Ein Regisseur mit doppelter Identität
„Deutschland ist der Ort, an dem ich mich ausdrücken kann“ – das sagt Mikael Serre, ein junger, französischer Theaterregisseur aus Paris. Nun hat ihn das Berliner Maxim Gorki Theater für ein halbes Jahr nach Berlin geholt. Am 29. März inszeniert er mit Schauspielern des Ensembles „Der Fremde“ von Albert Camus.
„Mit sechs Jahren wollte ich einfach nicht mehr Deutsch sprechen. Ich habe gesagt, das tut mir weh an der Zunge.“
Heute noch stockt manchmal das Deutsche im Mund von Mikael Serre. Der eher schmale Mann – 35 Jahre alt, in Stoffhose und Socken, mit müden, grauen Augen – sitzt in der Küche. Seine kleine Singlewohnung unter dem Dach in Paris liegt zu Füßen von Montmartre. Auf dem Esstisch: ein Glas Rotwein, eine Zigarettenschachtel und ein Stapel Bücher – französische und deutsche. Der Theaterregisseur ist in Frankreich geboren und aufgewachsen. Seine Mutter – ein deutsches Au-Pair-Mädchen, das sich in einen Franzosen verliebt hatte – sprach mit ihm hauptsächlich französisch.
„Ich fühle mich sehr gut in Frankreich, aber manchmal verstehe ich die Menschen nicht, wie die denken. Ich glaube, ich bin selber ein Bruch, und ich möchte gern, dass in der französischen Kultur auch ein Bruch sein könnte, damit was Neues entstehen kann.“
Diese Diskrepanz spürt Mikael Serre auf der Straße, beim Einkaufen – und vor allem
in seinem Bereich, dem des Theaters. Die Texte, sagt der Regisseur, sind oft nicht für die Bühne geschrieben, sondern um gelesen zu werden. Die Schauspieler: in der Tradition befangen, ihre Texte zu deklamieren. Und die Themen? Nicht genug in unserer Zeit verankert. Also sah sich der Regisseur um – und wurde bei einem deutschen Autor fündig: Marius von Mayenburg, ein junger, radikaler Hausautor der Berliner Schaubühne.
„Ddie Sprache und das was er erzählt, das passiert eine Alchemie zwischen Text, Schauspieler und Regisseur.“
Serre hat bereits drei Stücke von Mayenburg übersetzt und inszeniert. Das letzte: „Freie Sicht“ – ein Drama an einem unbestimmten Ort und in einer unbestimmten Zeit, in dem 12-jährige Kinder verdächtigt werden, Mörder zu sein. Ist die Bedrohung real? Wo beginnt die Paranoia?
„Wir sind ziemlich unfähig diese Gesellschaft zu analysieren und zu verstehen. Und natürlich ist ein Reiz da, sich wirklich daran den Kopf zu zerbrechen, warum wir unfähig sind, diese Zeit zu kapieren. Und vielleicht wie wir ein bisschen mehr diese Zeit lieben können auch. Weil ich finde, die ist auch ziemlich schön.“
Für die Arbeit zu „Freie Sicht“ hat Mikael Serre im Vorfeld allerlei Zeitungsartikel zu Terrorwarnungen und Sicherheitsmaßnahmen sowie Fotos : Kinder, die trainieren, zu schießen, ein Kühlregal mit Milchprodukten ein Mülleimer mit toten Tauben. Dieses Material hängt er dann an eine Pinwand im Proberaum auf. So will er die Stimmung des Stückes auffangen. Ein unentbehrlicher, erster Schritt – gerade, wenn es um ein deutsches Stück geht.
„Ich inszeniere ihn in der Originalsprache eigentlich. Ich muss vermitteln den Schauspielern, was ich fühle in das Deutsche. Eine Übersetzung ist nie der Text im Original. Nie.“
Serres Theater ist sehr physisch: Die Figuren prallen regelrecht aufeinander oder kanllen auf den Boden. Begeistert erwähnt der Regisseur Stummfilme Charlie Chaplins, Theaterstücke auf Russisch, die er in Nijni-Novgorod an der Volga gesehen und verstanden hat – trotz Sprachbarriere. Hier hat er als Regieassistent gearbeitet.
