Ein neuer Küchen-Star auf Sylt

Von Paul Stänner · 05.04.2011
Austernvelouté auf Rote Beeteflan mit Paspiaalgen: Mit seiner Kochkunst ist der erst 33 Jahre alte Sebastian Zier zum Gastro-Liebling auf Sylt avanciert. Kenner feiern ihn als kulinarischen Aufsteiger des Jahres.
"Sylt ist optisch wahnsinnig schön und wenn man am Strand entlang läuft und keinen Menschen trifft, sondern wirklich die Natur auf sich wirken lässt, kann man hier die Seele baumeln lassen und das Leben genießen."

Er kann das nun gerade nicht – die Seele baumeln lassen. Im November 2010 wurde Sebastian Zier mit einem der begehrten Michelin-Sterne ausgezeichnet, der Restaurantführer Gault Millau feierte ihn als die "Entdeckung des Jahres" und in der Zeitschrift "Der Feinschmecker" wählten ihn die Leser zum "Aufsteiger der Jahres". Dazu gab es noch etliche Hauben und Diamanten. Der jungenhaft wirkende Sebastian Zier war plötzlich ein Star auf Sylt, das an berühmten Köchen auch sonst keinen Mangel hat. Die Kollegen reagierten sportlich.

"Sehr, sehr toll, der Herr King hat sofort angerufen, der Herr Pape hat sich gleich gemeldet, der Herr Bodendorf hat auch gratuliert und der Müller war zu Aufsteigerparty mit seiner Frau hier – und ich habe von Anfang an das Gefühl gehabt, ich war akzeptiert und als dann die Auszeichnung kam, hatte ich das Gefühl, es wird mit gegönnt oder meinem Team wird's gegönnt und das ist sehr schön."

Bankkaufmann war die erste Berufswahl für den gebürtigen Furtwangener. Doch dann fanden die Eltern, der Junge sollte besser auf die Hotelfachschule. Danach dachten sie, vorher wäre vielleicht eine Kochausbildung ganz hilfreich und anschließend erst die Fachschule.

"Gut, dann habe ich mit etwas Widerwillen eine Kochlehre begonnen, ich wollt eigentlich nicht in die Küche, lange Arbeitszeiten, Fett, es stinkt – also ich war eigentlich nicht begeistert. Die Kochlehre hab ich im 'Engel' in Vöhrenbach gemacht und hab einen Chef gehabt, der hat mich vom Kochen begeistert, mich die Liebe zu Produkten gelehrt, mich einfach total von dem Beruf Koch überzeugt. Und da wollte ich schon gar nicht mehr zur Hotelfachschule."

Nach der Ausbildung geht ein Koch auf Wanderschaft. Wenn es klappt, dann dorthin, wo man sein Handwerk und seine Kunst verfeinern kann. Harald Wohlfahrt in Baiersbronn ist so ein Mann. Bis heute haben die Köche, die bei ihm gelernt haben, schon 44 Michelin-Sterne erkocht.

"Beim Herrn Wohlfahrt hat man normalerweise ein bis zwei Jahre Wartezeit, und wenn man Glück hat, ergattert man einen Platz in der Truppe. Und bei mir war es relativ ein Glücksfall, muss man sagen, ich habe angerufen und nachgefragt und am Abend davor hatte jemand in der Patisserie die Schürze ausgezogen und gesagt, hier arbeite ich keinen Tag länger und mein Anruf kam am nächsten Tag oder am selben Tag und Herr Wohlfahrt hat gesagt, wenn sie morgen früh um neun Uhr da sind, dann haben sie einen Arbeitsplatz. Dann bin ich 300 Kilometer von Stuttgart nach Hause gefahren, von Stuttgart dann noch mal in den Schwarzwald gefahren, und morgens um neun war ich mit Kochjacke und Schürze in der Küche und dann ging's los!"

Der ehrgeizige Sebastian Zier mit dem Glück des Tüchtigen blieb in der feinen Küche, wo für wenige Gäste raffinierte Speisen zubereitet werden, wo man allerdings auch dauernd unter dem Druck steht, sich etwas einfallen zu lassen, das so noch keiner gekocht hat.

"Hier kochen wir jetzt eine Austernvelouté, sehr passend zu der Insel. Die Austern kommen von ungefähr 200 Meter entfernt, das ist der einzige Austernzüchter in Deutschland, der züchtet die Sylter Royal-Austern und das ist natürlich sehr schön, wenn man ein regionales Produkt verarbeiten kann. Und das gibt es bei uns als Austernvelouté auf einem Rote Beeteflan mit Paspiaalgen und einer frittierten Auster im Tempurateig. Sehr schönes Gericht."

Die Velouté (was auf deutsch sehr verführerisch Samtsoße heißt und ein Fond mit einer Mehlschwitze ist) – köchelt in einem großen Topf. Jacobsmuscheln werden mit fein gehacktem Tintenfischfleisch gefüllt – diese Küche erscheint nur möglich im Zeitalter der mikroinvasiven Chirurgie. Ein Fachblatt hat Sebastian Zier zu den so genannten "Wilden Köchen" gezählt, die hemmungslos die Kochkulturen dieser Welt miteinander verbinden. So ganz glücklich ist Zier mit diesem Etikett nicht.

"Ich habe eine Basis, die eigentlich ganz klassisch französisch ist, von den Soßen her, vom Handwerklichen her. Aber ich lasse mich weder beruflich noch privat in eine Schablone pressen. Ich mache einfach, was mir gefällt und das ist beim Kochen auch so. Wenn es was Tolles gibt, asiatisch, warum soll ich es nicht in meine Küche einfließen lassen?"

Kurze, rotblonde Haare, kräftige Hände, eine schlanke Figur - man sieht Sebastian Zier an, dass er – wie er es formuliert – früher sehr sportfanatisch war. Dazu fehlt ihm jetzt die Zeit und natürlich – so eine Insel kann nicht alles bieten.

"Der Freundeskreis verändert sich, Freunde, die man jahrelang gehabt hat - einfach wenn man weg ist und die anderen Arbeitzeiten hat - dann läuft das sehr oft auseinander. Von den ganz alten Freunde sind noch zwei übrig, die werden auch noch in 30 Jahren vorhanden sein, und alles andere hat sich mehr in die Gastronomie verlegt, Freundeskreis, Privatleben, alles spielt sich ganz, ganz anders ab."

Und so ist nicht verwunderlich, dass Sebastian Ziers Freundin im selben Haus arbeitet wie er selbst, nur ein Lokal weiter. Zier ist gerade einmal 33 Jahre alt. Er wurde überschüttet mit Auszeichnungen und Preisen, auf die andere lange warten müssen, wenn sie denn überhaupt kommen. Eigentlich sollte ihm das Angst machen.

"Nein, Angst macht mir das keine. Natürlich bin ich mir bewusst, jetzt haben wir die Auszeichnung und daran werden wir gemessen, aber ich bin eh ein Typ, der sich nicht zurücklehnt, sondern sagt: Jetzt erst recht! Und ich denke, da geht noch was weiter."