Ein neues Standardwerk

Am 14. März 1933 wurde Joseph Goebbels zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ernannt – mit gerade 35 Jahren, wie er in seinem Tagebuch bemerkte. Wie kein anderer aus der Führungsriege der NSDAP bestimmte der erfolglose Schriftsteller vom Niederrhein fortan die öffentliche Inszenierung und Selbstdarstellung des braunen Terror-Regimes.
Aus der Sicht des Historikers und NS-Forschers Peter Longerich erhielt Goebbels diese zentrale Position nicht zuletzt deshalb, weil er Hitler in einer besonderen Weise erlegen war. Goebbels verehrte den Führer der Nazi-Partei aufgrund einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, urteilt Longerich in seiner umfangreichen und vielschichtigen Biografie. Und er zeigt, wie Hitler seinen ergebenen Diener wiederum auf geschickte Weise an sich band: durch die arrangierte Hochzeit mit Magda Quandt, einer Frau, die er wohl selbst begehrte, dann aber an den späteren Chef-Propagandisten abtrat.

Zum Glück erschöpft sich Peter Longerichs Goebbels-Biografie nicht in solchen psychologischen und erotischen Erkundungen. Diese sind eher schmückendes, originelles Beiwerk in einer genauen und präzise erzählten politischen Lebensgeschichte. Longerich stützt sich bei seiner Analyse nicht nur auf das über zwei Jahrzehnte lang akribisch geführte Tagebuch von Goebbels. Er legt seiner Darstellung einen breiten Materialfundus zugrunde, verwendet zahlreiche Akten wie die Protokolle der täglichen Dienstbesprechungen im Reichspropagandaministerium, zeitgenössische Medienberichte und Dokumente aus verschiedenen Dienststellen der NSDAP. Insgesamt ist dabei eine sehr breite quellennahe Darstellung entstanden.

Der Wert dieser detailreichen Lebensgeschichte liegt vor allem in den Perspektiven, mit denen Peter Longerich auf Leben und Wirken von Goebbels blickt. Der in London lehrende Historiker untersucht, ob der Propagandaminister tatsächlich so omnipräsent und umfassend die öffentliche Inszenierung des "Dritten Reiches" bestimmte, wie er das stets gerne behauptete – und ob das Bild vom medial brillanten Verführer der Deutschen damit eher ein Mythos ist. Und genau das war es auch: eine Wunschvorstellung, keine Realität.

Außerdem sucht Longerich nach Indizien für ein festes ideologisches Weltbild von Goebbels – und findet sie nicht. Schließlich überlegt er, ob die Position des Ministers in den verschiedenen Machtbereichen des NS-Staates wirklich unangefochten war – oder ob diese durch den Widerstreit unterschiedlicher Funktionseliten in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Diese kritischen Reflexionen verbindet Peter Longerich mit einer Synthese verschiedener neuerer Forschungen. Seine auch stilistisch überzeugende Goebbels-Biografie ist ein neues Standardwerk. Wer sich mit der Figur des Hitler-treuen Propagandaministers beschäftigt, muss diese neue Biografie zur Kenntnis nehmen.

Besprochen von Niels Beintker

Peter Longerich: Goebbels. Eine Biografie
Siedler Verlag, München 2010
910 Seiten, 39,99 Euro