Ein politischer Rosenkranz
Auf der neu entflammten Suche nach Orientierung, Werten, Verlässlichkeit und Gemeinschaft wenden sich viele Menschen wieder dem Glauben, der Religion und der Kirche zu. Zwölf Autoren versuchen in ihren Essays zu klären, wie es um das wechselseitige Verhältnis zwischen Glaube und Gesellschaft, Individualität und Gemeinschaft bestellt ist.
Zuerst die Gretchenfrage: Wie halten es die Autoren selbst mit der Religion? Fünf von ihnen sind evangelische Theologen, die anderen sind Journalisten, Schriftsteller, Geisteswissenschaftler, Künstler. Eine Autorin sympathisiert mit dem Buddhismus. Als Katholik outet sich keiner. Ein Islamwissenschaftler ist nicht dabei und auch kein Judaist.
Was alle eint ist der Eindruck, dass etwas in dieser Gesellschaft im Aufbruch ist, sich umformiert. Alle Autoren beobachten Phänomene der Beschleunigung, der Individualisierung, Verkonsumierung, Spezialisierung, Mediatisierung und versuchen zu analysieren, welchen Platz in diesem Strudel die Religion einnimmt, welche Funktion ihr zugewiesen wird und ob auch die Religion sich wandelt und vielleicht sogar wandeln muss.
Der Herausgeber Mario Früh möchte vor allem das Verständnis für andere Kulturen und Traditionen stärken und wünscht sich eine neue religiöse Kultur, die das leistet. Die Ansätze der Autoren sind unterschiedlich. Michaela Schröder zum Beispiel beschreibt in ihrem Beitrag Religion als Medienphänomen und stellt die Frage, ob medial inszenierte Glaubensbekenntnisse überhaupt echt sind. Tim Schuster bezieht sich auf das berühmte Treffen zwischen dem Philosophen Habermas und dem damaligen Kardinal Ratzinger und sucht nach einer Verschmelzungsmöglichkeit zwischen linken und konservativen Positionen.
Stefan Seidel kritisiert, dass Religion Wellness-Charakter bekommen hat, dass die neuen Wallfahrtsorte des modernen Menschen die Shoppingcenter am Stadtrand sind, und folgt dann dem Projekt Weltethos des katholischen Theologen Hans Küng. Erfrischend ist der Beitrag von Elvira Hücklekemkes, die die Ebene der Interpretation verläßt und herzhaft untheoretisch eine Rückkehr zur Barmherzigkeit fordert. Insgesamt ist also auch das Buch ein Zeugnis für die Belebung des Religiösen.
Die meisten Beiträge nehmen Bezug auf den Islam. Allerdings geschieht das auf sehr scheue Weise. Die Autoren setzen auf Selbstbezichtigung, Umsicht, Beschwichtigung. Manche scheinen eine Waage im Kopf zu haben. Jede islamkritische Äußerung wird sofort durch eine christenkritische Äußerung vermeintlich kompensiert. In fast allen Beiträgen ist es dann etwas Kritisches gegen den Papst. Das kann schon mal absurde Züge annehmen. Michaela Schröder beschreibt, wie sich der muslimische Selbstmordattentäter medial inszeniert, und damit eigentlich mehr seine Individualität als seinen Glauben demonstriert. Und sie setzt nach: der Christ, der sich beim Weltjungendtag selbst fotografiere, mache eigentlich das Gleiche. Also: zwischen Mord und Fotografieren gibt es für sie kategorial keinen Unterschied. Das ist übrigens auch ein Merkmal des Buches: dass viele Autoren zwischendurch recht verschrobene Gedanken entwickeln.
Bei aller Papstfeindlichkeit: Die meisten Autoren vertreten just die These des Papstes, dass nicht der Islam, sondern der Individualimus, die Aufsplitterung in Einzelgruppen und Einzelwesen, die Beliebigkeit der Lebensentwürfe Anlass gibt, wieder nach einem großen Ganzen zu suchen, das heißt nach religio, Rückbindung. Im Zentrum der Kritik steht der Weltjugendtag. Der war in den Augen der Autoren ein Spektakel ohne Bedeutung. Überhaupt, die Konkurrenz zwischen den Konfessionen scheint zwischen den Zeilen immer wieder durch. Helge Nyncke beschreibt in seinem Aufsatz zwei Strategien der Welterfassung: die progressive und die regressive. Es gibt also die fortschrittlichen, toleranten Visionäre, zu denen er sich selbst wahrscheinlich auch zählt, und dann die autoritären, irgendwie verkrusteten, rückwärtsgewandten Gläubigen. Man sieht, das dichotome Denken, das im Christentum ja typisch ist, setzt sich auch hier, bei den vermeintlich so Toleranten durch.
