"Ein schizophrenes Land"

Moderation: Holger Hettinger |
Nach ihrer Reise durch den Iran verarbeitete die italienische Fernsehjournalistin Lilli Gruber ihre Erfahrungen in dem Buch "Tschador - Im geteilten Herzen des Irans" geschrieben, das nun auf Deutsch erscheint. Im Interview mit Deutschlandradio Kultur spricht sie über die Widersprüche eines modernen wie konservativen Landes, das in einer ökonomischen Krise steckt.
Hettinger: "Der Iran ist ein Land mit zwei Gesichtern", sagt die italienische Fernsehjournalistin Lilli Gruber. Auf der einen Seite das, was wir aus den Medien einschlägig kennen: der knallharte Gottesstaat, dessen Präsident Ahmadinedschad mit aller Macht die Atombombe will und den Holocaust als Mythos bezeichnet. Aber auf der anderen Seite hat Lilli Gruber bei ihrem Besuch im Iran eine Gesellschaft erlebt, in der viele den Aufbruch in die Moderne wagen. Ihre Erfahrungen hat Lilli Gruber aufgeschrieben in dem Buch "Tschador. Im geteilten Herzen des Iran". Nun ist Lilli Gruber am Telefon des Radiofeuilletons. Schönen guten Tag!

Gruber: Schönen Tag!

Hettinger: Frau Gruber, Sie schreiben, dass der Iran gute Chancen hat, sich von einer Theokratie wegzuentwickeln hin zu einem Staatsverständnis, das von den Ideen der Demokratie getragen ist. Das passt nun so gar nicht zusammen mit dem Bild vom Iran, das man hierzulande hat. Wer soll diese Entwicklung in Gang setzen?

Gruber: Ich glaube, man kann wohl davon ausgehen, dass es heute im Iran viele Kräfte gibt - und auch politische Kräfte -, die eine Entwicklung in Richtung Demokratie schon seit Jahren vorantreiben. Das sind dann die so genannten Reformer, die bei den letzten Präsidentschaftswahlen zwar besiegt worden sind von diesem ultrakonservativen Nationalisten Ahmadinedschad, aber das heißt ja noch lange nicht, dass die Reformer im Lande und in der Zivilgesellschaft nicht mehr existieren und nicht mehr handlungsfähig sind. Man darf ja nicht vergessen, dass über 40 Prozent der Iraner gar nicht zur Wahl gegangen sind. Ich glaube, die Situation ist natürlich etwas komplizierter geworden mit Ahmadinedschads Wahl, aber man darf auch nie vergessen, dass der Iran ein völlig schizophrenes Land ist, auch in der Organisierung und der Struktur der politischen Institutionen.

Hettinger: Sie haben eben, Lilli Gruber, den Iran als "schizophrenes Land" bezeichnet. Was ist denn daran so schizophren?

Gruber: Na ja, denken Sie zum Beispiel an die Frauen. Die Frauen im Iran müssen per Gesetz den Tschador, also den langen schwarzen Schleier, tragen, der für viele ein Symbol der Frauenfeindlichkeit ist und für andere Frauen im Lande genau das Gegenteil bedeutet. Die Frauen dürfen mit 15 Jahren wählen, dürfen natürlich Auto fahren, sind 65 Prozent der Studenten an den Universitäten. Das ist alles Positive auf der einen Seite, was man sich gar nicht erwarten würde im Gottesstaat, in der schiitischen Theokratie. Und auf der anderen Seite sind aber die Frauen schwer diskriminiert, auch rein noch gesetzlich, weil es gibt ja die Scharia im Iran, also das islamische Gesetz, das ja die Frauen zum Teil als minderwertig noch betrachtet. Zum Beispiel die Aussagen einer Frau in einem Gerichtssaal sind nur die Hälfte wert von denen eines Mannes. Also es gibt völlig archaische und natürlich total nichtakzeptable Gesetze in diesem Land, die absolut verändert werden müssen, weil es geht ja um Respekt der Menschenrechte und der Frauenrechte. Aber eben, es ist, das Land ist eben so. Es gibt auf der einen Seite, gibt es große Pressefreiheit, es gibt viele Zeitungen, viele Tageszeitungen, Wochenmagazine, viele Bloggers, die Iraner lieben Internet und lieben das Satellitenfernsehen - obwohl es offiziell verboten ist, aber es haben alle eine Satellitenantenne. Und auf der anderen Seite, wenn sie diese rote Linie überschreiten, die Journalisten im Iran, dann riskieren sie auch das Gefängnis.

Hettinger: Sie haben bei Ihrer Reise in den Iran, das war mitten im Wahlkampf des Jahres 2005, ja entsprechend Gelegenheiten gehabt, sich diese unterschiedlichen Positionen von innen anzusehen, zeichnen in Ihrem Buch ein durch die Bank positives Bild. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, dass diese Reformkräfte eine wichtige oder in Zukunft noch wichtigere Rolle spielen können?

