Ein Nest für Boykotteure?
Der Theologe Hans-Jochen Tschiche spürt in seinem Buch dem merkwürdigen DDR-Gewächs der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalts nach, dessen Leiter er war. Ihre Arbeit kann als Ermunterung zum Eigensinn zusammengefasst werden. Tschiche muss immer wieder über sich schreiben und will doch keine Heldengeschichten erzählen.
Hans-Jochen Tschiche: "Ich stamme vom Dorf und habe Theologie studiert und bin dann in die Evangelische Akademie gegen den Willen der Evangelischen Kirche gefallen. Ich wollte nachweisen, was eine kleine Einrichtung gegen einen mächtigen Staat ausrichten kann und wie die Kirche sich dazu verhalten hat."
Tschiche stammte aus ländlichen Verhältnissen und wurde zuerst auch Dorfpfarrer. Erste politische Schwierigkeiten zuvor konnte er noch umgehen, in dem er in Westberlin studierte. Seine Ordination erfolgte 1958. Im abgelegenen Messdorf - heute Sachsen-Anhalt übernahm er 1960 die Stelle als Pfarrer, die er bis 1975 bekleidete und sorgte für viel politischen Ärger. Die Kirche erhoffte sich mehr Ruhe vor und weniger Ärger mit dem Staat, als sie Tschiche ab 1975 zunächst als Studienleiter an die Evangelische Akademie in Magdeburg berief. 1978 wurde er ihr Leiter.
Und der heutige Autor Hans-Jochen Tschiche spürt genau diesem merkwürdigen DDR-Gewächs nach: jener Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalts. Als Ermunterung zum Eigensinn kann deren Arbeit seit ihrer Gründung in den fünfziger Jahren zusammengefasst werden. Die Kirche wollte der dominierenden und von der DDR geförderten atheistischen Weltanschauung etwas entgegensetzen. Aber diese Akademie in Sachsen-Anhalt entwickelte sich speziell.
"Ich denke, bei den Akademien landeten tatsächlich Außenseiter, also Leute, die nicht so richtig reinpassten, die eigentlich aus dem Blick der Kirchenoberen eigentlich keine richtigen Pfarrer waren. Außerdem kam noch dazu, das die Leute, weil sie Kanten hatten, untereinander sich ziemlich rieben und oft auch schnitten."
Tschiche fasst in seinem Buch die verschiedenen Konfliktlinien zwischen Akademie und Staat in der DDR zusammen. Die Auseinandersetzungen mit der Staatssicherheit dürften am wenigsten erstaunen, deren Zersetzungsmaßnahmen und Methoden sind hinlänglich bekannt. Ihr Dauerdruck konnte aber nicht verhindern, dass die Akademien sich unter identischen DDR-Bedingungen unterschiedlich entwickelten.
"Also die Magdeburger Landeskirche war relativ großzügig. Also die Berliner waren ziemlich angepasst an die DDR und sie wollten immer die Funktionäre nicht verletzen. Die Leipziger oder Dresdner waren fromm und wollten die Kirche nicht verletzen."
Deshalb liest sich die zweite Konfliktlinie fast noch spannender: das Agieren der Kirchenoberen, um den zum Teil beträchtlichen Druck des Staates abzuwehren. Da berichtet Tschiche nach Aktenlektüre von mehr kirchlichem Schutz ihm gegenüber als dies die Kirchenleitung damals mitteilte. Hier stößt das Buch an eine Grenze: Tschiche muss immer wieder über sich schreiben und will doch keine Heldengeschichten erzählen. Das wirkt sympathisch, verkleinert aber die Konfliktsituation. Denn es gab nur wenige in der DDR, die ihren Staat so offensiv öffentlich kritisierten. Schon am 21.9.1968 – also kurz nach der Niederschlagung des Prager Frühlings – passierte Folgendes:
"Ich hatte in Stendal den Auftrag einen Vortrag zu halten über friedliche Koexistenz. Ich war so voller Zorn, dass ich gesagt habe: Beide Regime in Ost und West sind nicht in der Lage, eine friedliche Koexistenz herzustellen, man muss sie verändern. Auf die Frage 'wie': Von unten her die Systeme zersetzen. Daraufhin gab es natürlich Krach."
