Ein Sommer in der DDR

11.05.2009
In seinem Roman "Anne und Paul" schildert Autor Arnold Thünker in unaufgeregter Weise den Alltag eines Dorfs in der DDR. Als die sozialistische Politik über den Ort hereinbricht, bringt Thünker Komik ins Spiel.
Arnold Thünker war 30 Jahre alt, als in Berlin die Mauer fiel. Was ihn mit der ehemaligen DDR verbindet, erfahren wir in seinem neuen Roman. Im Jahr 2004 legte Arnold Thünker sein Debüt "Keiner wird bezahlen" vor. Eine Geschichte aus der verlorenen Welt eines rheinischen Dorfes, mit dem Wirtshaus und der Kirche als Zentrum. In seinem neuen Roman "Anne und Paul" setzt sich die Kindheitserzählung über ein Dorfleben fort. Diesmal in der DDR, wieder mit einer Kirche und mit Schnaps, wenn auch ohne Wirtshaus. "Anne und Paul" ist ein kleiner Roman über Sommerferien bei den Verwandten in einem Dorf, nicht weit von Eisenach und über eine erste kleine Verliebtheit.

Zwei Kinder, der heranwachsende Paul mit seiner kleinen Schwester, fahren allein im Interzonenzug zur Tante, "Herzensfreundin" und Schwester der Mutter. Thünker macht aus dieser Reise ein kleines Kammerspiel. Er schildert die kindliche Aufregung, die Atmosphäre im Zug, die kalten Kriegssprüche der Mitreisenden, "aber wer schickt denn seine Kinder mutterseelenallein zu den Kommunisten", die Grenzkontrolle, und die Ankunft in der anderen Welt. Die Kinder, im Zentrum des Romans steht Paul, bemerken alles, was anders ist als sie es kennen, sie sind aber weder etepetete noch naseweis. Sie interessieren sich für das, was es zu Hause am Rhein nicht gibt. Für die Geheimnisse des Bauernhauses, das die Tante über die politischen Umbrüche gerettet hat, für die Menschen, die anders leben als die zu Hause.

Paul ist neugierig und zupackend, er ist kein Gast, er gehört ein bisschen dazu, macht sich bei den anfallenden Arbeiten nützlich. Er merkt viel, ohne es einordnen zu können, und der Autor kommentiert es auch nicht. Die DDR ist in diesem Roman keine stinkende Brache, viel eher eine zerstörte Idylle, die sich nur dadurch von anderen zerstörten Idyllen unterscheidet, dass plötzlich Panzer über die Dorfstrasse rollen. Jemand ruft "der Iwan kommt", und der Großvater schießt mit der Schrotflinte vom Küchenfenster aus auf die Panzerkette.

Arnold Thünker lässt seinen Erzähler aus unterschiedlichen Perspektiven über das Dorf mit dem Kriegerdenkmal, dem roten Traktor, der Brigade und den Bewohnern, dem Frisör, Martha, die im Konsum verkauft, dem Pfarrer berichten. Thünker erzählt unideologisch vom normalen DDR-Alltag, von den Abgasfahnen, einem Ausflug im Trabant des Nachbarn zur Wartburg und von der ersten Liebesgeschichte zwischen Paul und der verwachsenen, an den Rollstuhl gefesselten Anne.

Die Politik bricht nicht ohne gewisse Komik in das Dorfleben ein. Man weiß, dass es mit einem doppelten Schnaps für den Volkspolizisten, den man schließlich schon als Baby gekannt hat, leichter ist, das mit den Papieren der Westgäste nicht mehr so genau zu nehmen. Dass mit dem real existierenden Sozialismus nicht zu spaßen ist, erfahren die Kinder, als die Tante plötzlich abgeholt wird, und auch in den folgenden Tagen und dann drei Jahre nicht wiederkommt. Sie hatte einen russischen Deserteur versteckt gehalten.

Arnold Thünker erzählt die Geschichte vom Sommer in der DDR, unaufgeregt, unaufdringlich, mit Sinn für erzählerische Ordnung und Situationskomik und in der Absicht, ein Bild eines ziemlich normalen Alltags einer nach genauen Regeln funktionierenden Gemeinschaft darzustellen. Repression, Ideologie, Schikane kommen zur Sprache, werden aber nicht kommentiert, sondern als Tatsache beschrieben. Die unmögliche Liebesgeschichte Pauls mit der verkrüppelten Anne gehört zu den leise und ohne Sensation geschilderten Erlebnissen eines unvergesslichen Sommers.

Arnold Thünker schreibt einfach, anschaulich und undramatisch. Er verquickt die genau erzählten Szenen mit spürbarer Freude am Bildhaften. Dass eine Horde Schweine, von der niemand weiß, wo sie herkommt, mit den aufgemalten Buchstaben: "SED" über die Dorfstrasse läuft und bei der Tante Asyl findet, das ist die Art Humor, den Arnold Thünker liebt und der das Buch davor bewahrt, tragisch oder nostalgisch zu sein.

Rezensiert von Verena Auffermann

Arnold Thünker: Anne und Paul
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009
158 Seiten, 16,95 Euro