Ein selbstreferentieller Theaterabend

Von Hartmut Krug · 08.12.2011
Andreas Kriegenburg zeigt die Entwicklung des "Käthchens" mit autobiografischen Anspielungen und Zitaten als Fantasie des Autors. Das Ergebnis ist leeres Beeindruckungstheater eines Regisseurs, der vor den Zumutungen von Kleists Stück zurückschreckt und ihm dabei Sinn und Sinnlichkeit nimmt.
Kleists "Das Käthchen von Heilbronn" hat es seit jeher auf deutschen Bühnen schwer. Während Jan Bosse sich kürzlich am Maxim Gorki Theater mit seinem Käthchen in die Komödien-Rappelkiste gerettet hat und seinen Graf Wetter von Strahl als Macho einen Bewusstwerdungsprozess durchmachen ließ, interessiert sich Andreas Kriegenburg bei seiner Inszenierung am Deutschen Theater weder für Strahl noch für das Käthchen. Seine Inszenierung ist eine einzige große Ausweichbewegung vor dem Stück, zugleich kleinmütig wie auftrumpfend. Der Regisseur zeigt die Entwicklung des Stückes mit autobiografischen Anspielungen und Zitaten als Fantasie des Autors.

Als sein eigener Bühnenbildner hat er die Bühne zu einer Schreibstube eingerichtet. Die Wände sind bis an die Decke mit Manuskriptseiten bedeckt. Hier leiden sechs Kleistdoppelgänger mit fahlweißen Gesichtern, bekleidet mit Kniehose und Frack, an ihren Pulten an Schreibschwierigkeiten. Einer beatmet sich aus dem Unterhemd eines Mädchens erotisch, und die Traum- und Wunscharbeit des Autors an seinem Werk kann beginnen. Dabei gibt es keine festen Rollen. Zwei Frauen und vier Männer reichen die Texte untereinander weiter, sprechen sie auch mal chorisch und jeder wird irgendwann als Kleist angeredet. Da Kleist sich von seinem "Käthchen" vor allem auch ökonomischen Erfolg versprach, wird unentwegt das Briefzitat "Ulrike, bitte schicke Geld" eingestreut.

Doch der Begründungszusammenhang zwischen biografischen Details und Stückszenen wirkt beliebig, auch wenn Kriegenburgs dramaturgisch-szenische Bastelei gelegentlich durchaus atmosphärischen Reiz besitzt. Das Ganze ist leeres Beeindruckungstheater eines Regisseurs, der vor den Zumutungen von Kleists Stück zurückschreckt und ihm dabei Sinn und Sinnlichkeit nimmt. Wer den Text nicht genauer kennt, hat es schwer.

Natürlich weiß der Regisseur von Kleists Text über das Marionettentheater. Also gibt es bei ihm Puppen in jeder Ausfertigung. Wenn von Käthchens Fenstersturz erzählt wird, lässt jemand eine Kinderpuppe fallen, die Szene in der Grotte wird mit grotesken Pappmaché-Puppen gespielt, und die Holunderbuschszene gibt es zugleich dreimal: Zwei Schauspieler hängen hoch oben vor der Wand, ein anderer betatscht eine weitere rechts unten mit seiner Eisenhand, und links unten wird die Szene in einem Koffertheater gespielt. Die Verdoppelung von Situationen ergibt jedoch weder inhaltlichen noch ästhetischen Mehrwert. Zum Schluss wird der Kaiser in langen Schläuchen mit Text gefüllt. Eine Metapher, über Theater und seine Entstehung, und ein weiteres Zitat eines selbstreferentiellen Theaterabends. Die Kaiserpuppe fällt tot um, und die fünf anderen beschreiben seinen Körper mit Kleist-Zitaten, aber über diesen Kommentar-Einfall ist Kleists Stück längst vergessen, und das Licht geht einfach aus.