"Ein Papst zum Anfassen"

Moderation: Philipp Gessler · 27.07.2013
Zwei Dinge werden von diesem Weltjugendtag in Brasilien bleiben, sagt der Südamerika-Korrespondent Julio Segador: Ein Papst Franziskus, der die Nähe zu den Gläubigen sucht und ein Papst, der Dinge anspricht, die die Menschen wirklich beschäftigen.
Philipp Gessler: Ach, ganz ehrlich, es ist zurzeit nicht schlecht, Katholik zu sein. Nach Jahren, in denen man oft verärgert oder peinlich berührt nach Rom blickte, sind die Blicke dorthin zurzeit eher ermunternd: Der neue Papst Franziskus will ganz offensichtlich aufräumen in der Kurie, seine Option für die Armen scheint glaubhaft, weil er sie, in seinem Rahmen, selbst lebt. Auch deshalb fasziniert der neue Papst vom Ende der Welt, wie er am Abend seiner Wahl am 13. März sagte, so viele Menschen.

Und derzeit wird er in Brasilien sogar bejubelt. Von Hunderttausenden junger Menschen, die ihren Glauben beim Weltjugendtag feiern. Nun wurde selbst der eher dröge Papst Benedikt XVI. bei solchen Gelegenheiten anfangs mit Jubel bedacht.

Bei diesem neuen Papst aber, der auf eine Wohnung im päpstlichen Palast des Vatikans verzichtet und in einem einfachen Fiat chauffiert wird, wirkt sie echt, diese Begeisterung, die wir derzeit erleben.

Mit dem Hörfunkkorrespondenten der ARD für Lateinamerika, Julio Segador, habe ich vor der Sendung über seine Eindrücke vom Weltjugendtag und diesem besonderen Pontifex maximus geredet. Meine erste Frage an ihn war, ob der neue Papst, der in seinem Heimatkontinent aufzublühen scheint, auch die jungen Menschen erreicht. Oder würden die jeden anderen Papst ebenfalls so bejubeln?

Julio Segador: Ich denke, er erreicht die jungen Menschen auf jeden Fall. Wenn man sich die Bilder hier angeguckt hat in den letzten Tagen, da muss man ganz ehrlich sagen, er erreicht die Menschen. Das war ein Heimspiel, das war im Grunde ein Triumphzug, er ist im Papamobil die gesamte Copacabana vier Kilometer entlanggefahren, Hunderttausende säumten da die Straßen und auch den Strand bei dem Eröffnungstermin, wo er zum ersten Mal auch gesprochen hat zu den Jugendlichen. Und er ist wirklich wie ein Popstar aufgenommen worden.

Und ich glaube nicht, dass andere Päpste, die jetzt nicht aus Südamerika gewesen wären, genauso aufgenommen worden wären. Das spürt man schon, das ist ein Heimspiel, die Südamerikaner sind richtig stolz, dass einer aus ihrem Kontinent jetzt der katholischen Kirche vorsteht. Das lassen sie Franziskus auch spüren.

Gessler: Der neue Papst sucht ja auffällig die Nähe, auch die körperliche Nähe der Menschen. Wie erleben Sie da die Schweizer Garde, also die Sicherheitsleute des Papstes? Die kommen doch da ganz schön ins Schwitzen, oder?

Segador: Die kommen zum einen ganz schön ins Schwitzen, weil sie immer neben diesem Wagen auch herlaufen müssen, und die haben auch mächtig Sorgenfalten auf der Stirn. Denn was Franziskus hier auch zeigt, das ist wirklich sehr, sehr ungewöhnlich, das hat man so von einem Papst sicher noch nicht gesehen.

Das begann ja im Grunde schon an dem Tag, am Montag, als er hier in Rio ankam, wo er vom Flughafen aus in einem Kleinwagen, also nicht in einem besonders gepanzerten Wagen, sondern in einem schlichten italienischen Kleinwagen, einem Fiat die Straßen entlangfuhr. Dann hat sich der Fahrer ja noch verfahren, und die Menschen, die sind richtig zu ihm hin, er saß auf dem Rücksitz, die haben ihm Dinge gegeben, sie haben ihm die Hand geschüttelt.

Ein Papst richtig zum Anfassen und die Sicherheitsleute, die hatten es da sicherlich nicht einfach. Inzwischen haben die Organisatoren auch ein bisschen reagiert, die Absperrungen sind jetzt besser, er hat es richtig genossen auch, die Menschen zu berühren, wirklich mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Also, er hat da überhaupt keine Berührungsängste und es ist ein Papst zum Anfassen. Und damit müssen seine Sicherheitsleute einfach leben.

Gessler: Könnte denn diese gesuchte Nähe des Papstes für ihn längerfristig auch zu einer Gefahr werden?

Segador: Ja, ich frage mich immer, dieser Papst, der so sympathisch auch rüberkommt, wer will dem etwas Böses. Aber völlig klar, es gibt immer Verrückte, die rumlaufen, Attentäter, und einen 100-prozentigen Schutz gibt es nie. Aber ich glaube, der kommt so gut rüber, dass er eigentlich von allen sehr, sehr positiv aufgenommen wird. Und die Sicherheitsleute und auch im Vatikan selber, da muss man sicherlich noch überlegen, wie man damit umgeht, aber ich glaube, das lässt er sich auch nicht nehmen, diese Nähe, dass er sich immer wieder auch Kinder geben lässt, diese Kinder segnet, dass er die Hände schütteln will, dass er auf Kranke, auf Behinderte auch zugeht und die segnet.

Das ist einfach, dieser Franziskus, das ist ihm wichtig. Und es gab eine Situation auch in der Kathedrale von Rio de Janeiro, als er mit seinen Argentiniern zusammengetroffen ist. Da hat er in einem Nebensatz so eher beiläufig gesagt, weil es waren 5000 in der Kathedrale und fast 30.000 außen, und da hat er eher so beiläufig gesagt, es tut ihm eigentlich leid, dass diese Menschen jetzt so quasi, auch wenn es eine Kirche ist, eingesperrt sind. Und er meinte dann, ich fühle mich auch manchmal ein wenig eingesperrt.

Also, ich glaube, er hätte noch viel lieber und viel mehr diesen Kontakt mit den Menschen, diesen intensiven Kontakt. Also, das wird man ihm sicherlich nicht nehmen.

Gessler: Der neue Papst, Sie haben das ja angedeutet, steht für einen neuen, demutsvollen, bescheideneren, ja tendenziell armen Stil, im Rahmen, den er sich da leisten kann. Kommt das bei den jungen Leuten an, gerade in Brasilien, wo ja gerade die Armut noch sehr krass ist?

Segador: Auf jeden Fall, hier in Brasilien, Sie sagen es, ist die Armut sehr, sehr hoch. Es gibt sehr, sehr große soziale Unterschiede, die sozialen Disparitäten sind enorm. Sie haben sehr, sehr viele reiche Menschen, Sie haben aber auch sehr, sehr viel Armut und man sieht diese Armut auch wirklich. Auch wenn der Papst jetzt mit seinem Papamobil da durch die Straßen fährt, das sieht er und das kennt er natürlich als Südamerikaner sehr, sehr gut auch von anderen Ländern auf diesem Kontinent.

Und da kommt es natürlich bei den Menschen schon an, wenn sich einer auch auf diese Ebene begibt. Zum Beispiel dieser Besuch in der Favela, das haben die Leute wirklich honoriert. Und es gab ja sehr, sehr viele Stimmen von anderen, aus anderen Favelas, wo auch gesagt wurde, Mensch, warum besucht er nicht unsere Favela, warum geht er in die Varginha. Er kann natürlich nur eine Favela besuchen und er hat es auch sehr, sehr deutlich ausgedrückt, er hat gesagt, ich würde gern in andere Favelas auch gehen, anklopfen an die Türen, mit den Menschen ein Glas Wasser trinken, das geht eben nicht. Das wird honoriert, das kommt ganz, ganz gut an und das macht auch sicherlich die Popularität von Franziskus aus.

Gessler: Haben Sie denn den Eindruck, dass die katholische Kirche mit diesem Besuch des Papstes gegenüber dem immer noch boomenden evangelikalen Gemeinschaften in Lateinamerika wieder in die Offensive kommen könnte?

Segador: Das ist eine ganz, ganz schwere Frage. Es ist auf jeden Fall so, dass es ein Versuch ist. Und wenn man sich die Gottesdienste, die es bisher hier gab, in diesen Tagen angeguckt hat, dann muss man ganz deutlich sagen, das ist nicht vergleichbar mit europäischen Gottesdiensten und da geht man innerhalb der katholischen Kirche so einen Schritt zumindest auf die Evangelikalen zu. Zum einen, wie die Gottesdienste gestaltet werden, fast schon mit Gospelmusik, da wird viel getanzt, Popmusik.

Das kennt man aus Europa gar nicht, das haben im Übrigen auch sehr, sehr viele Pilger auch Deutschland bestätigt, die gesagt haben, Mensch, das sind ja Gottesdienste, die wir so aus Deutschland nicht kennen, aber das gefällt uns. Das ist sicherlich ein Versuch, dass man eben, ja, flottere Gottesdienste bietet, dass sich der Katholizismus, die katholische Kirche auch flotter, moderner zeigt. Und es ist zumindest ein Versuch.

Aber sie hat es nicht einfach, weil die Zahlen zuletzt waren so, dass die katholische Kirche in Brasilien Mitglieder verloren hat und die Evangelikalen zwar nicht mehr so stark dazugewinnen, aber die Zahlen gehen noch ganz, ganz leicht nach oben.

Gessler: Der einst von Joseph Ratzinger, also dem späteren Papst Benedikt XVI., scharf gemaßregelte Befreiungstheologe Leonardo Boff hat sich ja jetzt schon sehr positiv zum neuen Papst Franziskus geäußert. Spricht Boff da den übrig gebliebenen Befreiungstheologen mehrheitlich aus der Seele?

Segador: Auf jeden Fall. Und diese Befreiungstheologen, die haben sich ja im Grunde schon nach der Papstwahl sehr, sehr positiv geäußert. Sie kennen natürlich Franziskus, den ehemaligen Kardinal von Buenos Aires Jorge Bergoglio, sie kennen ihn sehr, sehr gut. Er ist zwar kein Befreiungstheologe, aber er teilt natürlich im Grunde die Forderungen der Befreiungstheologen, auch wenn er nie jetzt die politische Ideologie hat, die ja ein Teil der Befreiungstheologen, vor allem den Teil, der natürlich dann bei der katholischen Kirche Schwierigkeiten bekam, dass er diesen Marxismus, der von vielen ja auch praktiziert wurde, von vielen vor allem mittelamerikanischen Bischöfen, dass er da eigentlich wenig übrig hatte.

Aber die Themen, dass man die soziale Ungerechtigkeit, die in Lateinamerika natürlich sehr, sehr hoch ausgeprägt ist, sehr, sehr stark ausgeprägt ist, dass man die bekämpft, dass man die Armut bekämpft, das sind Themen der Befreiungstheologen und das sind die grundlegenden Themen eines Papst Franziskus. Insofern ist da sicherlich eine ganz, ganz große Nähe und Sympathie da.

Gessler: Haben Sie denn den Eindruck, dass diese innerkirchlichen Forderungen vieler Katholiken hier in Europa, also zum Beispiel Ende des Zwangszölibats für Priester oder ein Priestertum für Frauen, dass die in Lateinamerika eine ebenso große Rolle spielen wir hier in Europa?

Segador: Die spielen hier fast überhaupt keine Rolle, diese Themen, weil hier wirklich eher sehr handfeste Themen, wie ich eben genannt habe, soziale Ungerechtigkeiten, Armut, Korruption, der Kampf gegen die Drogen, dass man auf die Menschen, die am Boden liegen sozusagen, dass man die annimmt, solche Themen stehen hier im Vordergrund.

Für die Intrigenspiele, die es da im Vatikan geben mag oder nicht geben mag, ich kann das nicht so genau beurteilen, für die hat man hier sehr, sehr wenig Verständnis, für diese innerkirchlichen Diskussionen. Hier geht es um andere Themen, die eigentlich im Grunde aber wichtiger sind.

Gessler: Wenn jetzt der Weltjugendtag am Sonntag zu Ende geht, was, glauben Sie, wird am Ende davon übrig bleiben?

Segador: Auf jeden Fall, dass wir einen Papst gesehen haben, der sehr, sehr nahbar ist, der wirklich für die Menschen da ist, der sich zu den Menschen begibt, der im Grunde viel mehr Zeit auch mit den Menschen verbringen würde. Es gab ja zwischen all diesen Terminen in der Favela Termine, die ihm wichtig sind, wo er mit diesen Menschen auch zusammentrifft, deren Forderungen er auch weitertragen will. Da fühlt er sich wohl. Und es gab dann einen politischen Termin, auch mit dem Bürgermeister der Stadt, wo er dann die olympische Flagge gesegnet hat, da hat er sich gar nicht so wohlgefühlt.

Es sind die Themen, wo er an den Menschen ganz nah dran ist, die ihm wichtig sind, das wird bleiben, ein Papst, der sehr, sehr nahbar ist. Und dann natürlich auch ein Papst, der versucht, die Kirche dorthin zu bringen, dass sie die Dinge anspricht, die ihm wichtig sind, die seiner Meinung nach wichtig sein sollten für die gesamte katholische Kirche, nämlich dass eben die sozialen Probleme angesprochen werden.

Dass Themen wie Armut oder Drogenabhängigkeit, wenn Menschen wirklich am Boden liegen, dass solche Dinge eine größere Rolle spielen als irgendwelche Ränkespiele im Vatikan. Dafür hat er nicht so viel übrig.

Aber ... Er wird auch hier, glaube ich, seine Zeichen setzen, aber das sind so die beiden Dinge, die sicherlich von diesem Weltjugendtag bleiben werden, ein Papst, der sehr, sehr nahbar ist, und ein Papst, der die Dinge anspricht, die die Menschen wirklich beschäftigen.


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