Ein Spiel als Überlebensprinzip
In der "Schachnovelle" wird das Spiel zum Prüfstein der Menschlichkeit. Die Hörspielfassung von 1959 mit Willy Trenk-Trebitsch und Mario Adorf ist jetzt neu erschienen - und ein akustischer Genuss.
Es ist wohl die außergewöhnlichste Schachpartie, die jemals gespielt wurde. In Stefan Zweigs Novelle, die 1941 erschien, wird die königliche Disziplin zum Kampfplatz. Auf einem Schiff von New York nach Buenos Aires spielt der Schachweltmeister Mirko Czentovic gegen einige Passagiere eine Simultanpartie - und wird durch die genialen Züge eines gewissen Dr. Blatt zum Remis gezwungen.
"Nicht gleich vorziehen, sondern ausweichen! Vor allem mit dem König abrücken aus der gefährdeten Linie von g8 auf h7. Ja, dann wird er wahrscheinlich den Angriff auf die andere Flanke hinüberziehen. Aber da parieren Sie mit dem Turm c8-c4; das kostet ihn zwei Tempi und einen Bauern und damit die Überlegenheit. Dann steht Freibauer gegen Freibauer, und wenn Sie sich richtig defensiv verhalten, kommen Sie noch auf Remis. Ja mehr als ein Unentschieden ist nicht herauszuholen."
Welch akustischer Genuss - Willy Trenk-Trebitsch als Dr. Blatt nimmt mit gierigen Atemzügen die Partie Zug für Zug an sich. Großartig, wie er dessen Ungeduld auffängt. Denn in Blatts Geschichte spiegelt sich die Katastrophe der Zeit. Als Vermögensverwalter großer Klöster wird er 1938 von der Gestapo in ein Hotelzimmer eingesperrt und endlosen Verhören ausgesetzt. In der totalen Leere von Raum und Zeit fürchtet er um seinen Verstand.
"Nimm also die Hauptzahl, achtundzwanzigtausendsiebenhundert ach, nein. Füllest wieder Busch und Tal still mit Nebelglanz. Was hab ich gesagt? Was hab ich gesagt? Lösest endlich auch einmal meine Seele ganz."
Plötzlich verspricht ein Buch geistige Nahrung, um dem Nichts zu entkommen.
"In einer Art Vorgenuss habe ich es mir bereits ausgemalt, was es enthalten könnte. Nur nichts Seichtes, Flaches, so hoff’ ich, sondern etwas, was man auswendig lernen kann, vielleicht Goethe oder Homer. Und dann diese Enttäuschung. Diese grenzenlose Enttäuschung, als ich es endlich aufschlage. Denn dieses Buch enthält nichts weiter als eine Sammlung von hundertfünfzig Meisterpartien. Tja, es ist ein Schachrepetitorium."
Ohne Brett, Figuren und Partner werden die abstrakten Partien in Blatts Kopf zu rettenden Manövern. Die Strategie des Schachspiels wird zum Überlebensprinzip.
"Kombinieren, geheime Winkelzüge aufzudecken, Schach zu bieten, um zu verhindern, dass die anderen mich, mich matt setzen."
Als er alle Meisterpartien auswendig spielen kann, denkt er sich neue aus und tritt in einer raffinierten Bewusstseinsspaltung gegen sich selbst an.
"Denn jedes der beiden Spieler-Ichs muss immer schon vier oder fünf Züge im voraus berechnen können. Mein eines Gehirn hat also ein zweites hinzu erfunden, das es einschalten und ausschalten kann."
Die 1959 produzierte Hörspielfassung zieht einen in den Bann. Hier wird nicht eine "Welt von gestern" inszeniert. Zweigs Schachsymbolik ist zeitlos – man muss nur die Spieler einer Epoche gegeneinander antreten lassen. Und dann diese Stimmen! Der junge Mario Adorf als das "stupide Genie" Mirko Czentovic, der, im Gegensatz zu Blatt, zwar keine Partie blind spielen kann, aber in seiner phantasielosen Borniertheit die Macht symbolisiert.
Gert Westphal führt als Erzähler mit unglaublicher Vitalität durch die Handlung. Seine staunende Naivität für Blatts unerhörte Begabung trägt er auf der Zunge – man hört ihn lächeln und sich wundern.
"Aber wenn Sie imstande sind mehrere Züge derart genau im voraus zu berechnen. Wenn Sie sich sogar noch an einzelne Kombinationen der verschiedenen Meister erinnern können, dann müssen Sie sich doch, zumindest theoretisch, mit Schach außerordentlich intensiv beschäftigt haben."
Blatt lässt sich schließlich zu einer weiteren Partie gegen den Weltmeister überreden. Doch während des Spiels fällt er in das Trauma der Haft zurück. Die visuellen Kombinationen in seinem Kopf kollidieren mit denen auf dem realen Schachbrett. Ihm bleibt nur die Kapitulation.
"Herr Czentovic, ich bitte sie tausendmal wegen meines dummen Irrtums um Verzeihung. Was ich da eben behauptet habe, war natürlich purer Unsinn. Es bleibt selbstverständlich ihre Partie."
Das Hörspiel erfasst die eleganten Sprachzüge und klugen Erzählstrategien des Textes. Und es bewahrt etwas von jener Ungeduld, die für Zweig ein Warten auf die "Morgenröte nach der langen Nacht" - wie es in seinem Abschiedsbrief heißt - unmöglich machte. Wenige Monate nach dem Erscheinen der "Schachnovelle" nahm er sich 1942 im brasilianischen Exil das Leben.
