Ein Mittel gegen das Wummern

Von Tobias Armbrüster |
Jeder Besucher von Rock-Konzerten kennt dieses unangenehme ohrenbetäubende Quietschen - auch Rückkopplung genannt. Zwei Akustik-Wissenschaftler der University of London haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem diese Gehörbelästigung verhindert werden soll.
Ein Gitarrensolo von Jimi Hendrix, Rückkopplung inklusive. Rockmusiker haben dieses ohrenbetäubende Wummern immer wieder mit Absicht in ihre Gitarrensoli eingebaut - aber in den meisten Fällen sind Rückkopplungen vor allem ein Störgeräusch, bei dem sich die Zuhörer automatisch die Ohren zuhalten.
"Wenn aus dem Lautsprecher ein Ton kommt und gleich wieder in das angeschlossene Mikrofon wandert, dann kann es zu einer Kettenreaktion kommen. Der Sound baut sich dann zu einer regelrechten Mauer auf, und wenn Sie mit dem Mischpult nichts dagegen tun, dann wird es unkontrollierbar. Das Resultat ist ein extrem hohes Quietschen - das nennen wir Rückkopplung."

Enrique Perez Gonzalez ist promovierter Toningenieur an der Londoner Queen Mary University. Er hat schon bei Live-Auftritten von Leuten wie Luciano Pavarotti und Oasis am Mischpult gestanden. Dabei hat er gelernt, wie aufmerksam man bei der Tonmischung zuhören muss, um Rückkopplungen zu vermeiden. Denn dieses störende Quietschen kann nur entstehen, wenn einzelne Frequenzen während eines Auftrittes die Oberhand gewinnen. Der Sound-Mixer muss deshalb an den Reglern eines Mischpults immer die richtige Balance zwischen Höhen und Tiefen finden.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Joshua Reiss hat Enrique ein Computer-Programm entwickelt, das Rückkopplungen ein für allemal beenden soll. Der Rechner, auf dem das Programm läuft, ist dabei mit dem Mischpult verbunden. Um das Ganze zu demonstrieren, kommt ein Musiker ins Experimentier-Studio - der spielt Akustik-Gitarre, mit Verstärker und Lautsprecher. Die beiden Ton-Ingenieure stehen vor einem grauen Mischpult, mit 15 Drehknöpfen.

Joshua Reiss: "Enrique spielt jetzt ein bisschen mit dem Mischpult, genauso wie es bei einem Live-Auftritt geschehen würde. Man will einfach bestimmte Frequenzen herausheben und den Sound anreichern, dynamischer machen. Weil im Hintergrund des Mischpults unser Computer-Programm läuft, muss er sich dabei um Rückkopplungen keine Gedanken machen. Aber wenn er das Programm jetzt gleich ausschaltet, hören wir den Effekt sofort."

Computer-Programme gegen den Rückkopplungs-Effekt gibt es schon seit längerem. Alle diese Programme dienen allerdings eher als Tonfilter. Sie nehmen das Rückkopplungs-Quietschen nachträglich aus dem Musik-Mix raus. Darunter leidet dann die Tonqualität insgesamt und viele Profis lehnen solche Programme deswegen ab. Die beiden Audio-Spezialisten von der Queen-Mary-University haben deshalb eine andere Methode gewählt.

Joshua Reiss: "Unser Programm wird schon während des Soundchecks, also vor dem Auftritt eingestellt - der Toningenieur legt dabei die Regler-Einstellungen so fest, dass der Sound zu Beginn des Konzerts rückkopplungsfrei ist. Wenn nun ein Musiker während des Auftritts mehr Bässe, mehr Höhen oder mehr Lautstärke haben will, dann überwacht das Programm die Veränderungen, die sich damit in der Sound-Balance ergeben. Und wenn die Software registriert, dass sich eine Rückkopplung anbahnt, dann korrigiert sie die Lautstärke bei der betroffenen Frequenz minimal - die Rückkopplung wird so vermieden."

Dieses Anti-Rückkopplungs-Programm wird in britischen Medien mit einem gemischten Echo empfangen. Das Wissenschaftsmagazin "New Scientist" bezeichnet die Software als "Befreiung für Ton-Ingenieure". Die könnten sich endlich wieder um die Ästhetik der Ton-Mischung kümmern und müssten sich nicht mit Quietsch-Geräuschen herumschlagen.

Die Tageszeitung "Guardian" ist dagegen etwas skeptischer. Dort heißt es, das Programm könne Rock-Konzerte zu einer allzu sauberen Angelegenheit machen. Ein Konzert ohne Rückkopplung sei für viele Fans inakzeptabel. Der BBC-Tontechniker Steven Spencer hat mehrere Jahre Mischpult-Erfahrung bei Konzerten gesammelt:

"Rückkopplungen können wirklich ein riesiges Problem sein. Vor allem, wenn 20.000 Leute erwartungsvoll zugucken und dann kommt auf einmal dieses Quietschen aus den Boxen. So ein Computer-Programm ist deshalb sicher eine gute Idee. Aber man sollte es behutsam einsetzen, für die ungewollten Rückkopplungen sozusagen. Die schönen Rückkopplungen sollten weiter möglich sein. Ein roter Feedback-Knopf auf dem Mischpult wäre vielleicht eine gute Idee."

Tontechniker hätten mit dieser Software also ein leichteres Leben. Leichter wäre es aber auch für alle Fans, die bei einem Rock-Konzert gleich vor den Boxen stehen. Denn diese Zuhörer hätten endlich die Hände wieder frei - zum Tanzen und zum Mitklatschen - sie müssten sich nicht mehr die Ohren zuhalten, wenn ganz unerwartet das legendäre Wummern und Quietschen einsetzt.