"Ein Prinzip ist vor allem Koproduktion"

Peter Anders im Gespräch mit Ulrike Timm · 30.01.2012
Peter Anders sieht im partnerschaftlichen Dialog Möglichkeiten für Künstler in einem Land wie der Volksrepublik China. Künstler versuchten, Beziehungen "spielen zu lassen", um ihre Arbeiten zu zeigen, sagte Anders anlässlich von 40 Jahren diplomatischen Beziehungen zu dem Land. Aus seiner Sicht spielen in diesem Zusammenhang deutsche Kultureinrichtungen eine wichtige Rolle.
Ulrike Timm: Ai Weiwei zu drangsalieren und den chinesischen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo auf Jahre einzusperren - natürlich tritt das unsere Werte mit Füßen. Zugleich ist das nur ein Ausschnitt des komplexen chinesischen Alltags und auch Chinesen, die nicht mit dem Regime sympathisieren, begreifen Kritik schnell als generelle Kritik an ihrem Land – das wir eigentlich kaum kennen. Oder fallen Ihnen auf Anhieb chinesische Künstler ein außer Ai Weiwei oder Liu Xiaobo? Eben!

Heute beginnt das chinesische Kulturjahr in Deutschland aus Anlass von 40 Jahren diplomatischer Beziehung. Und wir wollen mit Peter Anders, dem Leiter des Goethe-Instituts in Peking, darüber sprechen, über eine Kunst- und Kulturszene, die in westlichen Medien wenig wahrgenommen wird und über Lust und Frust deutsch-chinesischer Kulturbeziehungen. Herr Anders ist ins Studio gekommen, schönen guten Morgen!

Peter Anders: Morgen, Frau Timm!

Timm: Sie leiten das Goethe-Institut in Peking seit gut acht Monaten. Was hat Sie denn eigentlich zuerst am meisten überrascht?

Anders: Die Vielfalt, das Bunte in Peking, aber natürlich auch in China. Die Biennalen, die internationalen Netzwerke, die sich eben auch in der Kunst- und Kulturszene zeigen, die Aufgeschlossenheit und die Tendenz Chinas, nach außen zu gehen, deutlich zu machen, dass es eben nicht mehr ein Schwellenland ist, sondern eine Macht, nicht nur eine Wirtschaftsmacht, sondern auch kulturell eine Menge und viele diverse Diskurse zu bieten hat.

Timm: Welche spannenden Künstler, welche Strömungen gäbe es denn zu entdecken?

Anders: Na ja, also, interessant ist, dass eben Themen, die wir diskutieren im Westen, auch natürlich in China diskutiert werden. Also angefangen von Biodiversität, von der Komplexität, von der Zusammenarbeit zwischen Technologie und Ökologie. Es gab eine große Triennale, Translife, die Triennale der Medienkunst, die eben genau dieses zum Thema hatte mit Künstlern aus über 30 Ländern. Fragen ...

Timm: ... was gibt es da zu sehen zum Beispiel, was sieht man da, was findet man da?

Anders: Man findet Installationen, man findet Überlegungen, wie man eben Technologie in künstlerischen Prozessen sozusagen sinnlich erfahrbar machen kann. Da ist viel Interaktion dabei für das Publikum. Und es ist eben, wie gesagt, eine internationale Show.

Timm: Nun entwickelt sich Kunst, ernst zu nehmende Kunst, ja tatsächlich häufig aus einem Gefühl von Dagegensein. Bei Ai Weiwei ist das womöglich der stärkste Antrieb überhaupt. Bleibt denn die Szene, die Sie beschreiben, politisch unverbindlich?

Anders: Politisch unverbindlich ist dann die Definition oder die Interpretation, wie weit sie politisch ist. Aber ich denke, dass es viele Künstler gibt, die zunächst einmal sich selbst verpflichtet sind, die in ihren künstlerischen Ergebnissen nicht unmittelbar eine politische Absicht erkennen. Das muss nicht so sein, das kann so sein. Es gibt zum Beispiel eine junge Fotografie, (…), Ma Liang, (…), die sehr wohl Ikonografien auch des Politischen nutzen in ihrer Kunst und gleichwohl damit kein politisches Statement abgeben.

Timm: Ärgert die Künstler das, dass sie im Ausland eigentlich gar nicht wahrgenommen werden? Also nicht nur die Aushängeschilder sind, sondern dass man sie schlicht nicht kennt und nicht sieht? Oder ist das egal in so einem Riesenreich?

Anders: Na ja, nicht kennt und nicht sieht, das würde ich so gar nicht sagen. Sie wissen, dass der Kunstmarkt, wenn wir bei der bildenden Kunst sind, natürlich der Kunstmarkt Chinas einer der in der Welt führenden Märkte ist, sodass er also, dass man durchaus von einer Internationalität sprechen kann. Es gibt auch viele gerade deutsche und deutschsprachige Galeristen, die in Peking sind. Also, ich würde nicht sagen, dass in der Fachszene die Kunst nicht wahrgenommen wird. In den Medien ist das in der Tat etwas Anderes.

Timm: Aber die Künstler, die Kulturschaffenden, die Ihnen in Peking begegnen, wie leben die, wie arbeiten die, in welchem Klima? Lassen die das Regime links liegen, kurven sie daran vorbei, kümmern sie sich nicht drum? Wie ist das?

Anders: Sie gehen Umwege. Und man muss auch sagen, dass in den acht Monaten, in denen ich nun in Peking bin, die Zeiten nicht einfacher wurden und die Beschränkungen nicht weniger wurden. Und das bedeutet eben, dass man versucht zu koproduzieren, dass man versucht, Beziehungen spielen zu lassen und in diesem Sinne dann eben Möglichkeiten findet, seine Kunst zu machen.