Besprochen von Carola Wiemers
Stefan Zweig: Schachnovelle
Hörverlag München, 2010, Produktion Hessischer Rundfunk/Saarländischer Rundfunk/Schweizer Radio DRS 1959
1 CD, 66 Minuten, 14,95 Euro
"Nicht gleich vorziehen, sondern ausweichen! Vor allem mit dem König abrücken aus der gefährdeten Linie von g8 auf h7. Ja, dann wird er wahrscheinlich den Angriff auf die andere Flanke hinüberziehen. Aber da parieren Sie mit dem Turm c8-c4; das kostet ihn zwei Tempi und einen Bauern und damit die Überlegenheit. Dann steht Freibauer gegen Freibauer, und wenn Sie sich richtig defensiv verhalten, kommen Sie noch auf Remis. Ja mehr als ein Unentschieden ist nicht herauszuholen."
Welch akustischer Genuss - Willy Trenk-Trebitsch als Dr. Blatt nimmt mit gierigen Atemzügen die Partie Zug für Zug an sich. Großartig, wie er dessen Ungeduld auffängt. Denn in Blatts Geschichte spiegelt sich die Katastrophe der Zeit. Als Vermögensverwalter großer Klöster wird er 1938 von der Gestapo in ein Hotelzimmer eingesperrt und endlosen Verhören ausgesetzt. In der totalen Leere von Raum und Zeit fürchtet er um seinen Verstand.
"Nimm also die Hauptzahl, achtundzwanzigtausendsiebenhundert ach, nein. Füllest wieder Busch und Tal still mit Nebelglanz. Was hab ich gesagt? Was hab ich gesagt? Lösest endlich auch einmal meine Seele ganz."
Plötzlich verspricht ein Buch geistige Nahrung, um dem Nichts zu entkommen.
"In einer Art Vorgenuss habe ich es mir bereits ausgemalt, was es enthalten könnte. Nur nichts Seichtes, Flaches, so hoff’ ich, sondern etwas, was man auswendig lernen kann, vielleicht Goethe oder Homer. Und dann diese Enttäuschung. Diese grenzenlose Enttäuschung, als ich es endlich aufschlage. Denn dieses Buch enthält nichts weiter als eine Sammlung von hundertfünfzig Meisterpartien. Tja, es ist ein Schachrepetitorium."
Ohne Brett, Figuren und Partner werden die abstrakten Partien in Blatts Kopf zu rettenden Manövern. Die Strategie des Schachspiels wird zum Überlebensprinzip.
"Kombinieren, geheime Winkelzüge aufzudecken, Schach zu bieten, um zu verhindern, dass die anderen mich, mich matt setzen."
Als er alle Meisterpartien auswendig spielen kann, denkt er sich neue aus und tritt in einer raffinierten Bewusstseinsspaltung gegen sich selbst an.
"Denn jedes der beiden Spieler-Ichs muss immer schon vier oder fünf Züge im voraus berechnen können. Mein eines Gehirn hat also ein zweites hinzu erfunden, das es einschalten und ausschalten kann."
Die 1959 produzierte Hörspielfassung zieht einen in den Bann. Hier wird nicht eine "Welt von gestern" inszeniert. Zweigs Schachsymbolik ist zeitlos – man muss nur die Spieler einer Epoche gegeneinander antreten lassen. Und dann diese Stimmen! Der junge Mario Adorf als das "stupide Genie" Mirko Czentovic, der, im Gegensatz zu Blatt, zwar keine Partie blind spielen kann, aber in seiner phantasielosen Borniertheit die Macht symbolisiert.
Gert Westphal führt als Erzähler mit unglaublicher Vitalität durch die Handlung. Seine staunende Naivität für Blatts unerhörte Begabung trägt er auf der Zunge – man hört ihn lächeln und sich wundern.
"Aber wenn Sie imstande sind mehrere Züge derart genau im voraus zu berechnen. Wenn Sie sich sogar noch an einzelne Kombinationen der verschiedenen Meister erinnern können, dann müssen Sie sich doch, zumindest theoretisch, mit Schach außerordentlich intensiv beschäftigt haben."
Blatt lässt sich schließlich zu einer weiteren Partie gegen den Weltmeister überreden. Doch während des Spiels fällt er in das Trauma der Haft zurück. Die visuellen Kombinationen in seinem Kopf kollidieren mit denen auf dem realen Schachbrett. Ihm bleibt nur die Kapitulation.
"Herr Czentovic, ich bitte sie tausendmal wegen meines dummen Irrtums um Verzeihung. Was ich da eben behauptet habe, war natürlich purer Unsinn. Es bleibt selbstverständlich ihre Partie."
Das Hörspiel erfasst die eleganten Sprachzüge und klugen Erzählstrategien des Textes. Und es bewahrt etwas von jener Ungeduld, die für Zweig ein Warten auf die "Morgenröte nach der langen Nacht" - wie es in seinem Abschiedsbrief heißt - unmöglich machte. Wenige Monate nach dem Erscheinen der "Schachnovelle" nahm er sich 1942 im brasilianischen Exil das Leben.
Besprochen von Carola Wiemers
Stefan Zweig: Schachnovelle
Hörverlag München, 2010, Produktion Hessischer Rundfunk/Saarländischer Rundfunk/Schweizer Radio DRS 1959
1 CD, 66 Minuten, 14,95 Euro