunden", so heißen die Menschen, die auf der Behörde Anträge stellen. Im Falle von Michaela Fischer ist es seit zwölf Jahren die Ausländerbehörde in Berlin, Abteilung Z7, Türkei. Vor ihr liegt ein Stapel lachsfarbener Akten. Ein Stapel Schicksale. Ihr gegenüber sitzt ein 38 Jahre alter Mann, der vor zehn Jahren aus der Türkei nach Berlin gekommen ist. Er will seine Aufenthaltserlaubnis verlängern. Um ein Jobangebot als Lehrer an einer Privatschule annehmen zu können, muss die Erlaubnis länger als die üblichen zwei Jahre gültig sein. Das wird nicht klappen, sagt Frau Fischer, denn er hat ja keine Arbeit, bezieht Leistungen vom Jobcenter.
"Das Problem ist ja, dass die Regelung ist, dass Sie selber den Lebensunterhalt bestreiten müssen, um den unbefristeten Titel, die Niederlassungserlaubnis zu bekommen. Wenn Sie jetzt Leistungen bekommen von Jobcenter, dann kann ich Ihnen diese Niederlassungserlaubnis nicht erteilen." "Ja, ich weiß! Aber wenn ich das nicht kriege, dann kriege ich auch keine Arbeit." - "Hmm..."
Ein Teufelskreislauf, den die burschikose Frau mit den schulterlangen, blonden Haaren vielen Menschen irgendwie begreifbar machen muss. Durch sie spricht das Gesetz. So etwas wie Kulanz kann sie nicht walten lassen.
"Wir haben es oft bei Selbstständigen, dass zum Beispiel Kredite nur gegeben werden, wenn die Menschen einen unbefristeten Titel haben. Und da hängt oft dann die Existenz dran. Deshalb ist es wichtig für viele Menschen."
"Ich will hier nicht hier als Reinigungskraft arbeiten. Ja, ich bin qualifiziert." - "Ich kann's ja verstehen. Ja."
Der Mann klammert sich an seiner Aktentasche fest. Er bekommt feuchte Augen. Für ihn geht es heute um alles. Als studierter Grundschul- und Geographielehrer will er nicht mehr, wie in den letzten Jahren, Putzjobs oder Wachdienste annehmen. Arbeiten, für die er überqualifiziert ist. Frau Fischer scannt routiniert sein Passbild ein und wiederholt, dass sie keine Chance für eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis sieht.
Einen Flur weiter warten über 100 Menschen darauf, endlich aufgerufen zu werden. Auf Fensterbänken sitzen junge Asiaten, die gemeinsam Musik hören. Auf einer Holzbank stillt eine junge Frau ihr Baby, der Vater spielt auf seinem Handy "Tetris". Referat Z8 in der Berliner Ausländerbehörde. Es geht um Asylangelegenheiten, Duldungen und Humanitäre Aufenthalte. Claudia, 19 Jahre alt, kommt aus Serbien.
"Naja, ich bin 2008 noch hierher gekommen. Man hat mehr Rechte. Ist nicht so wie dort. Manche haben Rechte, manche nicht."
Sie gehört der Gruppe der Roma an, die in Serbien stark diskriminiert werden. Viele Menschen sind aus Claudias Heimat in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen. Claudia hat einen kleinen Sohn und Angst ihn zu verlieren. In Serbien würde sein Vater ihn mir wegnehmen, erzählt sie. Heute hofft sie darauf, dass ihre Duldung verlängert wird. Ist aber unwahrscheinlich, meint die junge Frau. Sie hat versucht einen Hauptschulabschluss zu machen, um dann eine Ausbildung zu beginnen. Das hat nicht geklappt, weil sie sich um ihr Kind kümmern musste.
"Warum fragst Du mich, ob ich manchmal noch schlafe? Schon lange nicht mehr. Ich hab Schnauze voll."
Seit zwei Stunden wartet Claudia. Innerhalb der nächsten Stunden geht zu es zu einem Sachbearbeiter, der ihr mitteilen wird, wie es weitergeht. Was, wenn sie Deutschland verlassen muss?
"Dann versuche ich in anderem Land. Zum Beispiel Schweden."
Am Eingang der Wartehalle steht Frau Seiffert-Weiß, gerade auf dem Weg in Ihr Referat Z7, Türkei. Dort ist sie die Abteilungsleiterin. Sie blickt in den überfüllten Raum voll mit Kinderwagen und müden Gesichtern. In letzter Zeit kommen immer mehr Leute aus Serbien, sagt sie. Die meisten stellen einen Asylantrag, haben aber keine Chance auf Anerkennung.
