Ein solider Theaterabend

Von Christoph Leibold |
Christian Stückl hat etwas, was selten ist im Deutschen Theater: den Mut, Stücke ganz aus dem Bauch heraus zu inszenieren. Kopflastiges Konzepttheater ist ihm fremd. Manchmal liegt er mit seinem fast schon naiven Blick auf Stücke fruchtbar daneben. Oft aber gewinnen seine Inszenierungen gerade durch den unmittelbaren, unverbrauchten Zugriff bestechende Kraft. Im Falle von Friedrich Schillers Don Karlos ist weder das eine noch das andere eingetreten: Keine Katastrophe, aber auch kein Coup.
"Don Karlos" am Münchner Volkstheater - das ist ein unterm Strich solider Theaterabend - anfangs durchaus kurzweilig, gegen Ende eher langatmig – dessen größtes Manko es ist, dass Stückl eine eigene Haltung zum Text vermissen lässt. Er illustriert vor allem, ironisiert gelegentlich, aber spitzt nie zu.

Am ehesten ist ihm noch die Familientragödie gelungen, die von der unglücklichen Liebe des spanischen Infanten Don Karlos zu einer Frau handelt, die ihm der eigene Vater vor der Nase weggeheiratet hat. Der ist Herrscher eines Weltreichs und hat gerade Ärger mit der Unruheprovinz Flandern. Jenes Flandern, für das Don Karlos’ Freund, der Marquis von Posa, in seinem berühmten Appell an den König ‚Gedankenfreiheit’ einfordert.

Den Posa spielt Friedrich Mücke, neu am Volkstheater, frisch von der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin wegengagiert. Ein ordentliches Debüt, gewinnt Mücke seiner Rolle doch durchaus spannende, weil zwielichtige Züge ab: bei ihm ist Posa, der glühende Verfechter der Menschenrechte, auch ein Moralist mit ausgeprägtem Hang zur Selbstgerechtigkeit.

Während Posas Aufbegehren politisch motiviert ist, bleibt Don Karlos Rebellion lange Zeit privater Natur. Nico Holonics - wie Friedrich Mücke ohne Umwege von der Ausbildung ins erste Engagement nach München gekommen und gleich mit einer Riesen-Rolle betraut - gibt seinem Karlos einen angenehm unpathetischen Alltagston, passend zu seiner Erscheinung: der Infant tritt rauchend und auf Turnschuhsohlen, das Haar in lässigen Strähnen ins Gesicht hängend, gegen den Vater an. Die Hofgesellschaft um ihn herum dagegen ist eher fein gewandet – die Damen tragen hochgeschlossene Kleider, die Herren Anzüge. Und alle haben sie - verderbt und intrigant wie sie sind - Westen und Korsagen aus Lack und Leder darunter. König Phillip sogar in verruchtem Rot. Das fehlende Charisma von Darsteller Christian Schneller kann das aber nicht ersetzen. Schnellers Phillip ist jovial, ein wenig cholerisch, aber kein Despot. Eher der Typ Kreissparkassenvorstand.

Das wächst sich, je weiter der Abend voranschreitet, zum Problem aus: Don Karlos juveniler Rebellion, und erst recht Posas politischem Aufbegehren fehlt der starke Gegner, um die Handlung zu beglaubigen. Der mangelnden inneren Spannung versucht Christian Stückl durch äußeren Aktionismus zu begegnen. Und so wird im zweiten Teil geschrieen, geohrfeigt und mit Pistolen gefuchtelt und geballert – immer ideenloser. Nur: so war das mit der ‚Gedankenfreiheit’ eigentlich nicht gedacht.

"Don Karlos" von Friedrich Schiller am Münchner Volkstheater
Regie: Christian Stückl