"Ein Schlag in die Magengrube"

Moderatorin: Katrin Heise |
Zum ersten Mal hat es mit "Standing Operation Procedure" ein Dokumentarfilm in den Wettbewerb der Berlinale geschafft. Errol Morris thematisiert hier den Folterskandal im Gefängnis Abu Ghraib durch US-amerikanische Soldaten. Das dargestellte Grauen grabe sich sehr tief, meint Andres Veiel, sei aber stellenweise zu inszeniert.
Katrin Heise: Diese Fotos schockierten 2004 die Welt. Ein nackter Häftling an der Leine geführt wie ein Hund oder ein Mann, dem eine Kapuze über den Kopf gezogen wurde, er steht auf einer Box, seine Hände sind verkabelt, und wenn er umfällt, dann bekommt er einen Stromstoß, das soll er jedenfalls denken. Kaum zu fassen, was da im Frühjahr 2004 aufgedeckt wurde über die Zustände in dem berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib in Bagdad. US-Soldaten misshandelten Gefangene und fotografierten sich dabei. Der neben Michael Moore wohl populärste US-amerikanische Dokumentarfilmer Errol Morris hat gestern seinen Film "Standing Operation Procedure" ins Berlinale-Rennen geschickt. Er beschäftigte sich dabei mit dem Folterskandal über Abu Ghraib. Wir haben Andres Veiel gebeten, sich den Film anzusehen. Veiel, selber Dokumentarfilmer, bekannt durch seine Filme "Black Box BRD", "Die Spielwütigen" und das Dokumentarstück "Der Kick". Ich grüße Sie, Herr Veiel! Wie ist denn Ihr Eindruck von "Standing Operation Procedure"?

Andres Veiel: Es ist ein Film, der wie eine Faust erst mal einen auch trifft, die Wucht nicht nur dieser Bilder, sondern dass Errol Morris, der Regisseur, es geschafft hat, diejenigen, die auf diesen Bildern drauf sind und die sie fotografiert haben, zum Sprechen zu bringen. Das heißt mit einer ziemlichen Genauigkeit und mit insistierenden Fragen, die meistens nicht zu hören sind, schafft er es, dass diese Menschen Auskunft geben, und das ist zum Teil unerträglich.

Heise: Das heißt, wir sehen die Täter, aber auch die Opfer?

Veiel: Die Opfer nicht, die Opfer praktisch nur eben, indem die Bilder zeigen, was mit ihnen gemacht wird, sie bleiben in dem Sinne stumm. Aber das Grauen gräbt sich eben sehr tief ein, weil auch dann, wenn sie nicht sprechen, eben deutlich wird, was mit ihnen gemacht wird. Und das ist nicht nur Misshandlung, das ist auch zum Teil Folter, und es wird auch ein Toter gezeigt. Das muss man allerdings dann trennen, soweit so was überhaupt trennbar ist. Das ist jemand, der von den CIA-Verhörern umgebracht wurde und nicht von denjenigen, die vor der Kamera sprechen.

Heise: Wenn wir mal eben bei den Opfern gerade bleiben. Gestern im Interview im "Tagesspiegel" sagte Morris, er mag es nicht, wenn Opfer depersonalisiert werden. Man soll sich eben daran erinnern, dass unter diesem Sack, unter dieser Kapuze ein Mensch steckt. Andererseits muss eben die Würde des Opfers gewahrt werden. Ist ihm das gelungen?