Und: Er spricht von einem besonderen, sprachlosen Spektakel, das er sich – schon früh – im römischen Amphitheater von Nîmes, seiner Heimatstadt, anschaute: Stierkämpfe.
„Man sieht den Stier, er blutet – und man weint als Kind. Das ist der erste Reflex mit zwei bis drei Jahren.“
„Aber trotzdem: Das ist nicht nur ein Stier, das ist ein Stier, ein Mensch und ein Publikum, die Sonne und eine Arena. Und das Ganze hat mich sehr beeindruckt.“
Nach dem Abitur Anfang der Neunzigerjahre studiert Mikael Serre an der Kunstakademie in Saint-Etienne. Schnell fühlt er sich mit seinen Zeichnungen und Fotos einsam. Er möchte mit anderen zusammen arbeiten: in einem Theatersaal. Weil es in Frankreich vor zehn Jahren kaum Studiengänge für Regie gab, macht er erst mal eine Ausbildung als Schauspieler bei Jacques Lecoq in Paris, einem der Gründer der modernen Pantomime. Sein erstes Engagement bekommt er in Deutschland. Eine befreiende Erfahrung.
„Ein Fremder zu sein ist auch eine Chance – die kann man für sich ausnutzen, um lebendiger zu sein, ein bisschen anders.“
Doch Mikael Serre liebt zu sehr den Platz des Zuschauers, um auf der Bühne zu bleiben: Im Jahr 2000 geht er in den Zuschauerraum zurück – diesmal als Regisseur.
Wieder wechselt Mikael Serre die Seiten: Er verlässt seine Wohnung in Montmartre und kommt für ein halbes Jahr nach Berlin. Am Maxim Gorki Theater wird er sich diesmal an einem französischen Klassiker reiben und mit deutschen Schauspielern „Der Fremde“ von Camus inszenieren.
Vermittler – in dieser Rolle fühlt sich Mikael Serre wohl. Hier kann er aus seiner französischen und seiner deutschen Identität schöpfen. Und muss sich nicht – wie sonst – für die eine oder andere entscheiden.
Heute noch stockt manchmal das Deutsche im Mund von Mikael Serre. Der eher schmale Mann – 35 Jahre alt, in Stoffhose und Socken, mit müden, grauen Augen – sitzt in der Küche. Seine kleine Singlewohnung unter dem Dach in Paris liegt zu Füßen von Montmartre. Auf dem Esstisch: ein Glas Rotwein, eine Zigarettenschachtel und ein Stapel Bücher – französische und deutsche. Der Theaterregisseur ist in Frankreich geboren und aufgewachsen. Seine Mutter – ein deutsches Au-Pair-Mädchen, das sich in einen Franzosen verliebt hatte – sprach mit ihm hauptsächlich französisch.
„Ich fühle mich sehr gut in Frankreich, aber manchmal verstehe ich die Menschen nicht, wie die denken. Ich glaube, ich bin selber ein Bruch, und ich möchte gern, dass in der französischen Kultur auch ein Bruch sein könnte, damit was Neues entstehen kann.“
Diese Diskrepanz spürt Mikael Serre auf der Straße, beim Einkaufen – und vor allem
in seinem Bereich, dem des Theaters. Die Texte, sagt der Regisseur, sind oft nicht für die Bühne geschrieben, sondern um gelesen zu werden. Die Schauspieler: in der Tradition befangen, ihre Texte zu deklamieren. Und die Themen? Nicht genug in unserer Zeit verankert. Also sah sich der Regisseur um – und wurde bei einem deutschen Autor fündig: Marius von Mayenburg, ein junger, radikaler Hausautor der Berliner Schaubühne.