Fast jeder Autor empört sich in seinem Aufsatz über George W. Bush, seinen Fundamentalismus und den Irakkrieg. Und es fällt auf, dass an den Stellen, wo es um politische Bekenntnisse geht, das Reflektionsniveau absinkt. Das ist oft schade, weil einige Aufsätze tatsächlich spannend sind. So erfährt der Leser nichts über christlichen Fundamentalismus in den USA, welche Tradition der hat, aus welchen Quellen der sich speist, wie der sich entwickelt etc., sondern nur, dass der irgendwie böse ist. Die Autoren verfallen also hin und wieder in einer gutmenschenhafte Deklamationsethik. Das ist zuweilen ärgerlich.
Herbert Glossner zum Beispiel behauptet, dass die jüdische Orthodoxie in Israel aufgrund ihrer wörtlichen Schriftauslegung "ein friedliches Miteinander der Abrahamsabkömmlinge Israel und Ismael" blockieren würde. Und das ist schlichtweg falsch. Die orthodoxen Juden in Israel sind mit Entschiedenheit politisch abstinent, nehmen keine Waffe in die Hand und weigern sich, in die israelische Armee zu gehen. Diese unreflektierten Klischees, antizionistisch, antikatholisch, antiamerikanisch, gerade von Menschen formuliert, die nach ihrem Selbstverständnis tolerant, aufgeklärt und dialogfähig sind, schaden dem Buch.
Lesenswert ist es dennoch - weil es eine Einführung in einen neuen christlichen Dogmatismus darstellt, der sich vor allem durch Weltfremdheit und gutes Gewissen auszeichnet. Die politischen Meinungen, die hier vertreten werden – die vielleicht richtig sein können, vielleicht aber auch falsch, das lässt sich anhand des Buches nicht klären, weil an den entsprechenden Stellen die Fakten fehlen – haben Konfessionscharakter und werden gebetsmühlenartig wiederholt; ein politischer Rosenkranz. Fast erscheint Gott hier als Unterkategorie des Politischen. Insofern ist das Buch tatsächlich auch ein Dokument für die Rückkehr des Religiösen, die es ja zu untersuchen vorgibt. Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Viele der Beiträge sind originell, streckenweise klug und anregend, und gerade die jüngeren Autoren machen neugierig auf mehr.
Rezensiert von Annegret Kunkel
Mario Früh (Hrsg.): Glaube, Liebe, Hoffnung. Religion und Spiritualität in unserer Gesellschaft. Edition Büchergilde, 240 Seiten, 19,90 Euro
Was alle eint ist der Eindruck, dass etwas in dieser Gesellschaft im Aufbruch ist, sich umformiert. Alle Autoren beobachten Phänomene der Beschleunigung, der Individualisierung, Verkonsumierung, Spezialisierung, Mediatisierung und versuchen zu analysieren, welchen Platz in diesem Strudel die Religion einnimmt, welche Funktion ihr zugewiesen wird und ob auch die Religion sich wandelt und vielleicht sogar wandeln muss.
Der Herausgeber Mario Früh möchte vor allem das Verständnis für andere Kulturen und Traditionen stärken und wünscht sich eine neue religiöse Kultur, die das leistet. Die Ansätze der Autoren sind unterschiedlich. Michaela Schröder zum Beispiel beschreibt in ihrem Beitrag Religion als Medienphänomen und stellt die Frage, ob medial inszenierte Glaubensbekenntnisse überhaupt echt sind. Tim Schuster bezieht sich auf das berühmte Treffen zwischen dem Philosophen Habermas und dem damaligen Kardinal Ratzinger und sucht nach einer Verschmelzungsmöglichkeit zwischen linken und konservativen Positionen.
Stefan Seidel kritisiert, dass Religion Wellness-Charakter bekommen hat, dass die neuen Wallfahrtsorte des modernen Menschen die Shoppingcenter am Stadtrand sind, und folgt dann dem Projekt Weltethos des katholischen Theologen Hans Küng. Erfrischend ist der Beitrag von Elvira Hücklekemkes, die die Ebene der Interpretation verläßt und herzhaft untheoretisch eine Rückkehr zur Barmherzigkeit fordert. Insgesamt ist also auch das Buch ein Zeugnis für die Belebung des Religiösen.
