Ein Sprachexperimentator von Weltrang

Von Ulrike Thielmann · 23.07.2005
Langsam bricht sich das Bewusstsein bahn, dass ein Künstler von Weltrang aus Annaberg im Erzgebirge kommt. Vor allem bildnerisch – aber auch akustisch – hat er mit Sprache experimentiert. Die Kunstsammlungen Chemnitz, die seinen Nachlass verwalten, stellen sein Werk anlässlich seines 75. Geburtstages in den Kontext internationaler Kunst.
Carlfriedrich Claus war ein radikaler Anarchist. Vor allem bildnerisch – aber auch akustisch – hat er mit Sprache experimentiert. In konzentrierter Arbeit erforschte er innere Erkenntnis- und Bewusstseinsprozesse und hielt ihre Spuren auf Tonband fest. Und auf Papier. Claus' Bilder, Zeichnungen, Drucke und Radierungen formen sich aus dem Kosmos der Buchstaben und Zeichen.

Bei seinen Experimenten verließ Carlfriedrich Claus die natürliche Sprache mit ihren semantischen Bindungen. Ihm wurde deutlich, dass sie zwar die Verständigung ermöglicht, sich aber auch immer als etwas Fremdes zwischen Sender und Empfänger stellt:

" Die Ränder der Informationen, die keine Bedeutung zum Erkennen des Sprachlautes haben, genau diese Ränder interessieren mich. Das heißt, diese Lautprozesse sind kein Sprechen im Sinne der Phonologie, wo jedem Sprechakt ein bestimmtes Gerüst in einer bestimmten natürlichen Sprache vorausgehen muss. Hier geht es gerade darum, dieses Gerüst zu durchbrechen, aus ihm herauszubrechen. "

Fast sein ganzes Leben – seit den 50er Jahren – laborierte Carlfriedrich Claus im stillen Kämmerlein seiner Annaberger Wohnung. Nur die Stasi nahm Notiz, in Annaberg selbst brauchte es Jahrzehnte, um zu begreifen, dass der Stadt – nach Adam Ries – ein neues Genie beschert war.

Außerhalb Sachsens sind Carlfriedrich Claus und seine Kunst immer noch zu wenig bekannt, sagt Ingrid Mössinger, Direktorin der Kunstsammlungen Chemnitz. Dieses Jahr jährt sich der Geburtstag des Künstlers zum 75. Mal. Claus' Nachlass liegt in den Händen des Museums:

" Und deshalb strengen wir uns dieses Jahr besonders an, weil wir nicht nur das Werk selbst präsentieren wollen. Wir wollen es in internationalen Zusammenhang zeigen. Damit man sieht, in welchen Kontext Claus überhaupt einzuordnen ist. Und so haben wir jetzt 110 internationale Künstler. Und zwar von Klee bis … "

… Jackson Pollock, Raoul Hausmann, Max Ernst. Sie alle beschäftigen sich mit Sprache, Zeichen und Gesten, sie alle sind weltberühmt. Die entscheidende Frage dieser Ausstellung lautet denn auch: Halten die Bilder von Carlfriedrich Claus dem internationalen Vergleich stand? Erster Eindruck und auch zweiter: Sie halten. Die Kunstsammlungen Chemnitz dürfen sich freuen, sie beherbergen nun den Nachlass eines Künstlers von Weltrang.

Ingrid Mössinger hofft, dass sich das der internationalen Kunstwelt mitteilt. Und die weitere Nachlasspflege erleichtert:

" Das ist jetzt die erste große Präsentation, die wir zeigen, seit der Nachlass in unserem Hause ist. Das lange Warten hat damit zu tun, dass es sehr schwierig, langwierig und umständlich ist, den ganzen Nachlass aufzuarbeiten. Wir haben ja hier 22.000 Briefe. Wir haben auch Tondokumente und wir haben fast ein Jahr gebraucht, bis die von den Kassetten auf zeitgenössische CDs überspielt waren. Und alles war natürlich technisch in einem sehr desolaten Zustand. "

22.000 Briefe, 1500 Tondokumente, 600 Druckgrafiken, ebenso viele Handzeichnungen, die Bibliothek des Künstlers sowie seine Fotosammlung umfasst das Chemnitzer Carlfriedrich-Claus-Archiv. Brigitta Milde ist die Frau, die den fast unübersehbaren Schatz archiviert. Ohne allzu große Unterstützung.

Der Künstler ist Brigitta Mildes Lebensaufgabe geworden. Milde will Claus den Platz in der internationalen Kunstgemeinde verschaffen, der ihm gebührt. Besonders der Briefwechsel liegt Brigitta Milde am Herzen: Er belegt die Weltoffenheit des Künstlers. Claus hatte in der DDR – aus der sächsischen Provinz heraus – mit der geistigen und künstlerischen Elite in New York, Paris und London korrespondiert.

Brigitta Milde: " Das Phantastische an diesem Briefwechsel ist aber auch , dass Carlfriedrich Claus seit den 50er Jahren – und das ist im Grunde unglaublich – nicht nur jeden Brief aufgehoben hat, den er empfangen hat, sondern auch von jedem Brief, den er weggeschickt hat, eine Blaupause zurückbehielt. So dass wir sämtliche Briefwechsel komplett haben – sei es mit Ernst Bloch, mit Raoul Hausmann, mit Wilhelm Ney - man kann aufzählen ohne Ende. Und das ist natürlich schon allein ein phantastischer Fundus. "
Wie Claus' - aus der selbst gewählten Isolation seiner 60 Quadratmeter großen Annaberger Wohnung – an die internationalen Kunstentwicklung anschließen konnte und den Dialog mit den Großen der Zeit fand, scheint rätselhaft. Claus' genoss jedoch die Protektion des renommierten Westberliner Kunstwissenschaftlers Will Grohmann.

Brigitta Milde: " Also über Will Grohmann sind ganz viele Kontakte zu Stande gekommen. Und so kann man immer solche kleinen Genealogien entwickeln, wie Kontakte zu Stande gekommen sind. Sehr viele Leute, mit denen Carlfriedrich Claus in Briefwechsel stand, haben natürlich das Innovative seiner Ansichten und seiner Kunst erkannt, und haben – in Freundeskreisen – andere auf ihn aufmerksam gemacht. So dass sich Claus' Netzwerk immer weiter entwickeln konnte. "

Claus' Briefwechsel ist natürlich auch Zeugnis der erschwerten Kommunikation in der DDR. Gegen den Machtmissbrauch von Sprache wendet sich Claus ganzes Werk. Umso anrührender ist es, in der Chemnitzer Schau zu sehen, wie der Künstler endlich angekommen ist. Über die Kommunikationsbarrieren hinweg. Nicht mehr isoliert. Inmitten seiner berühmteren Künstlerkollegen. Bei sich.

Service:

Vom 24. Juli bis zum 9. Oktober 2005 sind die Werke von Carlfriedrich Claus in den Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen. Im Kontext von Klee bis Jackson Pollock.