Ein problematisches Verhältnis

Von Thomas Kroll |
Die Befreiungstheologie ist eine spezielle Frucht des 20. Jahrhunderts. Den einen schmeckt sie süß und saftig, den anderen stößt sie bitter auf. Warum?
In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden sich die Länder der Dritten Welt in verstärktem Maße ihrer Situation der Unterdrückung und Ausbeutung bewusst. Die katholische Kirche insbesondere in Lateinamerika musste sich entscheiden: Unterstützt sie weiterhin die Reichen oder macht sie sich zum Anwalt der Armen?

Basisgemeinden waren seinerzeit die neue Entdeckung. Mit von der Partie: Theologen, Priester, Ordensleute, ja Bischöfe. Statt vor Büchern zu sitzen, lauschen sie den Worten der Landarbeiter, die mit ihnen die Bibel auslegen. Kein Anflug von Sozialromantik, denn wer sich konkret auf das Leben der Unterdrückten einlässt, sieht mit neuen Augen und deutet anders – die gesellschaftlichen Zustände, das Evangelium sowie die praktischen Erfordernisse in Pastoral und Politik.

Nur ein Beispiel: Erzbischof Oscar Romero kämpft gegen die Verbrechen der Militärdiktatur in El Salvador, setzt sich für soziale und politische Reformen ein – und wird am Altar ermordet.

Zu Romeros Beratern zählte Jon Sobrino, Jesuit und Professor für Dogmatik. Der 69-jährige, gebürtige Baske bildet das Dreigestirn führender Befreiungstheologen gemeinsam mit dem Peruaner Gustavo Gutierrez und dem Brasilianer Leonardo Boff. Letztgenannter kam in den 80er Jahren mehrmals mit der römischen Glaubenskongregation in Konflikt: Einmal wird ihm ein Bußschweigen auferlegt, ein andermal ist sein Buch "Kirche: Charisma und Macht" Anlass für eine Notifikation.

Die Glaubenskongregation, bei ihrer Errichtung im Jahre 1542 Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition genannt, ist die wichtigste von heute neun obersten Verwaltungsbehörden der römischen Kurie. Ihr obliegt es, die Wahrheit der Lehren von Glaube und Sitten zu fördern und zu schützen.

Von 1981 bis 2005 stand der jetzige Papst Benedikt XVI. als Präfekt an ihrer Spitze. So hatte er mehrmals die Aufgabe, sich mit der Befreiungstheologie auseinander zu setzen, mit deren Kapitalismuskritik und Nähe zum Marxismus ebenso wie etwa mit folgender Frage: Gibt es eine religiöse Erlösungsgeschichte auf der einen und eine politische Befreiungsgeschichte auf der anderen Seite – und kann man beides so fein säuberlich trennen, wie dies oft und gern geschieht?