Ein Roman als Stadtplan
Vom Bebelplatz bis an den Wannsee - eine Woche lang führt Chaim Be'er Israelis durch Berlin. Sein Roman weist ihnen den Weg. In "Lifnej ha-Makom" hat Be'er die Handlung der Protagonisten mit Orten deutsch-jüdischer Geschichte verknüpft.
Berlin im Sommer. Bei 35 Grad trottet eine kleine Reisegruppe durch die Stadt. Das Durchschnittsalter der Touristen liegt bei ungefähr 70 Jahren. Doch wirken sie keineswegs matt. Kopfhörer und Turnschuhe tragen sie, Basecaps oder Strohhüte und dunkle Sonnenbrillen.
Auf dem ehemaligen Jüdischen Friedhof, am Grab des Philosophen Moses Mendelssohn, machen sie eine Pause. Ein Mann in Jeans und schwarzem T-Shirt hält einen Vortrag. Und liest der Gruppe etwas aus einem Buch vor. In einer Sprache, die älter ist als Berlin und auch von denen gesprochen wurde, die einst hier begraben lagen.
Der israelische Schriftsteller Chaim Be'er liest aus seinem 2007 erschienenen Roman "Lifnej ha-Makom". Darin geht es um das Weiterleben des Geistes angesichts von Barbarei. Fünf Personen treffen sich am Berliner Wannsee: Juden mit unterschiedlichen Wurzeln und eine junge Deutsche. Ihre Geschichte verknüpft der Autor mit bestimmten Orten in Berlin. Der Roman wird so zum Stadtplan. Mit ihm führt der Autor nun knapp 30 Israelis durch Vergangenheit und Gegenwart der deutschen Hauptstadt.
Chaim Be’er: "Hier herumzulaufen, bedeutet für mich, durch ein Geschichtsbuch zu gehen, zwischen den Zeilen menschlicher Erfahrung."
Unter dem Titel "Bebelplatz" wird Be'ers Roman im Oktober auch in deutscher Übersetzung erscheinen. Auf dem Berliner Bebelplatz verbrannten im Mai 1933 die Nazis Bücher – Menetekel für alles, was noch kommen sollte.
Heute erinnert ein Denkmal dort an die schändliche Tat: Durch eine Glasplatte im Boden sieht man auf leere Regale unter der Erde. Bücherliebhaber und Schriftsteller Chaim Be'er sieht eine Verbindungslinie zwischen Berlin und Jerusalem:
"Es gibt zwei unterirdische Räume – und sie sind miteinander verbunden. Der eine ist dieses wunderbare Kunstwerk von Micha Ullmann hier am Bebelplatz: die leere Bibliothek. Der andere ist ein unterirdischer Raum, der bis an die Decke gefüllt ist: die hebräische Nationalbibliothek in Jerusalem. Voll mit Millionen hebräischer Bücher und Dokumenten aus der ganzen Welt."
Vom Bebelplatz an den Wannsee - eine Woche lang fahren die Israelis die Romanschauplätze ab - Orte deutsch-jüdischer Geschichte, die nach Israel weisen: zum Beispiel die ehemalige Wohnung des großen hebräischen Dichters Bialik. Aber auch das Gelände des ehemaligen Führerbunkers und die Villa am Wannsee, in der die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" beschlossen wurde, stehen auf dem Programm. Und da sind noch Berlins Museumsinsel, die Gedenkstätte zur Berliner Mauer und alte Luftschutzbunker.
Kaum überraschend: Fast alle, die mit dem israelischen Autor hierhergekommen sind, haben einen deutschen Familienhintergrund.
Avner Rotman: "Meine Eltern sind von Deutschland gekommen. Meine Mutter von Schwarzwald von kleines Städtchen, Laar, nicht weit von Freiburg, mein Vater kommt von München."
Kitty Cohen: "Ich bin in Wien geboren und die Familie hat ausgewandert wie ich zwei Jahre alt war."
Rafi Weiser: "Meine Mutter ist geboren in Breslau, ja. Viel hat sie nicht erzählt, sie hat nur gesagt, sie war niemals in Berlin."
Die Tour durch die deutsche Hauptstadt weckt widersprüchliche Emotionen, die auch der Roman wiedergibt. Chaim Be'ers Buch hat beinahe alle hier zu dieser speziellen Reise bewegt.
Kitty Cohen: "Es spiegelt die politische Zwiespältigkeit, die fast jeder von uns Israelis spürt. Berlin war Sitz der nationalsozialistischen Regierung. Es gibt auf der einen Seite diesen literarischen, kulturellen Hintergrund, große jüdische Autoren lebten hier. Und andererseits so eine moralische Gespaltenheit. Beides eben, die Anziehungskraft, die Achtung vor Kultur und Schönheit der Stadt, ihrer Kunst, ihren Forschungen. Und dann auch das Andere. Es ist hier anziehend und abstoßend zugleich."
Die meisten aus der Reisegruppe möchten dennoch wiederkommen. Eine Woche vergeht ihnen viel zu schnell. Sie möchten noch mehr kennenlernen.
Anat Rotman: "Alle Plätze - das interessiert mich, nicht nur wegen Buch. Berlin, das ist so eine große kosmopolitische Stadt. Und ich will sehen, warum alle Jungen kommen nach Berlin."
