Ein rätselhafter Dramatiker
Heinrich von Kleist ist eine zeitlose Herausforderung: Deshalb überrascht es nicht, dass ohne äußeren Anlass gleich zwei umfassende Biographien über den Schriftsteller erschienen sind. Sie schlagen zwei höchst unterschiedliche Tonlagen an und messen den Spielraum virtuos aus, den die Kleist-Forschung immer noch den Interpreten eröffnet.
Von allen großen Klassikern der deutschen Literatur ist Kleist vermutlich der unbekannteste und rätselhafteste. Je weniger man von ihm weiß, desto heftiger grassieren die Mutmaßungen und Gerüchte. Der Dichter lebte von 1777 bis 1811, wurde also nur 34 Jahre alt, und geriet in eine Zeit hinein, die einen bis dato völlig unbekannten Epochenbruch bedeutete, zwischen bürgerlicher Revolution und Restauration. In Preußen, dem Land Kleists, bildeten sich diese Spannungen vielleicht am quälendsten ab.
Da es äußerst wenige Lebenszeugnisse von Kleist gibt, schwanken die Interpreten zwischen den Extremen wie sonst nirgends: Mal gilt er als preußischer, nationaler Dichter bis hin zu einem Verfechter der Reaktion, mal gilt er als preußischer Herold der französischen Revolution. In der deutschen Germanistik des 20. Jahrhunderts bildete sich schließlich, quasi als Zwischenformel, das Bild Kleists als eines absoluten Dichters heraus, als eines Existenzialisten, der die hohe Dichtung gegen die kruden Zeitläufe stellt.
Kleist ist also eine zeitlose Herausforderung, und so überrascht es gar nicht sonderlich, dass ohne äußeren Anlass, ohne ein rundes Datum in diesem Herbst gleich zwei umfassende Kleist-Biographien erschienen sind. Und wie um den Gegenstand angemessen abzubilden, schlagen sie zwei höchst unterschiedliche Tonlagen an, messen den Spielraum virtuos aus, den die Kleist-Forschung immer noch den Interpreten eröffnet.
Das Buch von Gerhard Schulz ist das gelassene, resümierende Alterswerk eines renommierten Kleist-Forschers. Der emeritierte Professor aus Melbourne kultiviert die Schule des angelsächsischen Sich-Zurücknehmens, er ist in seinen Bewertungen äußerst vorsichtig und macht sich leise lustig über die verschiedensten Exegeten, die aus dem dürren Quellenmaterial extravagante Schlüsse zu ziehen versuchten. Für Schulz ist Kleist, nach dem Wort Friedrich Gundolfs, eine "tief unweise Natur", einer, der sich ständig über das Realitätsprinzip hinwegzusetzen versucht. Die vielen Selbstverrätselungen Kleists, die Briefe, die er von Anfang an in diesem Sinn konzipiert habe, liest Schulz als bloße Konstruktionen, um zu einer ganz und gar literarischen Existenz vorzudringen.
Jens Biskys Stil hebt sich von dem sanften, abwägenden Duktus Schulz’ radikal ab. Er schreibt feuilletonistisch, ist auf die Pointe aus, und sieht, als gelernter DDR-Bürger, die Schwierigkeiten Kleists mit den politischen Umständen in der gegenwärtigen Situation aktualisiert: Was ist und wofür steht Deutschland? Bisky nimmt den "Wahnsinn der Freiheit" zum Leitmotiv, die im Gefolge der bürgerlichen Aufklärung und der französischen Revolution den einzelnen vor schwierigste Konflikte stellt, zumal in einem Militärstaat wie Preußen. Bisky akzentuiert nicht, wie es die Mehrzahl und auch Gerhard Schulz längst tut, die exzentrische Zerrissenheit Kleists, sondern seinen "revolutionären Extremismus", macht ihn zu einem Don Quijote der Aufklärung, schließt ihn sogar kurz mit Robespierre.