"Weiß nicht, man hört ja in der Presse oft viele Berichte, dass es da ja nun besonders schlimm für Roma ist. Ich persönlich glaube, es hat was damit zu tun, dass auch die sozialen Leistungen bei uns sehr hoch sind. Es ist tatsächlich lohnenswert für eine Familie mit mehreren Kindern, die Wintermonate hier zu verbringen."
Das kann sie verstehen, sagt die Beamtin und dennoch, geht das so natürlich nicht. Viel zu teuer. Bis jemand wirklich einmal abgeschoben wird, sagt sie noch, vergehen oft Jahre. In Berlin ist es durchschnittlich eine Person am Tag, die in den Flieger gesetzt wird. Irgendwo hin zurück in die Heimat.
Im Büro von Michaela Fischer sitzt noch immer der 38-jährige Mann, der heute sein Aufenthaltsrecht verlängern will. Sein Blick ist traurig, wie es aussieht, wird er seinen Job als Türkisch-Lehrer an einer Berliner Privatschule nicht antreten können. Seine Zukunft ist ungewiss.
"Ich will... das ist mein Traum! Ich war in der Türkei Lehrer. Ich wollte gerne hier auch. Aber es hängt von der Aufenthaltserlaubnis ab."
Die Sachbearbeiterin blättert in der Akte des Mannes. Schreiben aus den letzten zehn Jahren, ordentlich mit Stempeln und Aufdrucken versehen. Sie geht rasch ein paar Seiten zurück.
"Haben Sie Kinder?" - "Ja, eins." - "Das Kind ist 2006 geboren." "Ja." - "Das, was ich Ihnen heute anbieten kann, ist das ich bis zum 18. Geburtstag des Kindes die Aufenthaltserlaubnis beantrage." - "Vielen, vielen Dank. Das ist sehr gut." - "Haben Sie schon einmal von dem elektronischen Aufenthaltstitel gehört?"
Die Augen des Mannes sind wieder hellwach, Frau Fischer lächelt kurz. Bis 2025 darf der Mann mit seiner Familie auf jeden Fall bleiben. Den Job als Lehrer kann er damit antreten.
Links auf dradio.de:
Nur wenige Anträge zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen - SPD-Bildungspolitiker Swen Schulz: Länder brauchen mehr Unterstützung vom Bund
Der Donnerstag ist einer von drei Tagen in der Woche, an denen Michaela Fischer Besuch von ihren "Kunden" bekommt. "Kunden", so heißen die Menschen, die auf der Behörde Anträge stellen. Im Falle von Michaela Fischer ist es seit zwölf Jahren die Ausländerbehörde in Berlin, Abteilung Z7, Türkei. Vor ihr liegt ein Stapel lachsfarbener Akten. Ein Stapel Schicksale. Ihr gegenüber sitzt ein 38 Jahre alter Mann, der vor zehn Jahren aus der Türkei nach Berlin gekommen ist. Er will seine Aufenthaltserlaubnis verlängern. Um ein Jobangebot als Lehrer an einer Privatschule annehmen zu können, muss die Erlaubnis länger als die üblichen zwei Jahre gültig sein. Das wird nicht klappen, sagt Frau Fischer, denn er hat ja keine Arbeit, bezieht Leistungen vom Jobcenter.
"Das Problem ist ja, dass die Regelung ist, dass Sie selber den Lebensunterhalt bestreiten müssen, um den unbefristeten Titel, die Niederlassungserlaubnis zu bekommen. Wenn Sie jetzt Leistungen bekommen von Jobcenter, dann kann ich Ihnen diese Niederlassungserlaubnis nicht erteilen." "Ja, ich weiß! Aber wenn ich das nicht kriege, dann kriege ich auch keine Arbeit." - "Hmm..."
Ein Teufelskreislauf, den die burschikose Frau mit den schulterlangen, blonden Haaren vielen Menschen irgendwie begreifbar machen muss. Durch sie spricht das Gesetz. So etwas wie Kulanz kann sie nicht walten lassen.
"Wir haben es oft bei Selbstständigen, dass zum Beispiel Kredite nur gegeben werden, wenn die Menschen einen unbefristeten Titel haben. Und da hängt oft dann die Existenz dran. Deshalb ist es wichtig für viele Menschen."
"Ich will hier nicht hier als Reinigungskraft arbeiten. Ja, ich bin qualifiziert." - "Ich kann's ja verstehen. Ja."
Der Mann klammert sich an seiner Aktentasche fest. Er bekommt feuchte Augen. Für ihn geht es heute um alles. Als studierter Grundschul- und Geographielehrer will er nicht mehr, wie in den letzten Jahren, Putzjobs oder Wachdienste annehmen. Arbeiten, für die er überqualifiziert ist. Frau Fischer scannt routiniert sein Passbild ein und wiederholt, dass sie keine Chance für eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis sieht.