Derzeit leben 30.000 Israelis in Berlin. Vor allem eben junge Menschen. Der Autor Chaim Be'er sieht in der Stadt daher nicht nur deutsch-jüdische Vergangenheit, sondern auch Zukunft:
"Ehrlich gesagt – nicht allein die ganze neue Architektur oder die Vergangenheit, auch nicht das Multikulturelle an Berlin begeistert mich. Sondern dass so viele junge Israelis hierher kommen, um zu studieren, zu arbeiten und eine Zeitlang in der Stadt von Moses Mendelssohn und Adolf Hitler zu leben. Diese Verbindung – eine außergewöhnliche – finde ich absolut großartig."
Auf dem ehemaligen Jüdischen Friedhof, am Grab des Philosophen Moses Mendelssohn, machen sie eine Pause. Ein Mann in Jeans und schwarzem T-Shirt hält einen Vortrag. Und liest der Gruppe etwas aus einem Buch vor. In einer Sprache, die älter ist als Berlin und auch von denen gesprochen wurde, die einst hier begraben lagen.
Der israelische Schriftsteller Chaim Be'er liest aus seinem 2007 erschienenen Roman "Lifnej ha-Makom". Darin geht es um das Weiterleben des Geistes angesichts von Barbarei. Fünf Personen treffen sich am Berliner Wannsee: Juden mit unterschiedlichen Wurzeln und eine junge Deutsche. Ihre Geschichte verknüpft der Autor mit bestimmten Orten in Berlin. Der Roman wird so zum Stadtplan. Mit ihm führt der Autor nun knapp 30 Israelis durch Vergangenheit und Gegenwart der deutschen Hauptstadt.
Chaim Be’er: "Hier herumzulaufen, bedeutet für mich, durch ein Geschichtsbuch zu gehen, zwischen den Zeilen menschlicher Erfahrung."
Unter dem Titel "Bebelplatz" wird Be'ers Roman im Oktober auch in deutscher Übersetzung erscheinen. Auf dem Berliner Bebelplatz verbrannten im Mai 1933 die Nazis Bücher – Menetekel für alles, was noch kommen sollte.
Heute erinnert ein Denkmal dort an die schändliche Tat: Durch eine Glasplatte im Boden sieht man auf leere Regale unter der Erde. Bücherliebhaber und Schriftsteller Chaim Be'er sieht eine Verbindungslinie zwischen Berlin und Jerusalem:
"Es gibt zwei unterirdische Räume – und sie sind miteinander verbunden. Der eine ist dieses wunderbare Kunstwerk von Micha Ullmann hier am Bebelplatz: die leere Bibliothek. Der andere ist ein unterirdischer Raum, der bis an die Decke gefüllt ist: die hebräische Nationalbibliothek in Jerusalem. Voll mit Millionen hebräischer Bücher und Dokumenten aus der ganzen Welt."
Vom Bebelplatz an den Wannsee - eine Woche lang fahren die Israelis die Romanschauplätze ab - Orte deutsch-jüdischer Geschichte, die nach Israel weisen: zum Beispiel die ehemalige Wohnung des großen hebräischen Dichters Bialik. Aber auch das Gelände des ehemaligen Führerbunkers und die Villa am Wannsee, in der die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" beschlossen wurde, stehen auf dem Programm. Und da sind noch Berlins Museumsinsel, die Gedenkstätte zur Berliner Mauer und alte Luftschutzbunker.
Kaum überraschend: Fast alle, die mit dem israelischen Autor hierhergekommen sind, haben einen deutschen Familienhintergrund.
Avner Rotman: "Meine Eltern sind von Deutschland gekommen. Meine Mutter von Schwarzwald von kleines Städtchen, Laar, nicht weit von Freiburg, mein Vater kommt von München."
Kitty Cohen: "Ich bin in Wien geboren und die Familie hat ausgewandert wie ich zwei Jahre alt war."
Rafi Weiser: "Meine Mutter ist geboren in Breslau, ja. Viel hat sie nicht erzählt, sie hat nur gesagt, sie war niemals in Berlin."
Die Tour durch die deutsche Hauptstadt weckt widersprüchliche Emotionen, die auch der Roman wiedergibt. Chaim Be'ers Buch hat beinahe alle hier zu dieser speziellen Reise bewegt.
Kitty Cohen: "Es spiegelt die politische Zwiespältigkeit, die fast jeder von uns Israelis spürt. Berlin war Sitz der nationalsozialistischen Regierung. Es gibt auf der einen Seite diesen literarischen, kulturellen Hintergrund, große jüdische Autoren lebten hier. Und andererseits so eine moralische Gespaltenheit. Beides eben, die Anziehungskraft, die Achtung vor Kultur und Schönheit der Stadt, ihrer Kunst, ihren Forschungen. Und dann auch das Andere. Es ist hier anziehend und abstoßend zugleich."
Die meisten aus der Reisegruppe möchten dennoch wiederkommen. Eine Woche vergeht ihnen viel zu schnell. Sie möchten noch mehr kennenlernen.
Anat Rotman: "Alle Plätze - das interessiert mich, nicht nur wegen Buch. Berlin, das ist so eine große kosmopolitische Stadt. Und ich will sehen, warum alle Jungen kommen nach Berlin."
Derzeit leben 30.000 Israelis in Berlin. Vor allem eben junge Menschen. Der Autor Chaim Be'er sieht in der Stadt daher nicht nur deutsch-jüdische Vergangenheit, sondern auch Zukunft:
"Ehrlich gesagt – nicht allein die ganze neue Architektur oder die Vergangenheit, auch nicht das Multikulturelle an Berlin begeistert mich. Sondern dass so viele junge Israelis hierher kommen, um zu studieren, zu arbeiten und eine Zeitlang in der Stadt von Moses Mendelssohn und Adolf Hitler zu leben. Diese Verbindung – eine außergewöhnliche – finde ich absolut großartig."