Gruber: Weil ich glaube, wie mir Shirin Ebadi, die Menschenrechtlerin und Nobelpreisträgerin, die ich mehrmals getroffen habe, immer wieder bestätigt hat: Man kann eine so dynamische Gesellschaft und auch eine so junge Gesellschaft - 70 Prozent der Iraner sind unter 30 Jahren - nicht zwingen, sich vor der Außenwelt total zu verschließen. Das hat zwar eine Weile funktioniert nach der Islamischen Revolution von 1979, 1980 ist dann der Krieg ausgebrochen mit dem Irak, acht Jahre lang. Dann hat sich die iranische Gesellschaft auf die wirklichen Bedürfnisse besser konzentrieren können. Und das, was in den acht Jahren Reformpolitik passiert ist mit dem vorherigen Präsidenten Chatami, der effektiv mehr Demokratie und mehr Freiheiten gewährleisten hat können, das kann man jetzt nicht einfach so von dem Tisch wischen. Und die Mehrheit der Iraner und vor allem auch die Frauen, die der wirkliche Motor der Veränderungen sind, die werden ihre Freiheitsbedürfnisse weder vergessen noch aufgeben. Und im Übrigen muss ich aber auch sagen, dass in meinem Buch nicht nur die positiven Seiten dieses Landes beschrieben werden, sondern sehr viel auch von den extrem negativen Aspekten des Iran geschrieben wird - ansonsten wäre ich ja völlig außerhalb der Realität.

Hettinger: Aber Sie betonen, dass es diese positiven Ansätze gibt in der Gesellschaft. Sie sprechen viel mit Menschen von verschiedener Herkunft, verschiedener Profession. Hat die gemäßigte Strömung im Iran in irgendeiner Weise eine politische Repräsentation, eine politische Stimme?

Gruber: Ja, das ist jetzt natürlich das große Problem nach dem Sieg Ahmadinedschads. Das Problem war ja - das hat man schon sofort verstehen können, wenn man den Wahlkampf ein bisschen verfolgt hat und die Politik in den letzten Jahren im Land -, die Reformer und Chatami - das war ja das größte Symbol, der ist 1997 mit über 21 Millionen Stimmen gewählt worden und dann 2001 wieder gewählt worden -, der konnte eigentlich nicht die großen und hohen Erwartungen der Mehrheit der Iraner erfüllen. Und das hat natürlich viele Iraner von der Politik weggebracht, auch von der aktiven Politik. Und insofern hat das dann natürlich dazu geführt, dass es keinen starken Kandidaten der Reformer gegeben hat dann im letzten Wahlgang. Weil, es gab ja Ahmadinedschad auf der einen Seite und den Pragmatiker Rafsandschani auf der anderen. Aber Rafsandschani ist zu korrupt, ist zu reich, ist zu sehr mit der Islamischen Revolution von Khomeini liiert, als dass er hätte glaubwürdig sein können gegenüber der Mehrheit der Iraner. Also heute, würde ich sagen, sind natürlich diese Iraner, die mehr Öffnungen zum Westen und mehr Freiheit und mehr Demokratie wollen, ohne starke politische Repräsentanz. Und das ist natürlich ein Problem. Aber das heißt eben noch lange nicht, dass sie jetzt völlig vergessen haben, das, was sie jahrelang eigentlich wollten und die Ziele, die sie versucht haben zu erreichen. Sie werden weiterhin darum kämpfen und werden auch schauen, dass sie einen adäquaten Repräsentanten finden können.

Hettinger: Wenn wir über die iranische Gesellschaft reden, da finde ich es ganz aufschlussreich, in Ihr Buch zu schauen, denn da sieht man, es gibt eigentlich die iranische Gesellschaft gar nicht. Da sind ja ganz unterschiedliche Lebensstile und auch unterschiedliche wirtschaftliche Niveaus vertreten. Sie beschreiben Begegnungen mit Iranern, die luxuriöse Swimmingpools haben, die Ski fahren, die Snowboard fahren. Inwieweit ist solch eine Gruppe repräsentativ für das - in Anführungszeichen - normale Leben im Iran?

Gruber: Man muss immer bedenken, dass 1997 21 Millionen Iraner den Reformer Chatami gewählt haben und sich für ihn entschieden haben, auch ein zweites Mal im Jahre 2001. Und das sind natürlich nicht alles reiche Leute, das sind nicht Iraner, die der ökonomisch-finanziellen Elite angehören, sondern das sind auch ganz normale Iraner. Einfach Iraner, die wirklich mehr persönliche Freiheiten und mehr Rechte haben wollen. Und da spielen natürlich die Frauen und die Jugendlichen eine sehr, sehr große Rolle. Und man darf auch nicht vergessen, dass der Iran in einer schweren wirtschaftlichen Krise steckt, und obwohl wir wissen, es ist die zweitgrößte Erdölmacht auf der Welt und wäre es nicht wegen des hohen Ölpreises, Erdölpreises, wäre wahrscheinlich das ganze System schon völlig bankrott gegangen. Also die Iraner, die bei den letzten Wahlen den ultrakonservativen Ahmadinedschad gewählt haben, die haben ihn ja nicht gewählt wegen seiner antiisraelischen Aussagen, sondern die haben ihn gewählt, weil er mehr soziale Justiz versprochen hat und weil er auch versprochen hat, er würde gegen die Korruption im Regime ankämpfen. Das waren ja, das sind die Iraner, die seit 27 Jahren nun auf ein besseres Leben warten, weil Khomeini hat ja seine Islamische Revolution gestartet, indem er gesagt hat: Die Armen und die Unterdrückten, denen soll es besser gehen. Aber vielen von denen geht es eben nicht besser. Und die anderen, die, die gegen das Regime sind, die gehören verschiedenen sozialen Schichten an. Weil eben mittlerweile das Bedürfnis nach mehr Freiheiten nicht mehr unterdrückt werden kann.

Hettinger: Lilli Gruber war das über die Situation im Iran. Sie war im Wahlkampf 2005 in diesem Land und hat aus ihren Erfahrungen ein Buch generiert. "Tschador" heißt es, "Im geteilten Herzen des Irans". Das Buch erscheint in diesen Tagen auf Deutsch, im Karl Blessing Verlag.