Das ist, auch wenn es gelegentlich den Bogen bis zum Zerreißen zu spannen scheint, immer höchst anregend zu lesen. Die Lust am Gegenstand, die Bisky vermittelt, reißt durchaus mit. Wer jedoch zu einem alles umfassenden Kleist-Bild vordringen möchte, dem empfiehlt sich etwas, was es wohl per definitionem nicht geben kann: eine imaginäre Mitte zwischen den Biographien von Bisky und Schulz.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Gerhard Schulz: Kleist. Eine Biographie.
Verlag C. H. Beck, München. 608 Seiten, 26,90 Euro.
Jens Bisky: Kleist. Eine Biographie.
Verlag Rowohlt Berlin. 532 Seiten, 22,90 Euro.
Da es äußerst wenige Lebenszeugnisse von Kleist gibt, schwanken die Interpreten zwischen den Extremen wie sonst nirgends: Mal gilt er als preußischer, nationaler Dichter bis hin zu einem Verfechter der Reaktion, mal gilt er als preußischer Herold der französischen Revolution. In der deutschen Germanistik des 20. Jahrhunderts bildete sich schließlich, quasi als Zwischenformel, das Bild Kleists als eines absoluten Dichters heraus, als eines Existenzialisten, der die hohe Dichtung gegen die kruden Zeitläufe stellt.
Kleist ist also eine zeitlose Herausforderung, und so überrascht es gar nicht sonderlich, dass ohne äußeren Anlass, ohne ein rundes Datum in diesem Herbst gleich zwei umfassende Kleist-Biographien erschienen sind. Und wie um den Gegenstand angemessen abzubilden, schlagen sie zwei höchst unterschiedliche Tonlagen an, messen den Spielraum virtuos aus, den die Kleist-Forschung immer noch den Interpreten eröffnet.
Das Buch von Gerhard Schulz ist das gelassene, resümierende Alterswerk eines renommierten Kleist-Forschers. Der emeritierte Professor aus Melbourne kultiviert die Schule des angelsächsischen Sich-Zurücknehmens, er ist in seinen Bewertungen äußerst vorsichtig und macht sich leise lustig über die verschiedensten Exegeten, die aus dem dürren Quellenmaterial extravagante Schlüsse zu ziehen versuchten. Für Schulz ist Kleist, nach dem Wort Friedrich Gundolfs, eine "tief unweise Natur", einer, der sich ständig über das Realitätsprinzip hinwegzusetzen versucht. Die vielen Selbstverrätselungen Kleists, die Briefe, die er von Anfang an in diesem Sinn konzipiert habe, liest Schulz als bloße Konstruktionen, um zu einer ganz und gar literarischen Existenz vorzudringen.
Jens Biskys Stil hebt sich von dem sanften, abwägenden Duktus Schulz’ radikal ab. Er schreibt feuilletonistisch, ist auf die Pointe aus, und sieht, als gelernter DDR-Bürger, die Schwierigkeiten Kleists mit den politischen Umständen in der gegenwärtigen Situation aktualisiert: Was ist und wofür steht Deutschland? Bisky nimmt den "Wahnsinn der Freiheit" zum Leitmotiv, die im Gefolge der bürgerlichen Aufklärung und der französischen Revolution den einzelnen vor schwierigste Konflikte stellt, zumal in einem Militärstaat wie Preußen. Bisky akzentuiert nicht, wie es die Mehrzahl und auch Gerhard Schulz längst tut, die exzentrische Zerrissenheit Kleists, sondern seinen "revolutionären Extremismus", macht ihn zu einem Don Quijote der Aufklärung, schließt ihn sogar kurz mit Robespierre.
Das ist, auch wenn es gelegentlich den Bogen bis zum Zerreißen zu spannen scheint, immer höchst anregend zu lesen. Die Lust am Gegenstand, die Bisky vermittelt, reißt durchaus mit. Wer jedoch zu einem alles umfassenden Kleist-Bild vordringen möchte, dem empfiehlt sich etwas, was es wohl per definitionem nicht geben kann: eine imaginäre Mitte zwischen den Biographien von Bisky und Schulz.
Rezensiert von Helmut Böttiger
Gerhard Schulz: Kleist. Eine Biographie.
Verlag C. H. Beck, München. 608 Seiten, 26,90 Euro.
Jens Bisky: Kleist. Eine Biographie.
Verlag Rowohlt Berlin. 532 Seiten, 22,90 Euro.