Ein Netz von Geschichten

Der Erstling des Amerikaners Salvador Plascencia ist ein in mehr als einer Hinsicht tollkühnes Buch. Zwar steht Roman drauf, aber was drinsteht, ist kein Roman, sondern ein Netz von Geschichten.
Es ist bevölkert von Menschen, die sich dagegen wehren, zu Romanfiguren zu werden. Es hat keinen Erzähler, sondern einen allwissenden Planeten. Es widerspricht sich andauernd selbst. Es fabuliert in nonchalanter Missachtung der Logik und seine Seiten sind typografisch in einer Weise gestaltet, dass man sicher sein kann: Dieses Buch wird niemals verfilmt werden.

Salvador Plascencia ist also kein Romancier, sondern ein Grenzgänger, und das nicht nur literarisch: Geboren ist er 1976 in Jalisco, im Westen von Mexiko. Als Kind kam er mit seiner Familie in die USA und wuchs in der Nähe von Hollywood auf, ging später aufs College und zog nach Osten, ins kalte New York.

Sein Roman, der keiner ist, reflektiert diese Lebensgeschichte in Anspielungen, in einzelnen Szenen und vor allem in den sehr sinnlichen Eindrücken einer mexikanischen Kindheit. Er reflektiert auch die Entstehungsgeschichte dieses Buches und die autobiografischen Hintergründe beim Schreiben. Aber er tut es spielerisch und hochemotional, kreisend um die Themen, die die lesende Menschheit immer und zu allen Zeiten am meisten interessiert haben: die Liebe und den Kampf.

Letzterer ist ein Krieg von planetarischen Ausmaßen, den die Chicano-Blumenpflücker von El Monte (wo Plascencia aufwuchs) gegen den Planeten Saturn führen. Denn Saturn beobachtet sie andauernd von oben, und um sich dem zu entziehen, kämpfen sie mit Bleiplatten und mentalen Tricks, mit Feuer, Rauch und Schweigen gegen die lastende Macht über ihnen.

Saturn dagegen (der allwissende Erzähler Salvador Plascencia), muss alles aufbieten, um den Leuten, von denen er schreibt, ihre Geheimnisse zu entreißen, und darüber verliert er seine große Liebe. Unterstützt wird er in seinem Krieg mit den widerspenstigen Figuren von einem reichen Ehepaar aus New York, das allerdings darauf besteht, an jeder Stelle seines Auftauchens im Buch mit einer vertraglich vorformulierten Widmung honoriert zu werden.

Derartige Spielereien leistet sich Plascencia öfter. Sie sind witzig - und sie sind auch eine Methode, literarische Moderne und Postmoderne, den Einblick in schriftstellerische Arbeit und Selbstreflexion des Autors mit schillernder, alle Wirklichkeiten sprengender Fiktionalität zu verbinden. Metaphern werden dabei zu höchst unterhaltsamen Handlungselementen, wenn - zum Beispiel - geschildert wird, wie kompliziert sich die Liebe zu einer Origami-Frau aus Papier in der fleischlichen Praxis gestaltet.

Plascencia verquirlt die Lebensgeschichten mexikanischer Migranten mit deren Volksglauben, Traurigkeit und dem Hang, sich in Weiße zu verlieben, zu einer farbigen Mischung aus Melodram und fast schon parodistischen Varianten des magischen Realismus.

Dieses Buch ist eine wunderbare Zumutung für all die vielen Leser, die von den brav geradeaus erzählten Geschichten des literarischen Mainstreams genauso gelangweilt sind wie ich.

Besprochen von Katharina Döbler

Salvador Plascencia: Menschen aus Papier
Edition Nautilus / Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg 2009
288 Seiten, 19,90 Euro

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