Ein russischer Abend

Von Frieder Reininghaus |
"Iolanta", Peter Tschaikowskis letzte Oper, und Sergei Rachmaninows "Francesca da Rimini" sind zwei Liebesgeschichten. Der britische Regisseur Stephen Lawless hat nun beide Stücke im Theater an der Wien auf die Bühne gebracht: eine naive ritterromantische Handlung, ganz in Weiß.
Die Kombination der beiden Einakter erscheint plausibel. Beide Arbeiten basieren auf Libretti von Modest Tschaikowsky, dem Bruder des Komponisten - und bei beiden steht eine eingeschlossene Frau im Zentrum der Handlung. Iolanta, die blinde Tochter des von einer näher nicht benannten und bekannten Schuld belasteten alten Königs René, wird in einem idyllischen Garten von der Umwelt abgeschirmt und über ihre Behinderung nicht aufgeklärt.

Mit Ebn-Chaki bemüht der Vater den berühmtesten maurischen Arzt der Zeit. Der verlangt die Aufklärung der Patientin und die Mobilisierung ihres Willens zur Heilung, wenn er sie mit Aussicht auf Erfolg operieren soll. Die Prinzessin wird des Mangels an Sehkraft gewahr, indem Graf Vaudémont (Wodemon) sich in sie verliebt, mit ihr zu plaudern beginnt und beim König um ihre Hand anhält. Und da der Burgunder-Herzog, den sie ursprünglich heiraten sollte, sich ohnedies stark zur lebensprallen Gräfin Mathilde hingezogen fühlt, steht dem Glück der durch Liebe sehend Gewordenen nichts mehr im Weg.

Stephen Lawless inszeniert die kindlich naive ritterromantische Handlung zunächst ganz in Weiß, mit Pelzmänteln und Uniformen der zur Neige gehenden Zarenzeit im Inneren einer Halbkugel, die sich für einen Blick auf Iolantas Umwelt dreht und dann wie eine Druckkammer anmutet. Die ist eigentlich sehr angebracht für das, was Dmitry Belosselesky als altprovencalischer König in den Raum mit Stentorstimme in den Raum stemmt. Aber auch für den Tenoreinsatz des jugendlichen Liebhabers Saimir Pirgu. Olga Mykytenko, die zuletzt am Essener Aalto-Theater in "Hoffmanns Erzählungen" überzeugte, ist im ja nicht allzu großen Theater an der Wien in ihren alten Fehler zurückgefallen und forcierte dergestalt, dass die Intonation immer darunter litt. Sehr akkurat, anschmiegsam und phasenweise anfeuernd wurde der vom Komponisten stark parfümierte Instrumentalpart bestritten: Statt des durch Bandscheibenvorfall am Dirigieren gehinderten Kyrill Petrenko stand Vassily Sinaisky, der Chefdirigent des Moskauer Bolschoitheaters, dem ORF-Orchester vor.

Lawless inszenierte die Soap des späten 19. Jahrhunderts, in der es auf aseptische Weise keusch zugeht, ohne die unsäglichen philosophisch-religiösen Ausschweifungen zur Seele und zum Schöpfungsgeschenk des Lichtes kritisch ins Visier zu nehmen. Erst zu den letzten Pfundsnoten der Kapelle senkt sich ein fünfzackiger roter Leuchtstern vom Bühnenplafonds herab und brechen Rotarmisten herein. Die gestalten dann nach der Pause, während der die Treppen und Umgänge des Hintergrunds nach vorn rückten, auch die Hölle Dantes (sie rahmt Sergei Rachmaninows tödliche Eifersuchtstragödie): Überdeutlich sichtbar werden die Chiffren für die "verkehrten Verhältnisse" am Ende des Ersten Weltkriegs.

Anders als das provencalische Märchen der Tschaikowskys endet die Liebesprobe, der Francesca von ihrem eifersüchtigen Ehemann unterzogen wird, mit Tod und Verderben. Angenehm ist der musikalische Kontrast: Nach ranziger Sahnecreme bis zu den Knien nun ein konziser Tonsatz, der nicht sehr weit entfernt ist vom frühen Schreker und sich neben Puccinis ersten Partituren behaupten könnte. Während Iolanta durch keimfreie Liebe sehend wird, erblindet Francesca durch "sündige". Das ist die grandiose Botschaft dieses in Nostalgie triefenden russischen Abends an der Wien, der - vermutlich unbeabsichtigt - den Dilettantismus des autodidaktisch zur Musik gekommenen Komponisten Tschaikowsky vorführt.

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