Einen Flur weiter warten über 100 Menschen darauf, endlich aufgerufen zu werden. Auf Fensterbänken sitzen junge Asiaten, die gemeinsam Musik hören. Auf einer Holzbank stillt eine junge Frau ihr Baby, der Vater spielt auf seinem Handy "Tetris". Referat Z8 in der Berliner Ausländerbehörde. Es geht um Asylangelegenheiten, Duldungen und Humanitäre Aufenthalte. Claudia, 19 Jahre alt, kommt aus Serbien.
"Naja, ich bin 2008 noch hierher gekommen. Man hat mehr Rechte. Ist nicht so wie dort. Manche haben Rechte, manche nicht."
Sie gehört der Gruppe der Roma an, die in Serbien stark diskriminiert werden. Viele Menschen sind aus Claudias Heimat in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen. Claudia hat einen kleinen Sohn und Angst ihn zu verlieren. In Serbien würde sein Vater ihn mir wegnehmen, erzählt sie. Heute hofft sie darauf, dass ihre Duldung verlängert wird. Ist aber unwahrscheinlich, meint die junge Frau. Sie hat versucht einen Hauptschulabschluss zu machen, um dann eine Ausbildung zu beginnen. Das hat nicht geklappt, weil sie sich um ihr Kind kümmern musste.
"Warum fragst Du mich, ob ich manchmal noch schlafe? Schon lange nicht mehr. Ich hab Schnauze voll."
Seit zwei Stunden wartet Claudia. Innerhalb der nächsten Stunden geht zu es zu einem Sachbearbeiter, der ihr mitteilen wird, wie es weitergeht. Was, wenn sie Deutschland verlassen muss?
"Dann versuche ich in anderem Land. Zum Beispiel Schweden."
Am Eingang der Wartehalle steht Frau Seiffert-Weiß, gerade auf dem Weg in Ihr Referat Z7, Türkei. Dort ist sie die Abteilungsleiterin. Sie blickt in den überfüllten Raum voll mit Kinderwagen und müden Gesichtern. In letzter Zeit kommen immer mehr Leute aus Serbien, sagt sie. Die meisten stellen einen Asylantrag, haben aber keine Chance auf Anerkennung.
"Weiß nicht, man hört ja in der Presse oft viele Berichte, dass es da ja nun besonders schlimm für Roma ist. Ich persönlich glaube, es hat was damit zu tun, dass auch die sozialen Leistungen bei uns sehr hoch sind. Es ist tatsächlich lohnenswert für eine Familie mit mehreren Kindern, die Wintermonate hier zu verbringen."
Das kann sie verstehen, sagt die Beamtin und dennoch, geht das so natürlich nicht. Viel zu teuer. Bis jemand wirklich einmal abgeschoben wird, sagt sie noch, vergehen oft Jahre. In Berlin ist es durchschnittlich eine Person am Tag, die in den Flieger gesetzt wird. Irgendwo hin zurück in die Heimat.
Im Büro von Michaela Fischer sitzt noch immer der 38-jährige Mann, der heute sein Aufenthaltsrecht verlängern will. Sein Blick ist traurig, wie es aussieht, wird er seinen Job als Türkisch-Lehrer an einer Berliner Privatschule nicht antreten können. Seine Zukunft ist ungewiss.
"Ich will... das ist mein Traum! Ich war in der Türkei Lehrer. Ich wollte gerne hier auch. Aber es hängt von der Aufenthaltserlaubnis ab."
Die Sachbearbeiterin blättert in der Akte des Mannes. Schreiben aus den letzten zehn Jahren, ordentlich mit Stempeln und Aufdrucken versehen. Sie geht rasch ein paar Seiten zurück.
"Haben Sie Kinder?" - "Ja, eins." - "Das Kind ist 2006 geboren." "Ja." - "Das, was ich Ihnen heute anbieten kann, ist das ich bis zum 18. Geburtstag des Kindes die Aufenthaltserlaubnis beantrage." - "Vielen, vielen Dank. Das ist sehr gut." - "Haben Sie schon einmal von dem elektronischen Aufenthaltstitel gehört?"
Die Augen des Mannes sind wieder hellwach, Frau Fischer lächelt kurz. Bis 2025 darf der Mann mit seiner Familie auf jeden Fall bleiben. Den Job als Lehrer kann er damit antreten.
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Nur wenige Anträge zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen - SPD-Bildungspolitiker Swen Schulz: Länder brauchen mehr Unterstützung vom Bund