In den achtziger Jahren musste Tschiche wegen ungenehmigter Schriftstellerlesungen Strafen zahlen. Der Bestrafte weigerte sich – der Staat verzichtete auf die Zwangsvollstreckung. Keine andere Evangelische Akademie nutzte ihre Möglichkeiten so und machte Freiräume zu machtfreien Räumen. Sicher wäre das in Ost-Berlin oder Leipzig so nicht möglich gewesen, auch im DDR-Theater gab es ja immer wieder das Phänomen, heikle Inszenierungen nur an Provinzbühnen zuzulassen. Tschiche lud Referenten aus dem Westen nach Magdeburg, Stendal oder Darlingerode ein, zum Beispiel Manfred Rexin vom Westberliner Rundfunksender RIAS – von den DDR-Oberen gehasst, aber auch in Sachsen-Anhalt gern gehört. Die DDR ließ ihn einreisen.
Sehr erstaunlich lesen sich allerdings die Beschwerden von Gläubigen an die Kirchenleitung.
"Es gibt ja eine gewisse Frömmigkeitsstruktur, die man heute die Evangelikalen nennt. Die sind etwa zu vergleichen mit den amerikanischen Fundamentalisten. Denen gefiel die Ausrichtung der Evangelischen Kirche nicht. Es heißt in den Akten, es wäre wie eine Lehrstunde der Grünen aus dem Westen. Und dies sei doch eine irrationale Partei – und eine irrationale Partei in der deutschen Geschichte – nämlich die NSDAP - sei doch genug gewesen. Da bleibt einem natürlich der Atem weg."
Diese Konfliktlinie - der Druck prinzipientreuer Christen auf die Kirchenleitung, ihre Pfarrer oder Mitarbeiter in der Offenen Jugendarbeit – ist bisher wenig analysiert. Ungewollt standen die innerkirchlichen Kritiker an der Seite des Staates, der fromme, aber keine oppositionellen Christen wollte.
"Die Magdeburger Akademie wurde zu einem Mekka der Oppositionellen der DDR. Sie kamen aus Berlin oder von sonst woher, die gar nichts mit der Kirche zu tun hatten. Die Akademie war so was wie eine Startrampe für politisches Leben. Wir haben eine Reihe von Leuten, die in der Politik gelandet sind, ein Podium gegeben. Als die DDR verschied über Nacht, änderte sich plötzlich das alles."
So hielt es Tschiche schon während der Auflösung der DDR nicht mehr in der Kirche, er wechselte in die Politik. Ab März 1990 im Bundestag, dann im Landtag machte er als Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen Politik. Aber das ist nicht mehr Thema dieses Buches. Immerhin gehörten die Akademiemitarbeiter zu den wenigen DDR-Bürgern die außerhalb konspirativer Kreise demokratische Meinungsbildung schon einmal geübt hatten.
Hans-Jochen Tschiche: Boykottnest. Die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt im Visier der DDR-Staatsmacht,
Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale), 160 Seiten, 10,00 Euro
Tschiche stammte aus ländlichen Verhältnissen und wurde zuerst auch Dorfpfarrer. Erste politische Schwierigkeiten zuvor konnte er noch umgehen, in dem er in Westberlin studierte. Seine Ordination erfolgte 1958. Im abgelegenen Messdorf - heute Sachsen-Anhalt übernahm er 1960 die Stelle als Pfarrer, die er bis 1975 bekleidete und sorgte für viel politischen Ärger. Die Kirche erhoffte sich mehr Ruhe vor und weniger Ärger mit dem Staat, als sie Tschiche ab 1975 zunächst als Studienleiter an die Evangelische Akademie in Magdeburg berief. 1978 wurde er ihr Leiter.
Und der heutige Autor Hans-Jochen Tschiche spürt genau diesem merkwürdigen DDR-Gewächs nach: jener Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalts. Als Ermunterung zum Eigensinn kann deren Arbeit seit ihrer Gründung in den fünfziger Jahren zusammengefasst werden. Die Kirche wollte der dominierenden und von der DDR geförderten atheistischen Weltanschauung etwas entgegensetzen. Aber diese Akademie in Sachsen-Anhalt entwickelte sich speziell.
"Ich denke, bei den Akademien landeten tatsächlich Außenseiter, also Leute, die nicht so richtig reinpassten, die eigentlich aus dem Blick der Kirchenoberen eigentlich keine richtigen Pfarrer waren. Außerdem kam noch dazu, das die Leute, weil sie Kanten hatten, untereinander sich ziemlich rieben und oft auch schnitten."
Tschiche fasst in seinem Buch die verschiedenen Konfliktlinien zwischen Akademie und Staat in der DDR zusammen. Die Auseinandersetzungen mit der Staatssicherheit dürften am wenigsten erstaunen, deren Zersetzungsmaßnahmen und Methoden sind hinlänglich bekannt. Ihr Dauerdruck konnte aber nicht verhindern, dass die Akademien sich unter identischen DDR-Bedingungen unterschiedlich entwickelten.