„Ddie Sprache und das was er erzählt, das passiert eine Alchemie zwischen Text, Schauspieler und Regisseur.“
Serre hat bereits drei Stücke von Mayenburg übersetzt und inszeniert. Das letzte: „Freie Sicht“ – ein Drama an einem unbestimmten Ort und in einer unbestimmten Zeit, in dem 12-jährige Kinder verdächtigt werden, Mörder zu sein. Ist die Bedrohung real? Wo beginnt die Paranoia?
„Wir sind ziemlich unfähig diese Gesellschaft zu analysieren und zu verstehen. Und natürlich ist ein Reiz da, sich wirklich daran den Kopf zu zerbrechen, warum wir unfähig sind, diese Zeit zu kapieren. Und vielleicht wie wir ein bisschen mehr diese Zeit lieben können auch. Weil ich finde, die ist auch ziemlich schön.“
Für die Arbeit zu „Freie Sicht“ hat Mikael Serre im Vorfeld allerlei Zeitungsartikel zu Terrorwarnungen und Sicherheitsmaßnahmen sowie Fotos : Kinder, die trainieren, zu schießen, ein Kühlregal mit Milchprodukten ein Mülleimer mit toten Tauben. Dieses Material hängt er dann an eine Pinwand im Proberaum auf. So will er die Stimmung des Stückes auffangen. Ein unentbehrlicher, erster Schritt – gerade, wenn es um ein deutsches Stück geht.
„Ich inszeniere ihn in der Originalsprache eigentlich. Ich muss vermitteln den Schauspielern, was ich fühle in das Deutsche. Eine Übersetzung ist nie der Text im Original. Nie.“
Serres Theater ist sehr physisch: Die Figuren prallen regelrecht aufeinander oder kanllen auf den Boden. Begeistert erwähnt der Regisseur Stummfilme Charlie Chaplins, Theaterstücke auf Russisch, die er in Nijni-Novgorod an der Volga gesehen und verstanden hat – trotz Sprachbarriere. Hier hat er als Regieassistent gearbeitet.
Und: Er spricht von einem besonderen, sprachlosen Spektakel, das er sich – schon früh – im römischen Amphitheater von Nîmes, seiner Heimatstadt, anschaute: Stierkämpfe.
„Man sieht den Stier, er blutet – und man weint als Kind. Das ist der erste Reflex mit zwei bis drei Jahren.“
„Aber trotzdem: Das ist nicht nur ein Stier, das ist ein Stier, ein Mensch und ein Publikum, die Sonne und eine Arena. Und das Ganze hat mich sehr beeindruckt.“
Nach dem Abitur Anfang der Neunzigerjahre studiert Mikael Serre an der Kunstakademie in Saint-Etienne. Schnell fühlt er sich mit seinen Zeichnungen und Fotos einsam. Er möchte mit anderen zusammen arbeiten: in einem Theatersaal. Weil es in Frankreich vor zehn Jahren kaum Studiengänge für Regie gab, macht er erst mal eine Ausbildung als Schauspieler bei Jacques Lecoq in Paris, einem der Gründer der modernen Pantomime. Sein erstes Engagement bekommt er in Deutschland. Eine befreiende Erfahrung.
„Ein Fremder zu sein ist auch eine Chance – die kann man für sich ausnutzen, um lebendiger zu sein, ein bisschen anders.“
Doch Mikael Serre liebt zu sehr den Platz des Zuschauers, um auf der Bühne zu bleiben: Im Jahr 2000 geht er in den Zuschauerraum zurück – diesmal als Regisseur.
Wieder wechselt Mikael Serre die Seiten: Er verlässt seine Wohnung in Montmartre und kommt für ein halbes Jahr nach Berlin. Am Maxim Gorki Theater wird er sich diesmal an einem französischen Klassiker reiben und mit deutschen Schauspielern „Der Fremde“ von Camus inszenieren.
Vermittler – in dieser Rolle fühlt sich Mikael Serre wohl. Hier kann er aus seiner französischen und seiner deutschen Identität schöpfen. Und muss sich nicht – wie sonst – für die eine oder andere entscheiden.