Veiel: Das ist das Zwiespältige an dem Film. Ich hab ja anfänglich gesagt, es ist ein Schlag in die Magengrube, und dieser Schlag bleibt erst mal. Aber es kommen auch Fragen. Es kommen Fragen, weil eben Morris sich nicht nur damit begnügt, jetzt diese Fotos zu zeigen, die bekannten Fotos, die durch die Presse gehen. Er versucht, noch einen Schritt weiterzugehen und durch Nachinszenierungen dem Fantasievermögen des Zuschauers auf die Sprünge zu helfen. Und ich finde, damit leistet der Film genau das nicht, was er eigentlich machen könnte, nämlich den Zuschauer selbst diese Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Ich hab mich oft beinahe entmündigt gefühlt, weil eben, wenn zum Beispiel geschildert wird, wie die Hunde auf die Gefangenen gehetzt werden, wenn dann eben die fletschenden Zähne in Nahaufnahme mit einem Sounddesign, wo alle Regler reingedrückt werden, zusätzlich mir dann ins Hirn gedrückt und in den Bauch gedrückt werden, dann denke ich in dem Moment nicht mehr nach. Ich bin einfach nur überwältigt. Und ich glaube, die Chance oder das Besondere an dem Film, was er versucht zumindest, ist ja, dass ich mir die entscheidenden Fragen stelle, nämlich die Fragen, wie kommen Menschen, wie werden Soldaten, die ja in dem Sinne, ich muss immer an Eichmann denken, ganz normale Menschen sind, banale Charaktere scheinbar, wie kommen die dazu, bei so was mitzumachen. Das ist ja die interessante Frage. Und je stärker nur das Grauen reinszeniert wird, desto weniger komme ich dazu, mir diese Frage wirklich zu stellen oder sie weiterzudenken.

Heise: Was will der Film eigentlich: Will er anklagen oder will er erklären?

Veiel: Zunächst mal ist es natürlich ein gigantisches Ausrufezeichen, indem diese Menschen erst mal beschreiben, was sie getan haben. Und das Unerträgliche dabei ist, dass sie natürlich all diese Verharmlosungsstrategien, die wir kennen, – die wir von Eichmann kennen, die wir von Christopher Brown, der über ganz normale Männer, ein Polizeibataillon 1942, die in Polen damals Massenmorde begangen haben, es gibt ja verschiedene historische Belege –, das versucht er auch, indem er einfach die Täter zum Reden bringt. Und da wird eben dann gesagt, ja, so schlimm war es doch nicht, was haben wir denn eigentlich getan. Wir haben die ein bisschen gequält, aber das waren ja Anweisungen, das waren Befehle, die gekommen sind. Sie sollten fürs Verhör weichgeklopft werden, und das haben wir getan, erst mit dem Schlafentzug, und dann haben wir es eben langsam gesteigert. Aber die eigentlich Schlimmen, das waren ja die CIA-Agenten, die haben die dann zum Teil umgebracht durch ihre Schläge und durch ihre Folter. Das haben wir ja nicht gemacht. Wir haben ja nur eben ausgeführt, was andere für uns da an Befehlen eben an uns weitergeleitet haben. All diese Versuche, es kleinzureden, es abzuspalten, eigene Verantwortung zu leugnen, das ist ja auch das Bekannte. Und trotzdem ist es immer wieder erschreckend, wenn man sich es dann in dieser geballten Form über fast zwei Stunden dann anhört.

Heise: Der Regisseur Andres Veiel, bekannt durch Dokumentarfilme und Stücke wie "Black Box BRD" und "Kick" hat sich fürs "Radiofeuilleton" den Abu-Ghraib-Dokumentarfilm "Standing Operation Procedure" angesehen. Herr Veiel, Sie haben eben schon gesagt, die Inszenierungen haben Sie gestört. Wie viel darf in einem Dokumentarfilm eigentlich inszeniert werden?

Veiel: Ich glaube, es geht nicht um jetzt die Grundsatzfrage, darf überhaupt inszeniert werden. Natürlich darf in einem Film inszeniert werden. Es ist die Frage, wo kommt durch die Inszenierung etwas hinzu, was sonst nicht darstellbar wäre. Und hier, in diesem konkreten Fall, haben wir die Dokumente und wir haben die Aussagen der Täter. Warum muss dann das Grauen, was ohnehin schon beschrieben wird, noch illustriert werden? Das ist für mich das Fragwürdige.

Heise: Und warum muss das vielleicht, für den amerikanischen Markt oder für die entsprechend sehgewohnten Zuschauer?