"Also die Magdeburger Landeskirche war relativ großzügig. Also die Berliner waren ziemlich angepasst an die DDR und sie wollten immer die Funktionäre nicht verletzen. Die Leipziger oder Dresdner waren fromm und wollten die Kirche nicht verletzen."
Deshalb liest sich die zweite Konfliktlinie fast noch spannender: das Agieren der Kirchenoberen, um den zum Teil beträchtlichen Druck des Staates abzuwehren. Da berichtet Tschiche nach Aktenlektüre von mehr kirchlichem Schutz ihm gegenüber als dies die Kirchenleitung damals mitteilte. Hier stößt das Buch an eine Grenze: Tschiche muss immer wieder über sich schreiben und will doch keine Heldengeschichten erzählen. Das wirkt sympathisch, verkleinert aber die Konfliktsituation. Denn es gab nur wenige in der DDR, die ihren Staat so offensiv öffentlich kritisierten. Schon am 21.9.1968 – also kurz nach der Niederschlagung des Prager Frühlings – passierte Folgendes:
"Ich hatte in Stendal den Auftrag einen Vortrag zu halten über friedliche Koexistenz. Ich war so voller Zorn, dass ich gesagt habe: Beide Regime in Ost und West sind nicht in der Lage, eine friedliche Koexistenz herzustellen, man muss sie verändern. Auf die Frage 'wie': Von unten her die Systeme zersetzen. Daraufhin gab es natürlich Krach."
In den achtziger Jahren musste Tschiche wegen ungenehmigter Schriftstellerlesungen Strafen zahlen. Der Bestrafte weigerte sich – der Staat verzichtete auf die Zwangsvollstreckung. Keine andere Evangelische Akademie nutzte ihre Möglichkeiten so und machte Freiräume zu machtfreien Räumen. Sicher wäre das in Ost-Berlin oder Leipzig so nicht möglich gewesen, auch im DDR-Theater gab es ja immer wieder das Phänomen, heikle Inszenierungen nur an Provinzbühnen zuzulassen. Tschiche lud Referenten aus dem Westen nach Magdeburg, Stendal oder Darlingerode ein, zum Beispiel Manfred Rexin vom Westberliner Rundfunksender RIAS – von den DDR-Oberen gehasst, aber auch in Sachsen-Anhalt gern gehört. Die DDR ließ ihn einreisen.
Sehr erstaunlich lesen sich allerdings die Beschwerden von Gläubigen an die Kirchenleitung.
"Es gibt ja eine gewisse Frömmigkeitsstruktur, die man heute die Evangelikalen nennt. Die sind etwa zu vergleichen mit den amerikanischen Fundamentalisten. Denen gefiel die Ausrichtung der Evangelischen Kirche nicht. Es heißt in den Akten, es wäre wie eine Lehrstunde der Grünen aus dem Westen. Und dies sei doch eine irrationale Partei – und eine irrationale Partei in der deutschen Geschichte – nämlich die NSDAP - sei doch genug gewesen. Da bleibt einem natürlich der Atem weg."
Diese Konfliktlinie - der Druck prinzipientreuer Christen auf die Kirchenleitung, ihre Pfarrer oder Mitarbeiter in der Offenen Jugendarbeit – ist bisher wenig analysiert. Ungewollt standen die innerkirchlichen Kritiker an der Seite des Staates, der fromme, aber keine oppositionellen Christen wollte.
"Die Magdeburger Akademie wurde zu einem Mekka der Oppositionellen der DDR. Sie kamen aus Berlin oder von sonst woher, die gar nichts mit der Kirche zu tun hatten. Die Akademie war so was wie eine Startrampe für politisches Leben. Wir haben eine Reihe von Leuten, die in der Politik gelandet sind, ein Podium gegeben. Als die DDR verschied über Nacht, änderte sich plötzlich das alles."
So hielt es Tschiche schon während der Auflösung der DDR nicht mehr in der Kirche, er wechselte in die Politik. Ab März 1990 im Bundestag, dann im Landtag machte er als Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen Politik. Aber das ist nicht mehr Thema dieses Buches. Immerhin gehörten die Akademiemitarbeiter zu den wenigen DDR-Bürgern die außerhalb konspirativer Kreise demokratische Meinungsbildung schon einmal geübt hatten.
Hans-Jochen Tschiche: Boykottnest. Die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt im Visier der DDR-Staatsmacht,
Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale), 160 Seiten, 10,00 Euro