Die meisten Beiträge nehmen Bezug auf den Islam. Allerdings geschieht das auf sehr scheue Weise. Die Autoren setzen auf Selbstbezichtigung, Umsicht, Beschwichtigung. Manche scheinen eine Waage im Kopf zu haben. Jede islamkritische Äußerung wird sofort durch eine christenkritische Äußerung vermeintlich kompensiert. In fast allen Beiträgen ist es dann etwas Kritisches gegen den Papst. Das kann schon mal absurde Züge annehmen. Michaela Schröder beschreibt, wie sich der muslimische Selbstmordattentäter medial inszeniert, und damit eigentlich mehr seine Individualität als seinen Glauben demonstriert. Und sie setzt nach: der Christ, der sich beim Weltjungendtag selbst fotografiere, mache eigentlich das Gleiche. Also: zwischen Mord und Fotografieren gibt es für sie kategorial keinen Unterschied. Das ist übrigens auch ein Merkmal des Buches: dass viele Autoren zwischendurch recht verschrobene Gedanken entwickeln.
Bei aller Papstfeindlichkeit: Die meisten Autoren vertreten just die These des Papstes, dass nicht der Islam, sondern der Individualimus, die Aufsplitterung in Einzelgruppen und Einzelwesen, die Beliebigkeit der Lebensentwürfe Anlass gibt, wieder nach einem großen Ganzen zu suchen, das heißt nach religio, Rückbindung. Im Zentrum der Kritik steht der Weltjugendtag. Der war in den Augen der Autoren ein Spektakel ohne Bedeutung. Überhaupt, die Konkurrenz zwischen den Konfessionen scheint zwischen den Zeilen immer wieder durch. Helge Nyncke beschreibt in seinem Aufsatz zwei Strategien der Welterfassung: die progressive und die regressive. Es gibt also die fortschrittlichen, toleranten Visionäre, zu denen er sich selbst wahrscheinlich auch zählt, und dann die autoritären, irgendwie verkrusteten, rückwärtsgewandten Gläubigen. Man sieht, das dichotome Denken, das im Christentum ja typisch ist, setzt sich auch hier, bei den vermeintlich so Toleranten durch.
Fast jeder Autor empört sich in seinem Aufsatz über George W. Bush, seinen Fundamentalismus und den Irakkrieg. Und es fällt auf, dass an den Stellen, wo es um politische Bekenntnisse geht, das Reflektionsniveau absinkt. Das ist oft schade, weil einige Aufsätze tatsächlich spannend sind. So erfährt der Leser nichts über christlichen Fundamentalismus in den USA, welche Tradition der hat, aus welchen Quellen der sich speist, wie der sich entwickelt etc., sondern nur, dass der irgendwie böse ist. Die Autoren verfallen also hin und wieder in einer gutmenschenhafte Deklamationsethik. Das ist zuweilen ärgerlich.
Herbert Glossner zum Beispiel behauptet, dass die jüdische Orthodoxie in Israel aufgrund ihrer wörtlichen Schriftauslegung "ein friedliches Miteinander der Abrahamsabkömmlinge Israel und Ismael" blockieren würde. Und das ist schlichtweg falsch. Die orthodoxen Juden in Israel sind mit Entschiedenheit politisch abstinent, nehmen keine Waffe in die Hand und weigern sich, in die israelische Armee zu gehen. Diese unreflektierten Klischees, antizionistisch, antikatholisch, antiamerikanisch, gerade von Menschen formuliert, die nach ihrem Selbstverständnis tolerant, aufgeklärt und dialogfähig sind, schaden dem Buch.
Lesenswert ist es dennoch - weil es eine Einführung in einen neuen christlichen Dogmatismus darstellt, der sich vor allem durch Weltfremdheit und gutes Gewissen auszeichnet. Die politischen Meinungen, die hier vertreten werden – die vielleicht richtig sein können, vielleicht aber auch falsch, das lässt sich anhand des Buches nicht klären, weil an den entsprechenden Stellen die Fakten fehlen – haben Konfessionscharakter und werden gebetsmühlenartig wiederholt; ein politischer Rosenkranz. Fast erscheint Gott hier als Unterkategorie des Politischen. Insofern ist das Buch tatsächlich auch ein Dokument für die Rückkehr des Religiösen, die es ja zu untersuchen vorgibt. Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Viele der Beiträge sind originell, streckenweise klug und anregend, und gerade die jüngeren Autoren machen neugierig auf mehr.
Rezensiert von Annegret Kunkel
Mario Früh (Hrsg.): Glaube, Liebe, Hoffnung. Religion und Spiritualität in unserer Gesellschaft. Edition Büchergilde, 240 Seiten, 19,90 Euro