Ein schöner, ein melancholischer Mann

20.09.2012
Keiner beherrschte die hohe Kunst des Stürzens wie der Komiker Buster Keaton. Man erfährt in diesem Buch, wie er gearbeitet hat, warum er der "unbestrittene Modernist der Stummfilmkomödie" war, aber auch dass seine Alkoholsucht ihn am Ende um seinen Erfolg brachte.
"Wer im Jahr 2012 ein Buch über Buster Keaton in deutscher Sprache schreibt, hat einen großen Vorteil: mangelnde Marktkonkurrenz", schreibt der Autor in seinem Vorwort. Die Filme des großen Stummfilmkomikers sind zwar alle in DVD-Ausgaben erhältlich, den Namen des (1895 geborenen, 1966 gestorbenen) Regisseurs und Schauspielers kennt auch jeder, aber seine Popularität reicht längst nicht an die des Kollegen Charlie Chaplin heran. Seine Filme werden selten gezeigt.

Buster Keaton war immer schon anders als die anderen. Chaplin wurde geliebt, Keaton bewundert. Laurel und Hardy, die Marx Brothers sorgen bis heute für herzliches Lachen und Heiterkeit, Buster Keatons Humor, seine Komik ist im Kern melancholischer und intellektueller. Ein Kapitel in Keatons (1960) erschienener Autobiografie ist überschrieben "Ein Reinfall kann etwas herrliches sein".

Das Buch des österreichischen Filmhistorikers ist keine Biografie. Lebensdaten und private Beziehungen kommen am Rande vor. Der Autor untersucht die Stummfilme des legendären "Stone Face", seine Fähigkeit Bewegung im Kino auf unvergleichliche Weise in Szene zu setzen, sein "Körperkino", in dem nicht nur die abenteuerlichsten Stunts und kinematographischen Tricks eine zentrale Rolle spielen, sondern vor allem sein Gesicht, sein Blick, seine Augen: "Busters Blick, mit dem wir ständig konfrontiert werden, ist beredt, aber nie geschwätzig." Sein Spiel ist konzentriert und – für einen Komiker ungewöhnlich – wahrt Distanz zu seinen Partnern und zum Publikum.

Die Schauspielerin Louise Brooks hat einmal gesagt, Keaton habe das "ansprechendste Männergesicht", das sie je gesehen habe. Dass ein Komiker ein schöner Mann ist, auch das war (und ist) nicht gerade das Markenzeichen des Genres.

Klaus Nüchtern zeichnet den Weg von den Vaudeville-Auftritten, die er bereits als Kind mit seinem Vater erfolgreich absolviert bis zum erfolgreichen Kino-Genie. Keaton bestimmte in seiner Hochzeit (die ein Jahrzehnt, die 1920er Jahre umfasst) nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Drehbuchautor und Regisseur die Produktion seine Filme. Als er – gegen den Rat etwa von Charlie Chaplin – danach zu MGM wechselt, beginnt sein Misserfolg und sein Untergang. Seine Alkoholsucht spielte dabei keine geringe Rolle.

Man erfährt in diesem Buch, wie Keaton gearbeitet hat, , warum er der "unbestrittene Modernist der Stummfilmkomödie" war, was ihn von Chaplin oder Harald Lloyd unterscheidet und was Luis Bunuel meint, wenn er Keaton als "Fachmann für die Behandlung einer Krankheit namens Gefühl" bezeichnet. Der kenntnisreiche Autor analysiert und beschreibt voller Leidenschaft die Stummfilme, die stets auf "solidarisches Gelächter" zielten. Auch das war eine Ausnahmeerscheinung des Genres.

Dass und wie der Mann mit dem Pork Pie (jenem runden flachen Hut, der zu ihm gehörte wie zu Chaplin das Stöckchen) heute den filmakademischen Diskurs bestimmt, ist bei dieser liebevollen Arbeit eine Randnotiz, die fast den Stoff für einen Keaton-Film abgäbe.

Besprochen von Manuela Reichart

Klaus Nüchtern: Buster Keaton oder die Liebe zur Geometrie - Komik in Zeiten der Sachlichkeit
Zsolnay Verlag, Wien, 2012
320 Seiten, 19,90 Euro