Ein mühsamer Weg zum Erfolg

Rezensiert von Michael Schornstheimer · 15.06.2006
Anlässlich des 150. Geburtstages von Sigmund Freud am 6. Mai sind eine Vielzahl von Büchern erschienen. Neuauflagen alter Werke und frisch verfasste Studien, Analysen und Biographien. Mit etwas Verspätung kommt die Freud-Biographie "Eine Wissenschaft des Träumens - Sigmund Freud und seine Zeit". Annette Meyhöfer erzählt darin unter anderem, dass Freuds Einstieg in das Berufsleben keineswegs nach einer großen wissenschaftlichen Karriere aussah.
"Zu gerne möchte man jene Worte, die Freud auf Goethe münzte, auf ihn selbst anwenden - dass, wer 'der unbestreitbare Liebling der Mutter' gewesen ist, 'fürs Leben jenes Eroberergefühl behalte, jene Zuversicht des Erfolgs, welche nicht selten wirklich den Erfolg nach sich zieht.'"

Freud wurde mit einer Glückshaube geboren, wie die Lieblingsromanfigur seiner Jugend, David Copperfield. Neugeborene, an deren Kopf noch Überreste der Eihaut klebten, waren - so der Aberglaube - zu Höherem bestimmt... Und er war ein Liebling seiner Mutter. Aus diesen beiden Details hätte Annette Meyhöfer leicht die Legende weben können, dass Sigmund Freuds Erfolg vorausbestimmt war. Aber so einfach macht sie es weder sich noch ihren Lesern. Sie erzählt sehr anschaulich und differenziert, wie kompliziert und sperrig für Freud der Start ins Berufsleben war. Quälend lange sezierte er in der Pathologie Aale. Bis er endlich sein Doktorat in Medizin bekam, vergingen acht Jahre! Und später mit der Professur war es nicht einfacher:

"Gewöhnlich musste ein Privatdozent acht Jahre warten, bis er zum Professor ernannt wurde, für Freud wurden es siebzehn Jahre, in denen Freunde und Kollegen an ihm vorbeizogen. Julius Wagner-Jauregg, sein Kommilitone, der spätere Nobelpreisträger, hatte es in nur vier Jahren geschafft."

Seine Praxis entwickelte sich in den Anfangsjahren schleppend. Zu manchen Patienten kam er nur durch "Beziehungen". Bertha Pappenheim beispielsweise, die berühmte Anna O., war die Tochter von Sigmund Pappenheim, der zugleich der Vormund seiner Frau Martha Bernay gewesen war. Freud stocherte bei der Behandlung von Anna O. im Nebel. Manche Symptome konnte er lindern, aber "heilen" konnte er sie nicht...

"Doch er lernte zuzuhören. Er begann, die 'kathartische Therapie', die gemeinsame Entdeckung einer genialen Kranken und eines verständnisvollen Arztes, anzuwenden, und er begriff, dass er den Geschichten seiner Patienten lauschen musste, so langweilig, so belanglos und voll der Wiederholungen diese auch sein mochten."

Annette Meyhöfer hat für ihre Freud-Biographie einen wohltuenden Ton gefunden. Sie schreibt voller Sympathie, ohne je zu schwärmen. Wo es angebracht ist, kritisiert sie ihn, deckt Schwächen auf, Ungereimtheiten und Widersprüche. Im Gegensatz zu anderen Biographen charakterisiert sie ihn als liebevollen Familienvater, der auch noch für seine schon erwachsenen Kinder sorgte, wo er konnte. Seinem Sohn Martin schickte er zum Beispiel im Ersten Weltkrieg eine gefütterte Fellweste an die Front...

"Er hasste es, zu knausern oder auch nur zu sparen. (...) Schon in der Verlobungszeit hatte Freud (...) kundgetan, dass an drei Dingen niemals gespart werden durfte, an Gesundheit, Erziehung und Reisen, und gut gekleidet sollten die Kinder sein, das war wichtig für die Selbstachtung."

Die Autorin erörtert in ihrer Biographie alle wichtigen Fallgeschichten, von Anna O., dem "kleinen Hans" und dem so genannten "Rattenmann". Sie resümiert die Entstehung der bedeutendsten Monographien wie die der Traumdeutung. Und sie erzählt, wie aus Freundschaften Feindschaften wurden. So im Fall von Wilhelm Fließ, Josef Breuer und C.G. Jung.

"Ja, Es erforderte wirklich 'schwere Selbstüberwindung', die eigenen Träume zu deuten und mitzuteilen. Es kostete Freud die Freundschaft mit Sophie Paneth, dass er ihren verstorbenen Mann, den großzügigen Freund und Helfer in den Jahren der Not, (...) nicht minder schonungslos, wenn nicht gar boshaft darstellte. Vielleicht zerbrach an seiner Freimütigkeit, noch bevor es zu Konflikt und öffentlichem Streit kam, auch die Beziehung (...) zu Fließ."

Auch die Zeitgeschichte kommt nicht zu kurz. Der Autorin gelingt es tatsächlich, in ihrer fabelhaft geschriebenen Biographie Freuds Zeit lebendig werden zu lassen: Den Ersten Weltkrieg, dessen Beginn zunächst niemand wirklich begreifen wollte, der dann zu nationalen Begeisterungsstürmen führte und schließlich zur Kapitulation:

"Freud wusste, dass dieser Friede nicht günstig ausfallen konnte für Österreich. An Ferenczi hatte er schon im März bitter geschrieben, dass man sich zwar nun nicht an Deutschland anschließen, aber dafür Südtirol abtreten dürfe: 'Ich bin ja kein Patriot, aber es ist peinlich zu denken, dass so ziemlich die ganze Welt Ausland sein wird.'"

Nach 500 Seiten spannender Lektüre stellt sich nur eine große Enttäuschung ein: Die Lebensgeschichte reißt 1920 plötzlich ab. Es fehlen die Zwanziger Jahre, die Dreißiger, der so genannte "Anschluss Österreichs" und die Emigration nach London. Schade!

Annette Meyhöfer: Eine Wissenschaft des Träumens - Sigmund Freud und seine Zeit
Knaus 2006
560 Seiten, 22,95 Euro