Veiel: Ja, das ist für mich die große Frage, weil ich kann nur aus meiner Sicht argumentieren, bei mir erreicht er das Gegenteil. Ich gehe wie ein Rückwärtszoom, entferne ich mich vom Geschehen und bin letztendlich enttäuscht, weil ich etwas anderes erwarte. Die spannende Frage ist ja, was sind das für Biografien. Wie werden Menschen so? Da brauche ich auch ein bisschen was von ihrer Vorgeschichte, von ihrer Zeit im Militär, die Frage der langsamen Verschiebung eines Weltbildes, das, was ich tue. Am Anfang sind ja noch Zweifel da. Wie werden diese Zweifel nach und nach ruhiggestellt, narkotisiert? Und es tritt sogar eine Identifikation ein, eine Identifikation mit dem Aggressor. Der Aggressor ist eben, in dem Fall sind es die Vorgesetzten, zum einen. Und zum anderen, es gibt eine Bedrohung, wir sind im Krieg, und im Krieg ist eben alles erlaubt. Diese Mechanismen, die hätte ich gerne noch verstärkt eben herausgearbeitet bekommen, und natürlich sind es Marktgesetze. Ich glaube, dass diese Art von Effekt etwas ist, was der Regisseur glaubt, dass man das von ihm wohl im Kino erwartet, dass das möglicherweise dann die Boxofficezahlen hochtreibt, als wenn man den Zuschauer mit dem Grauen, was eben vielleicht auch nur erzählt wird, alleine lässt und ihn möglicherweise auch verschonen will vor den Bildern, die sonst in seinem Kopf entstehen, weil diese Bilder sind dann, wie wir wissen, ja sehr viel nachhaltiger, wenn ich die selbst produziere, als wenn sie mir in dieser Weise illustrativ vorgesetzt werden.

Heise: Morris sagte im Interview, Dokumentarfilme bilden die Wirklichkeit nicht ab, sie haben aber eine enge, komplizierte Beziehung zu ihr. Wie sehen Sie das?

Veiel: Das ist natürlich richtig, aber das ist so ein Allgemeinsatz, den man immer unterschreiben kann. Natürlich ist immer, in dem Moment, wo ich eine Kamera aufstelle, wähle ich aus, welchen Ausschnitt ich wähle, ich montiere das Material neu, das heißt, ich fiktionalisiere immer das Material, mit dem ich letztendlich einen Film mache. Die entscheidende Frage ist ja, wie weit geht das eigene Erkenntnisinteresse, und was möchte ich Neues erzählen. Und ich glaube, dass der Film ein ganz, ganz großes Potenzial hat, da in neue Bereiche vorzudringen. Er ist trotzdem ein Film, der wichtig ist und den man sich angucken sollte. Aber er bleibt aus meiner Sicht, macht er einen halben Schritt und versinkt dann in dem eigenen Grauen, was er eigentlich analysieren will. Er ist fasziniert letztendlich von diesem Grauen, und das finde ich im Ergebnis dann wiederum zu wenig.

Heise: Es ist der erste Dokumentarfilm, der auf der Berlinale im Wettbewerb gezeigt wird. Sind Sie selber als Dokumentarfilmer, haben Sie da schon lange drauf gewartet? Sind Sie froh, dass es endlich der Fall ist?

Veiel: Ja, das ist ein ganz wichtiger Schritt, weil es geht eigentlich darum zu zeigen, wichtige Filme, ob die jetzt dokumentarisch oder fiktional, die Grenzen sind ja ohnehin längst durchlässig, dass diese Filme auch gezeigt werden und man jetzt nicht nach den alten Etiketten letztendlich aus den 20er und 30er Jahren, von wegen hier Kulturfilm, Wochenschau, das ist keine Kunst, und die Inszenierung ist die Kunst, dass man diese obsoleten Kategorien, dass man die aufbricht und endlich diese abschafft und die Filme, die wichtig sind und die gut sind und die mutig sind, egal, was sie sind, Dokument oder Fiktion, dass man sie zeigt.

Heise: Hat er eine Chance im Wettbewerb?

Veiel: Ich bin nicht in der Jury, ich kenn die Jury auch da zu wenig, würde ich mir jetzt nicht anmaßen. Mich würde es freuen, trotz meiner Bedenken, wenn dieser Film ausgezeichnet wird, unbedingt, weil das wäre eine Ermutigung auch für andere Festivals, ähnlich zu verfahren. Cannes hat es ja bei Michael Moore schon gemacht, dass es die Regel ist, dass die Dokumentarfilme selbstverständlich neben den Spielfilmen im Wettbewerb laufen.

Heise: Regisseur Andres Veiel über den Dokumentarfilm "Standing Operation Procedure" von Errol Morris, der gestern auf der Berlinale lief. Herr Veiel, vielen Dank für dieses Gespräch!

Veiel: Ja, bitte!