Ein seltsamer Dialekt rührt ganz Frankreich

Von Rebecca Partouche · 27.10.2008
Mit über 20 Millionen Zuschauern ist der Film "Bienvenue chez les Schtis" der erfolgreichste Film der französischen Kinogeschichte. Dabei wollte Regisseur und Darsteller Dany Boon eigentlich nur eine kleine Hommage an seine nordfranzösische Heimat drehen. Doch die Geschichte um einen Postdirektor, der in den kalten Norden versetzt wird und dort Freundliches und Freundschaft erfährt, rührt alle Franzosen. Jetzt kommt er auch in die deutschen Kinos.
Es sollte alles nichts Großes werden. Mit seinem Film "Bienvenue chez les Chtis" wollte Dany Boon nur seiner nordfranzösischen Heimat eine kleine Hommage erweisen. Die Freunde, Nachbarn und Verwandten aus dem Norden, die er den Parisern bisher nur einzeln in seinen Sketchen vorgestellt hatte, wollte der Komiker nun zum größeren Bild zusammenfassen. Aus den Portraits sollte ein Familienfoto werden - ohne Hektik und Vordrängeln. Still, bescheiden, ohne großen Aufwand. So unspektakulär wie die Landschaft Nordfrankreichs, ohne die Dramatik der Berge und die Schönheit der Küste.

Dany Boon: "Man rechnet nie damit, großen Erfolg im Kino zu haben. Den in Frankreich am meisten gesehen Film zu machen, ich finde die Worte nicht, es ist wirklich sonderbar. Ja, ich mache immer den freudschen Fehler, ich sag oft, wir liegen bei 2 Millionen Zuschauern, aber es heißt natürlich: 20 Millionen. Ich wollte nur eine einfache lustige und rührende Geschichte eines Menschen aus dem Süden erzählen, der den Norden entdeckt und wunderbaren Menschen begegnet. Ich hätte nicht gedacht, dass der Film die Jugend anspricht, die ja Actionfilme mag. Die Freundschaft von einem Postdirektor, der sich anfreundet mit einem besoffenen Briefträger ..."

Ein Postdirektor, der eigentlich an Cote d'Azur will, wird zwangsversetzt in den tiefsten Norden, in ein gottverlassenes Nest in der Nähe von Lille. In einem grandiosen Monolog berichtet ein Freund dem verbannten Postdirektor vom französischen Sibirien.

"Die Kälte ... Es ist schließlich der Norden."

Das Leben des kleinen, eiszeitlichen Dorfes mit dem unaussprechlichen Namen "Bergues", mit seinen merkwürdigen Bräuchen und Bewohnern - den "Schtis" - wird zum nationalen Großereignis. Alle wollen sich diesen kleinen Film angucken, der immer nur bei den Menschen ist, ohne Helden und ohne Action. Aber - diese Menschen sind hochinteressant. Und die kannte vorher keiner.

Dany Boon: "Diese Region hat eine sehr starke Identität, und trotz dieser starken Identität, ist sie der Welt und den Anderen sehr zugewandt. Es ist eine enorm gastfreundliche Kultur, wo man teilt. Es war für mich wichtig, davon zu erzählen."

Denn für die Franzosen ist Lille exotischer als Lappland. Lille liegt vor der Tür. Aber vor die Tür geht keiner. Wieso auch!? Dort ist es kalt, schmutzig und die Sonne geht nie auf -- noch schlimmer als Lappland. Die Menschen trinken, grillen ihre Haustiere und -- sie können noch nicht mal ihr Elend artikulieren! Die Sprache der "Schti" - mit ihren vielen "Sch" - klingt für die anderen Franzosen wie ein prähistorischer Dialekt.

Filmszene: "Da oben ist alles 'Sch'."

Zusammen mit dem Postdirektor entdeckt man dieses Dorf und die Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit der Gegend. Und die Werte des Nordens. Man trifft auf Menschen, die sich nicht wichtig nehmen, hilfsbereit, großzügig, die enorm zusammenhalten und eigentlich immer für den anderen da sind.

Dany Boon: "Der Film ist aufrichtig, er bringt eine große Humanität hervor. Er handelt von echten, von zärtlichen Dingen, von Großzügigkeit, Menschlichkeit, von Toleranz. Aber vor allem rührt er die Leute. Und es macht den Menschen Spaß, diesen Film zusammen in der Gruppe anzusehen."

Die Franzosen gehen nicht nur als Familie rein, sie kommen aus dem Kino als noch größere Familie wieder heraus. Die Verbrüderung wird spontan vor der Leinwand vollzogen. Ganz Frankreich fällt sich in die Arme. Denn dieses kleine unbeugsame Dorf löst überall Gallien-Gefühle aus. In diesem Völkchen mit dem ganz eigenen Kopf erkennen sich die Franzosen als Nation wieder. Viel mehr als im herzlosen Asterix-Remake. "Willkommen bei den Schtis" ist der wahre Asterix-Film. Und Dany Boon selbst der neue Nationalheld - was ihn wundert.

"Ich bin zum repräsentativsten Mann Frankreichs gewählt worden. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Vor allem, weil ich eine so bunte Mischung bin. Mein Vater ist Kabyl (Algerier), meine Mutter Nordfranzösin. Und ich bin zur Religion meiner Frau, dem Judentum, übergetreten. Es ist wunderbar, ich bin also ein echter Franzose."

Vom Sohn eines algerischen Lastwagenfahrers zum Nationalhelden: für jeden anderen wäre es ein weiter Weg. Aber nicht für Dany Boon. Der sieht sich nach wie vor einfach nur als "Schti" und verhält sich auch so. Als er von Präsident Nicolas Sarkozy zur Vorführung des Filmes in den Élysée-Palast eingeladen wird, bringt Dany Boon selbstverständlich seine ganze Familie mit: seine Brüder, Kinder und seine alte Mutter. Für ihn ist es kein Staatsakt, sondern ein schöner Familienausflug.

Aber wichtiger als alles andere: dass der Präsident sich so rührend um seine alte Mutter kümmert. Für den Nordenfranzosen steht das Menschliche über der Karriere. Und das ist auch der Grund, weshalb seine Freunde aus dem Norden ihn zum Erfolg bemitleiden:

"Die Leute aus meiner Umgebung fragen mich oft, ob es mir gut geht, als wäre es für mich ein persönlicher Misserfolg. Sie fragen mich, ob es nicht zuviel ist, ob ich zurechtkomme: 'Was wird aus dir, nach dem, was dir passiert ist?' Es klingt, als hätte ich den allerschlimmsten Flop der französischen Kinogeschichte gemacht. Aber es ist auch nichts besonderes. Wie Goethe sagt: Der wahre Ruhm ist zu überdauern, das sage ich ihnen auf Deutsch ... (lacht), Nein, ich kann's besser in Chti…" (und er spricht Goethe in unverständlichem Chti)