Ein Mörder als Hausgespenst
18.01.2011
Spannungsvolles Kammerspiel: Ein Bauarbeiter erschlägt seinen Vorgesetzten - und versteckt sich danach für mehrere Jahre in einer piekfeinen Familienvilla, in der seine Geliebte als Hausmädchen arbeitet.
Kann aus dem größten Glück auch das größte Unglück erwachsen? Es kann, und zwar sehr schnell. Da verliebt sich der 40-jährige Bauarbeiter José María in das Hausmädchen Rosa, sie ist gerade 25, und es ist, als hätte die Welt auch Gutes zu bieten. Aber das Gute ist eine fragile Angelegenheit, und ein paar harmlos erscheinende Verkettungen führen in die Katastrophe.
In dem piekfeinen Villenviertel, in dem José María gerade arbeitet und Rosa ihre Dienste versieht, herrscht das muffige Klima einer spießigen Wachsamkeit. Man kennt die junge Frau und weiß sie zuzuordnen, er jedoch ist ein Fremder. Da reicht die schnüffelnde Neugier eines Portiers, schon kommt es zu einer Pöbelei. Die wächst sich aus zu einer Schlägerei, die wiederum zu einer Beschwerde beim Vorarbeiter der Baustelle José Marías führt. Der Vorarbeiter, der mit dem eigensinnigen Arbeiter ohnehin Probleme hatte, entlässt den kurzerhand. Der eher verschlossene José María hat nicht nur ein aufbrausendes Naturell, er erträgt vor allem Demütigungen schlecht. Etliche Stunden nach seinem Rauswurf erschlägt er den Vorarbeiter.
Von all diesen Vorgängen weiß Rosa nichts, als José María abends bei ihr am Küchentisch sitzt. Die "Herrschaften" sind verreist, daher erlaubt sie sich die Übertretung der Vorschrift, keinen Herrenbesuch zu empfangen. Prompt kehren die "Herrschaften" früher als angekündigt zurück. José María verspricht, sich aus dem Haus zu schleichen, in Wahrheit versteckt er sich in einer Dachmansarde, und nicht einmal Rosa weiß von dem "blinden Passagier" im Haus, der einen Mord begangen hat.
Der Kern der Geschichte ist die spannungsvolle Inszenierung des heimlichen Aufenthalts von José María im Haus der Arbeitgeber seiner Freundin. Minuziös wird sein mal ausweichender, mal beobachtender Alltag in diesem Haus geschildert. Er wird – gleichsam ein Hausgespenst – Zeuge von Familienkonstellationen und -konflikten, muss aber auch ertragen, wie ein Sohn der "Herrschaften" seine Rosa vergewaltigt. Ohne einen weiteren Plan, als sich zu verbergen, geistert José María durch das Haus, sein Aufenthalt dauert Tage, Wochen, Monate, schließlich Jahre.
Das Bemerkenswerteste an diesem Roman ist die Konsequenz, mit der Sergio Bizzio das Artifizielle seiner kammerspielartigen Komposition durchhält und zu einem (nicht sehr fröhlichen) Ende bringt. Ohne jede vordergründige Anspielung lädt dieser Roman zu vielfältigen Reflexionen ein, ohne je auf seine unmittelbare, in zugreifend-direkte Sprache gesetzte Bildhaftigkeit zu verzichten.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Sergio Bizzio: Stille Wut
Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010
240 Seiten, 19,99 Euro
In dem piekfeinen Villenviertel, in dem José María gerade arbeitet und Rosa ihre Dienste versieht, herrscht das muffige Klima einer spießigen Wachsamkeit. Man kennt die junge Frau und weiß sie zuzuordnen, er jedoch ist ein Fremder. Da reicht die schnüffelnde Neugier eines Portiers, schon kommt es zu einer Pöbelei. Die wächst sich aus zu einer Schlägerei, die wiederum zu einer Beschwerde beim Vorarbeiter der Baustelle José Marías führt. Der Vorarbeiter, der mit dem eigensinnigen Arbeiter ohnehin Probleme hatte, entlässt den kurzerhand. Der eher verschlossene José María hat nicht nur ein aufbrausendes Naturell, er erträgt vor allem Demütigungen schlecht. Etliche Stunden nach seinem Rauswurf erschlägt er den Vorarbeiter.
Von all diesen Vorgängen weiß Rosa nichts, als José María abends bei ihr am Küchentisch sitzt. Die "Herrschaften" sind verreist, daher erlaubt sie sich die Übertretung der Vorschrift, keinen Herrenbesuch zu empfangen. Prompt kehren die "Herrschaften" früher als angekündigt zurück. José María verspricht, sich aus dem Haus zu schleichen, in Wahrheit versteckt er sich in einer Dachmansarde, und nicht einmal Rosa weiß von dem "blinden Passagier" im Haus, der einen Mord begangen hat.
Der Kern der Geschichte ist die spannungsvolle Inszenierung des heimlichen Aufenthalts von José María im Haus der Arbeitgeber seiner Freundin. Minuziös wird sein mal ausweichender, mal beobachtender Alltag in diesem Haus geschildert. Er wird – gleichsam ein Hausgespenst – Zeuge von Familienkonstellationen und -konflikten, muss aber auch ertragen, wie ein Sohn der "Herrschaften" seine Rosa vergewaltigt. Ohne einen weiteren Plan, als sich zu verbergen, geistert José María durch das Haus, sein Aufenthalt dauert Tage, Wochen, Monate, schließlich Jahre.
Das Bemerkenswerteste an diesem Roman ist die Konsequenz, mit der Sergio Bizzio das Artifizielle seiner kammerspielartigen Komposition durchhält und zu einem (nicht sehr fröhlichen) Ende bringt. Ohne jede vordergründige Anspielung lädt dieser Roman zu vielfältigen Reflexionen ein, ohne je auf seine unmittelbare, in zugreifend-direkte Sprache gesetzte Bildhaftigkeit zu verzichten.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Sergio Bizzio: Stille Wut
Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010
240 Seiten, 19,99 Euro