Timm: Sie haben uns vorab ein paar Namen übermittelt, von denen ich zumindest keinen kannte und die alle englisch sind: Vitamin Creative Space, Home Shop, Paper Tiger. Einmal eben kein chinesisches Wort dabei, zum anderen: Was ist das, was tun die, wer sind die?

Anders: Das sind die Übersetzungen. Also, Vitamin Creative Space zum Beispiel ist schon auch in der europäischen Szene gut vernetzt. Der Ansatz ist, oder die Frage ist, wie schafft man mit Kunst auch alternative Öffentlichkeiten, das heißt also, fernab der Galerien, der großen Museen?

Wie kann Kunst eingesetzt werden, um die Gemeinde, Community, zu integrieren und aus der Realität heraus Kunstprozesse zu initiieren? Das Paper Theater ist ein privates Theater, das zum Beispiel sich gerade der Frage des Kollektivs und der Masse, damit auseinandersetzt und daraus ein Theaterstück entwickeln wird über die Monate.

Und das sind zum Beispiel Wege, wie dieses Thema, was politisch nicht einfach ist zu behandeln vor dem Hintergrund der Geschichte, dieses Thema wird dann eben quasi über das Mittel der Kunst, nämlich ein Theaterstück sozusagen, zunächst einmal in den Diskurs eingebracht, weil wir besprochen hatten, dass man eben auch umgekehrt vorgehen könne. So würden wir wahrscheinlich denken, nämlich zunächst einmal das Thema in einem Forum oder Symposium zu besprechen und daraus dann zu entwickeln, bestimmte Fragestellungen, die dann künstlerisch überarbeitet werden.

Timm: Also sozusagen im Sinne des Sinologen Tilman Spengler, der kürzlich bei uns sagte, na ja, man kann viel an den staatlichen Wegen vorbei organisieren und spannende Begegnungen schaffen, ja, jenseits der offiziellen Doktrin, indem man sie fröhlich unterläuft oder auch nicht so fröhlich unterläuft?

Anders: Eher nicht so fröhlich unterläuft. Die Methode ist richtig, wobei ich schon der Meinung bin, dass, an bestimmten Punkten gibt es dann eben doch wieder Berührungsängste, dafür ist die Macht dann eben doch auch einfach vorhanden, sodass man also immer dies auch mitdenken muss und nicht nur vorbei. Man wird an bestimmten Stellen wieder sich gegenüberstehen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Peter Anders, dem Leiter des Goethe-Instituts in Peking. Und, Herr Anders, heute beginnt das chinesische Kulturjahr in Deutschland. Das ist natürlich die hoch offizielle Auswahl mit mehreren hundert Künstlern, denen man wahrscheinlich nichts Gutes tut, wenn man sie direkt fragt nach Ai Weiwei und Liao Xiaobo. Möglicherweise provoziert man dann wieder neue Menschenrechtsverletzungen.

Andererseits muss sich China ja auch zeigen international und das scheint der Regierung ja auch klar zu sein. Wie schafft man diesen Balanceakt, dass man wahrnimmt, was dieses Land schlicht und einfach seit mehreren Tausend Jahren kulturell zu bieten hat und trotzdem die Gegenwart nicht ausblendet?

Anders: Das müssen Sie natürlich die Macher fragen. Ein Prinzip ist vor allem Koproduktion, das heißt, den partnerschaftlichen Dialog zu fördern. Das Grundprinzip des Jahrs war es, ist es, eben Ausstellungen, Veranstaltungen aller Art in Partnerschaft mit deutschen Kultureinrichtungen durchzuführen und zu planen und dadurch natürlich auch noch mal inhaltlich einen anderen Ton zu setzen.

Inwieweit das gelingt, das muss man abwarten. Die Berater, zum Beispiel Fan Yang, Xiu Bing, das sind Leute, die eben in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren führende ... mit Ai Weiwei auch gearbeitet haben, Künstler waren, die jetzt zurückgekommen sind, die wichtige Posten haben innerhalb der Kulturszene in Peking, in China, und die hat man eben gewonnen. Und damit ist dann der Garant gegeben, dass also das Künstlerische, der künstlerische Sachverstand und eben das Verstehen zusammengeht.

Timm: Mir ist ein interessantes Detail aufgefallen, das chinesische Wort für Gesicht, das man ja niemals verlieren darf, bedeutet genau so Herausforderung. Sollte man in diesem Sinne auf dieses Kulturjahr blicken?

Anders: Ja, das Gesicht zu wahren, eben offen zu sein, Aufbruch, den Aufbruch, der ja ohne Zweifel vorhanden ist, dem eben auch entsprechend zu begegnen und neue Dinge wahrzunehmen, die man eben bisher nicht von China gesehen hat, das wünschte man sich auch im Interesse eben der Künstler, dass sie wahrgenommen werden.

Timm: Was machen Sie denn als Nächstes in Peking in diesem Sinne?

Anders: Wir haben ein Gespräch zwischen Alexander Kluge und Wang Hui, werden wir durchführen, da geht es um den Kluge-Film "Das Kapital", also "Nachrichten aus der ideologischen Antike", eine Kapitalismus-Kritik. Und wir wollen eben überlegen und gemeinsam diskutieren, wie aktuell Marx ist für die beiden Systeme.

Timm: In diesem Sinne eine gute und erfolgreiche Zeit weiterhin in Peking! Peter Anders war das, der Leiter des Goethe-Instituts in Peking. Heute beginnt das chinesische Kulturjahr in Deutschland. Herzlichen Dank für Ihren Besuch im Studio!

Anders: Vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema