Ein packender Leserstoff
In diesem Jahr jährt sich zum 700. Mal der Geburtstag des italienischen Schriftstellers Giovanni Boccaccio. Für das deutschsprachige Publikum liegt jetzt "Das Decameron" in neuer Form vor - die oft verbotenen und frivolen Geschichten, die Boccaccio um 1350 in seiner Novellensammlung niederschrieb.
1348 brach eine gewaltige Katastrophe über Italien herein: die Pest. Unaufhaltsam verbreitete sie sich bis nach Skandinavien und auf die britischen Inseln, dezimierte die europäische Bevölkerung um ein Drittel. Ganze Dörfer wurden entvölkert und in den Städten kam das soziale Gefüge ins Wanken. Eine der eindrucksvollsten Schilderungen dieser Schrecknisse liefert Giovanni Boccaccio, dessen Geburtstag sich 2013 zum siebenhundertsten Male jährt.
Da er als uneheliches Kind seines Vaters in oder bei Florenz das Licht der Welt erblickte, ist sein genaues Geburtsdatum nicht bekannt, wohl aber das literarische Monument, in dem er die Folgen des Schwarzen Todes, den nur jeder fünfte Bürger seiner Heimatstadt überlebte, verewigte: "Das Decameron".
Zehn junge Florentiner - sieben Frauen und drei Männer - begegnen sich in einer Kirche und beschließen, dem Chaos der Stadt zu entfliehen. Sie finden sich in einer idyllischen Gegenwelt, einem paradiesischen Landhaus zusammen, wo sie ihren Tagesablauf genau regeln. Der wichtigste Zeitvertreib an Wochentagen - Samstag und Sonntag sind der inneren Einkehr und der Hinwendung zu Gott gewidmet - besteht darin, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen, wobei zehn Tage lang jeder der Zehn täglich zu Wort kommt. Diese insgesamt einhundert Novellen machen, in die Rahmenhandlung eingefügt, den wesentlichen Teil des Opus aus. Und mit diesen Geschichten beginnt das moderne Erzählen in der europäischen Literatur.
Die überwiegend kurzen Novellen sind mal lustig, mal spannend oder auch tragisch, vor allem aber bis heute ein packender Leserstoff, der nun in einer vollständigen, neuen Übersetzung von Peter Brockmeier vorliegt - die bislang erhältliche von Albert Wesselski stammt aus dem Jahre 1912. Für all diejenigen, die es genau wissen möchten, hat Brockmeier ein umfassendes Nachwort und einen exzellenten Kommentar angefügt.
Notwendig für das Verständnis sind sie aber nicht, denn Boccaccio, zwar ein früher Humanist, der das gesamte mythologische Wissen seiner Zeit in seiner monumentalen "Genealogia deorum gentilium" zusammenfasste, ist in seinen Novellen unglaublich modern, nicht nur durch seinen prägnanten Stil, sondern durch die Art und Weise, wie die Figuren, Männer und Frauen, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Sie lassen sich nicht mehr primär von christlichen Moralvorstellungen leiten, sondern reagieren geistesgegenwärtig auf die jeweilige, oftmals brenzlige Situation, in der sie sich befinden.
Eines der bekanntesten Beispiele ist vermutlich die kluge Antwort eines Juden auf die Frage, welches wohl die rechte Religion sei, die Lessing in der Ringparabel aufgegriffen hat - um nur eines der vielen Beispiele der literarischen Nachwirkung des "Decameron" zu nennen.
Vielzitiert und oftmals in Auswahlausgaben zusammengefasst sind die "erotischen" Novellen der Sammlung, die aber viel mehr zu bieten hat und nun, zum 700. Geburtstag des Autors, für das deutschsprachige Publikum in einer ansprechenden, aktuellen Form neu vorliegt.
Besprochen von Carolin Fischer
Giovanni Boccaccio: Das Decameron
Aus dem Italienischen übersetzt und kommentiert von Peter Brockmeier
Reclam, Stuttgart 2012
1096 Seiten, 29,95 Euro
Da er als uneheliches Kind seines Vaters in oder bei Florenz das Licht der Welt erblickte, ist sein genaues Geburtsdatum nicht bekannt, wohl aber das literarische Monument, in dem er die Folgen des Schwarzen Todes, den nur jeder fünfte Bürger seiner Heimatstadt überlebte, verewigte: "Das Decameron".
Zehn junge Florentiner - sieben Frauen und drei Männer - begegnen sich in einer Kirche und beschließen, dem Chaos der Stadt zu entfliehen. Sie finden sich in einer idyllischen Gegenwelt, einem paradiesischen Landhaus zusammen, wo sie ihren Tagesablauf genau regeln. Der wichtigste Zeitvertreib an Wochentagen - Samstag und Sonntag sind der inneren Einkehr und der Hinwendung zu Gott gewidmet - besteht darin, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen, wobei zehn Tage lang jeder der Zehn täglich zu Wort kommt. Diese insgesamt einhundert Novellen machen, in die Rahmenhandlung eingefügt, den wesentlichen Teil des Opus aus. Und mit diesen Geschichten beginnt das moderne Erzählen in der europäischen Literatur.
Die überwiegend kurzen Novellen sind mal lustig, mal spannend oder auch tragisch, vor allem aber bis heute ein packender Leserstoff, der nun in einer vollständigen, neuen Übersetzung von Peter Brockmeier vorliegt - die bislang erhältliche von Albert Wesselski stammt aus dem Jahre 1912. Für all diejenigen, die es genau wissen möchten, hat Brockmeier ein umfassendes Nachwort und einen exzellenten Kommentar angefügt.
Notwendig für das Verständnis sind sie aber nicht, denn Boccaccio, zwar ein früher Humanist, der das gesamte mythologische Wissen seiner Zeit in seiner monumentalen "Genealogia deorum gentilium" zusammenfasste, ist in seinen Novellen unglaublich modern, nicht nur durch seinen prägnanten Stil, sondern durch die Art und Weise, wie die Figuren, Männer und Frauen, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Sie lassen sich nicht mehr primär von christlichen Moralvorstellungen leiten, sondern reagieren geistesgegenwärtig auf die jeweilige, oftmals brenzlige Situation, in der sie sich befinden.
Eines der bekanntesten Beispiele ist vermutlich die kluge Antwort eines Juden auf die Frage, welches wohl die rechte Religion sei, die Lessing in der Ringparabel aufgegriffen hat - um nur eines der vielen Beispiele der literarischen Nachwirkung des "Decameron" zu nennen.
Vielzitiert und oftmals in Auswahlausgaben zusammengefasst sind die "erotischen" Novellen der Sammlung, die aber viel mehr zu bieten hat und nun, zum 700. Geburtstag des Autors, für das deutschsprachige Publikum in einer ansprechenden, aktuellen Form neu vorliegt.
Besprochen von Carolin Fischer
Giovanni Boccaccio: Das Decameron
Aus dem Italienischen übersetzt und kommentiert von Peter Brockmeier
Reclam, Stuttgart 2012
1096 Seiten, 29,95 Euro