Ein Sprachspielbuch

Von Helmut Böttiger · 22.06.2005
In diesem Sprachspielbuch geht Franz Fühmann unter anderem der Frage nach: Wie entsteht Sprache? Das Buch versammelt alle möglichen Überraschungen, die die Sprache zu bieten hat. Eingebettet ist es sogar in eine Handlung, in der einige Kinder im Urlaub mit ihren Eltern sind und sich zunächst furchtbar langweilen.
Solch ein Buch verbindet man nicht ohne weiteres mit Franz Fühmann, dem großen Schriftsteller aus der DDR, der 1984 im Alter von 62 Jahren starb - er war ja vor allem ein Moralist, ein unbestechlicher Individualist, der immer wieder mit der offiziellen Politik und Kulturpolitik in Konflikt geriet, weil er sehr ernst und gewissenhaft auf grundsätzlichen Fragen beharrte. Berühmt wurde sein Buch über den von der Gesellschaft geschnittenen, einsamen und großen expressionistischen Dichter Ernst Trakl. Aber dann dies: 1978 veröffentlichte Fühmann ein Buch, das schon durch seinen Titel verblüffte, man muss sich das nur einmal langsam vorsprechen. "Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel". Bedeutet das irgendwas? Ist das eine geheime versteckte Botschaft? Oder ist das alles nur Unsinn?

Bei Franz Fühmann allerdings, das weiß man, ist nichts Unsinn. Aber, und das ist das Unerwartete: Es ist sehr lustig. Auf den ersten Blick handelt es sich um ein Kinderbuch, auf den zweiten jedoch wird klar, dass es jedem Spaß machen kann, sogar heimlich den Erwachsenen. Im Untertitel wird deutlich, worum es genauer geht, es sind gleich drei Untertitel: "Ein Spielbuch in Sachen Sprache. Ein Sprachbuch voll Spielsachen. Ein Sachbuch der Sprachspiele." Das Buch versammelt alle möglichen Überraschungen, die die Sprache zu bieten hat, und eingebettet ist es sogar in eine Handlung, in der einige Kinder im Urlaub mit ihren Eltern sind und sich zunächst furchtbar langweilen. Man sitzt irgendwo in den Bergen fest, vermutlich im Erzgebirge oder im Thüringer Wald, und es regnet unablässig. Den Kindern fällt nichts mehr ein, was sie spielen könnten, bei Rommé und allen möglichen anderen Karten gähnen sie nur noch. Dann sagt Emmanuel plötzlich einen folgenschweren Satz: "Regenwetter – regelrecht ekelerregend." Und damit fängt es an.

Emmanuel hatte lauter Wörter gesagt, in denen als Vokal nur das "e" vorkommt. Sofort fangen sie an, nach weiteren solchen Wörtern zu suchen, sie gehen alle Vokale durch und gelangen bis zu unerhörten Gebilden wie "Panamakanal" oder "Mississippi". Und wenn man damit erst einmal anfängt, kommt man zu immer neuen Spielen: zu Wörtern, die gleich lauten, egal, ob man sie von vorne oder von hinten liest, Kugelwörter wie "Anna" oder "Otto". Sogar Sätze kann man auf diese Weise bilden, und als kolossalster Satz fällt: "Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie." Das liest sich tatsächlich von vorne und von hinten genauso!

Natürlich gehört zu solch einem Buch, dass dann bald ein kleiner Geist auftaucht, den nur die Kinder sehen können, ein Umlautungeheuer und Zungenbrecher, der sich Küslübürtün nennt und orientalische grasgrüne Pluderhosen trägt. Der hat lauter Sprachrätsel auf Lager, Geschichten, die sich um Worte und um Lautmalerei drehen, und bald gesellt sich ihm ein zweiter kleiner Geist hinzu, der Arthur Schopenhauer heißt und den die Kinder "Schoppi" nennen. Der bringt, mit seinen Kumpels Humboldt und Herder, ein gerüttelt Maß an Bildungsgut in dieses Buch - aber unaufdringlich, ohne dass man es so recht merkt. Selbstverständlich kommt auch Brecht zu seinem Recht. Und wenn man das Buch zugeschlagen hat, weiß man wieder: Wörter und Sprache können unglaublich viel Spaß machen, ganz anders, als man es von all den Fachdidaktikern und Statistikpädagogen kennt.


Franz Fühmann: Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel. Hinstorff Verlag Rostock, 360 Seiten, 19,90 Euro.